© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
"Verhöhnung statt Versöhnung"
Franz Neubauer, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, über die neue Verdrängung der Vergangenheit
Moritz Schwarz

Herr Neubauer, der Antrag der Sudentendeutschen Landsmannschaft aus dem deutsch-tschechischen Zukunftsfond auch deutsche Opfer zu entschädigen, hat in Teilen der Presse und unter Politikern Entrüstung hervorgerufen. Was geht hier vor?

Neubauer: Wir haben von vornherein mit diesem Projekt nur für eine kleine Gruppe von zweitausend besonderen Härtefällen der Vertreibung eine finanzielle Geste beantragt. Wir glauben, daß dies durchaus im Sinne der deutsch-tschechischen Erklärung ist. Zwar fordert diese nur eine Entschädigung für NS-Opfer, allerdings sollen daraus ja auch Projekte zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses finanziert werden. Würde man aber die Opfer einer Seite gar nicht entschädigen, so wäre dies bestimmt kein Beitrag zur Verständigung.

Es geht also gar nicht um Vertreibung, sondern Mißhandlung und Mord?

Neubauer: Man muß zwei Dinge trennen: Es sind drei Millionen Menschen aus Böhmen und Mähren vertrieben worden. Zweihundertfünfzigtausen Heimatverbliebene wurden noch zusätzlich enteignet. Jeder Einzelne hätte eine Entschädigung verdient. Und wir wollen natürlich Gerechtigkeit für die Volksgruppe als Ganze, wobei man Gerechtigkeit nicht auf materielle Fragen reduzieren darf. Vor allem geht es auch darum, das daß Unrecht verurteilt wird und, daß die, die es wollen, wieder zurückkehren können als gleichberechtigte Bürger, geschützt mit einem Volksgruppenrecht. Dieses Hauptziel muß man trennen, von diesem kleinen Projekt für besondere Härtefälle. Hier geht es wirklich nur um zweitausend Menschen, die inhaftiert und mißhandelt wurden, die gesundheitliche Dauerschäden davongetragen haben und bisher durch die Maschen der deutschen Entschädigung hindurchgefallen sind.

Wer regt sich jetzt auf, die deutsche oder die tschechische Seite?

Neubauer: Es hat ja personelle Veränderungen bei den deutschen Mitgliedern des Verwaltungsrates des Zukunftsfonds gegeben, Frau Vollmer und Herr Billstein sind ist etwa seit einigen Wochen Mitglied. Erst seit dieser Zeit gibt es nun Töne, dieses Projekt sei unangemessen oder vielleicht sogar skandalös. Von tschechischer Seite gab es unseres Wissens bis vor wenigen Tagen keine Einwände. Dort hat man gesagt, wir warten ab bis der Antrag vorliegt und prüfen ihn dann ruhig und sachlich.

Von der Süddeutschen Zeitung etwa sind Sie scharf angegriffen worden, man wirft Ihnen einen "Nazijargon" vor.

Neubauer: Das ist, mit Verlaub, eine Unverschämtheit. Wir haben eine Datenerhebung gemacht und in diesem Zusammenhang das Wort "Erfassung" verwendet, was das mit "Nazijargon" zu tun haben soll, bleibt schleierhaft. Das ist natürlich der dreiste Versuch, uns wieder in eine gewisse Ecke zu drängen. Nun stand uns die Süddeutsche Zeitung noch nie aufgeschlossen gegenüber, aber wer bitte kann denn das noch verstehen?

Dies alles zeigt, das eine echte Aussöhnung mit der Tschechei bei weitem noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie offiuziell behauptet wird. Mit anderen Ländern sind da schon weit größere Fortschritte gemacht worden, etwa den baltischen Staaten oder Ungarn. Wo ist im Falle der Tschechei das eigentliche Problem?

Neubauer: Das ist eine berechtigte Frage, denn das Problem ist, daß die tschechische Politik mit den Sudetendeutschen seit 1991 überhaupt keine offiziellen Gespräche mehr führt. Es gibt Gespräche zwischen den Menschen, viele unserer sudetendeutschen Landsleute fahren in die Heimat und besuchen dort ihre Gemeinden, Kirchen, Friedhöfe und versuchen diese wieder in Stand zu setzten, doch offiziell gibt es keine Gespräche.

Wie werten Sie denn den jüngsten Besuch Havels in Deutschland?

Neubauer: Auch Herr Havel hat wieder offiziell abgelehnt, mit den Sudetendeutschen zu sprechen und zwar mit der paradoxen Begründung: Mit einem ausländischen Verein redet man nicht. Darauf kann man nur antworten, hätte es die Vertreibung nicht gegeben, wären die Sudetendeutschen kein "ausländischer Verein", sondern dann wären wir Bürger dieses Landes geblieben. Sicherlich anerkennen wir die Geste und sicherlich wissen wir, daß Havel es sehr schwierig hat, sich so zu äußern, wie er das früher getan hat. Leider hat er nur sehr allgemein von der Vertreibung sowie von der Notwendigkeit der Versöhnung gesprochen. Aber das Gespräch mit uns Betroffenen hat er nicht gesucht. Über diesen Grundsatz kommt man offenbar drüben nicht hinweg – und will es auch gar nicht.

Es wird nicht ganz klar: Einerseits entschuldigt sich Havel und nennt die Vertreibung Unrecht, andererseits zieht er keine Konsequenz aus seinen Worten?

Neubauer: Man ist drüben nun auf dem Stand, auf dem wir schon vor fünfzig Jahren mit der Unterzeichnung der "Charta der Vertriebenen" und mit der ihr vorausgehenden "Eichstädter Erklärung" waren. Aber wenn Havel jetzt sagt, das sei der "Zorn der Tschechen" gewesen, diese Wendung kam ja auch in seiner Rede vor, dann ist das ja soetwas wie Revanche und Rache. Soetwas er in seinen früheren Erklärungen, als er noch nicht Präsident war, strikt abgelehnt. Die Antwort, wir haben ja erst zehn Jahre hinter uns und wir brauchen noch viel Zeit und Geduld scheint mir auf die von den Tschechen ursprünglich angestrebte biologische Lösung hinauszulaufen: abwarten bis die Betroffenen alle tot sind. Zehn Jahre ist doch ein langer Zeitraum zwischen freien und demokratischen Staaten. In zehn Jahren kann man ganz andere Dinge bewegen. Das ist, mit Verlaub, eine Ausrede.

Nach der Wende hatte aber zunächst alles ganz hoffnungsvoll angefangen?

Neubauer: Pithart, damals als Ministerpräsident der Tschechischen Teilrepublik – das war vor dem Zerfall der Tschecheslowakai – traf sich in München mit dem damaligen Ministerpräsidenten Streibl. Damals wurden wir hinzugezogen: wir saßen mit am Tisch, in einem kleinen Kreis und da hat man offen und ohne Vorbehalte mit einander geredet. Damals nahm auch der Tschechische Botschafter am Sudetendeutschen Tag teil, ein Jahr später kam gar eine kleine Parlamentsdeligation. Das waren noch Gesten der Versöhnung. Die Stimmung auf allen Seiten war "Was kann man tun?" Wir haben uns dann auch bei mir zu Hause am Chiemsee getroffen und uns unterhalten, wie man sich auch unter alten guten Bekannten unterhält. Doch zur Zeit bewegt sich nichts.

Was waren die politischen Ursachen für diese Umkehr?

Neubauer: In der Tschechei haben wir auf der einen Seite die Kommunisten, die haben mit fünfzehn bis achtzehn Prozent dort schon wieder Bedeutung. Auf der anderen Seite steht die rechtsextreme Partei der "Republikaner", deren Chef Sladek einmal gesagt hat, es sei eigentlich schade, daß man während der Vertreibung nicht noch mehr Deutsche erschlagen habe.Beide brauchen das Sudetendeutsche Feindbild für ihre Darstellungen der Politik. Die Parteien der Mitte haben nicht den Mut und wohl auch nicht den ehrlichen Willen, das anders zu gestalten. Und leider hat in der tschechischen Bevölkerung die Zustimmung zur Vertreibung und die Ablehnung solcher Gespräche in den neunziger Jahren deutlich zugenommen. Nie war sie so hoch, wie ein Jahr nach der deutsch-tschechischen Erklärung, als dreiundachtzig Prozent der Tschechen sagten, die Vetreibung sei mehr oder weniger gerechtfertigt. Warum sollte der normale Tscheche auch die Vertreibung als solche verurteilen, wenn Deutschland mit eienm Dokument zufrieden war, durch das lediglich die Gewaltexzesse der Vertreibung verurteilt werden?

Und dieser innenpolitischen Stimmung beugt sich Havel?

Neubauer: Eindeutig. Ich persönlich meine, daß die erste Äußerung Havels, als er sagte, das war Rache, das war Vergeltung, so könne man nicht zusammenleben, seine eigentliche Sicht der Dinge offenbarte.

Sie haben dann damals die Zustimmung zur deutsch-tschechischen Erklärung verweigert?

Neubauer: Aus gutem Grunde. Sie enthält ja nicht einmal ein Bedauern der Vertreibung im Ganzen. Dort werden nur, die Exzesse bei der Vertreibung eindeutig bedauert. Da ist die Rede vom Leid und Unrecht, das durch die Vertreibung unschuldigen Menschen geschen ist. Wer diese "unschuldigen Menschen" waren: nur die Kinder oder vielleicht aktive Gegner der Nationalsozialisten, wird nicht klar. Havel selbst sagte jetzt bei seinem Besuch, daß in der deutsch-tschechischen Erklärung in diplomatischer Sprache die Andeutung einer Entschuldigung enthalten sei. Bitte, ich wiederhole: "in diplomatischer Sprache die Andeutung..."

Das klingt etwas wenig?

Neubauer: Ja, das ist sehr wenig. Aber es zeigt doch, es wäre richtig gewesen, die Erklärung nicht zu unterzeichnen.

Die damalige Bundesregierung hatte nicht den Mut für die sudetendeutsche Sache einzustehen?

Neubauer: Die damalige Bundesregierung Kohl hat uns gegenüber erklärt, die Idee zu dieser Erklärung sei gar nicht von ihr. Aber man hatte zwei Jahre verhandelt und mußte dann auch etwas auf den Tisch legen, das konnte man nicht mehr aussitzen. Und so hat Kohl schließlich zugestimmt hat. Ich habe diese Versöhnungserklärung dann einmal in einem Fernsehinterview spontan als "Verhöhnungserklärung" bezeichnet. Das hat mir viel Ärger eingebracht, doch von der Sache her war das so unrichtig nicht. Wenn man sich vergegenwärtigt, was da so alles drin steht, an Ungleichgewichten und Ungereimtheiten, dann ist eine solche Äußerung gar nicht so unangemessen.

Nun herrscht seit zwei Jahren Rot-grün, haben sich dadurch die Bedingungen für Ihre Arbeit verändert?

Neubauer: Da brauchen Sie sich ja nur die Besetzung des Dialogforums anzusehen. Das ist eine Einrichtung, die von Deutschen und Tschechen besetzt ist und Angelegenheiten bespricht, die der Versöhnung dienen. Bisher wurden dorthin drei Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft entsandt, jetzt soll nunmehr nur noch einer dort sitzen. Das Auswärtige Amt hat mitgeteilt, es wolle eine "sanfte Änderung" der Besetzung von Zukunftsfond und Dialogforum. Aber "aus drei mach einen" ist doch keine sanfte Änderung, sondern eine sehr radikale Änderung.

Die Mittel für die Vertriebenen werden immer weiter gekürzt. Was bedeutet das für die Landsmannschaft?

Neubauer: Auch das ist ein eindeutiges Zeichen. Da ist natürlich vor allem Herr Naumann mit von der Partie. Zum Beispiel hat man uns die Mittel für den Sudetendeutschen Tag im vorigen Jahr schon um zwei Drittel gekürzt, in diesem Jahr werden wir gar nichts mehr bekommen. Auch der hauptamtliche Kulturreferent soll dem Rotstift zum Opfer fallen und Bayern kann nicht alles ausgleichen.

Auch an der Aufhebung der Benes-Dekrete ist die Bundesregierung nicht mehr interessiert?

Neubauer: Schauen Sie Sich doch nur an, daß der Bundeskanzler und der Bundespräsident anläßlich des Besuches von Staatspräsident Havel erklärt haben – expressis verbis – die Beseitigung der Benes-Dekrete sei keineswegs eine Bedingung für die Aufnahme der Tschechei in die EU. Bitte vergegenwärtigen Sie Sich, was das bedeutet: die Benes-Dekrete legitimieren die Enteignung und Ausbürgerung als Grundlage für die Vertreibung. Es gibt weiterhin auch ein Gesetz vom 8.Mai 1946, das praktisch alle Untaten an Deutschen und Magyaren, bis hin zum Mord, für nicht rechtswidrig erklärt. Immer wieder wird auch behauptet, die Benes-Dekrete hätten heute gar keine Bedeutung mehr. Das stimmt nicht: Das tschechische Oberste Gericht sagt selbst, daß es laufend auf Grundlage dieser Dekrete entscheidet. Dann heißt es auch, das Gesetz vom 8. Mai 1945 sei ein Amnestie-Gesetz. Auch das ist unrichtig: Eine Amnestie anerkennt das Unrecht und verzichtet lediglich auf die Bestrafung. Dieses Gesetz aber besagt, daß es nie ein Unrecht war, während der Vertreibung Deutsche oder Ungarn zu mißhandeln oder zu töten.

Jetzt lesen wir ganz aktuell in tschechischen Zeitungen: Es leben noch Täter der Massaker von Nachod, wo im Mai 1945 etwa fünfhundert Deutsche erschlagen und erschossen wurden. Diese Leute laufen frei herum und kommen nicht vor Gericht. Und da sagt die Bundesregierung, die Aufhebung sei keine Voraussetzung für den Beitritt in die EU. Die Tschechen wiedersprechen sich im übrigen ständig selbst: die eine Stelle sagt, die Dekrete seien gar nicht mehr in Kraft, die andere, nur noch teilweise, die dritte besteht ganz und gar auf sie...

Was geschähe, wenn die Dekrete aufgehoben werden würden?

Neubauer: Wenn diese Dekrete aufgehoben würden, müßten wenigstens die achtzig- bis hunderttausend heimatverbliebenen Deutschen, die dort noch leben, endlich ihr Eigentum zurückbekommen. Auch einige Juden, die den Holocaust überlebt haben, wurden durch die Benes-Dekrete enteignet und müssten endlich ihren Besitz zurückbekommen. Und es müßten, wie bei uns, die damaligen Straftäter verfolgt werden.

Die achtzig- bis hunderttausend heimatverbliebenen Deutschen dort sind doch tschechische Staatsbürger. Das heißt sie werden klar diskriminiert?

Neubauer: Ja, sie sind tschechische Staatsbürger zweiter Klasse. Wegen ihrer Volkszugehörigkeit werden sie einfach anders behandelt. Und zwar eklatant. In Straßburg und Wien sieht man diese offene Diskriminierung inzwischen, sogar der UN-Menschenrechtsausschuß in Genf hat sich in diese Richtung geäußert. Nur ausgerechnet die deutsche Regierung stellt sich taub und blind. Das sei ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte, hat Schröder mehrfach erklärt.

Also ein Schlußstrich?

Neubauer: Das ist der Versuch eines Schlußstrichs. Man hofft weiter auf die biologische Lösung, sogar auf deutscher Seite. Aber das ist nicht nur zynisch, es ist auch kurzsichtig. Die Armenier sind nach fünfundachtzig Jahren immernoch eine sehr vernehmbare Gruppe. Ein Schlußstrich unter die Vertreibung von Millionen funktioniert einfach nicht.

 

Franz Neubauer geboren 1930 in Marienbad/Egerland, wurde er 1946 aus seiner Heimat vertrieben. Von 1970 bis 1977 war Neubauer Landtagsabgeordneter in Bayern, anschließend Staatssekretär und schließlich Staatsminister für Arbeit und Sozialordnung. Bis 1998 war er Vorstandsvorsitzender der Bayerischen Landesbank. Seit 1970 ist Neubauer Vorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft. In diesem Jahr wird er das Amt an den Präsidenten des Bayerischen Landtags, Johann Böhm, übergeben.

 

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