© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Bernard Kouchner regiert das Amselfeld
Carl Gustaf Ströhm

Als den Mann, der "Kosovo regiert", stellte Newsweek den Franzosen Bernard Kouchner vor. Als Chef des "Übergangsrats" überwache er "jede Facette" des zivilen Lebens in der umkämpften Provinz – von der Justiz hin bis zu Krankenhäusern und Schulen.

Kouchner aber ist nur einer von vielen, die über weiten Teilen des Balkans faktisch eine problematische Erziehungsdiktatur ausüben. Wie andere hohe Emissäre – etwa der Bosnien-Beauftragte Wolfgang Petritsch von der SPÖ – kommt auch Keuchner von links. Als Gründer von "Ärzte ohne Grenzen" stand er während des Krieges um Ex-Jugoslawien an exponierter Stelle. In Erinnerung bleibt sein damaliger Versuch, in das von den Serben belagerte, beschossene Dubrovnik ausgerechnet eine serbische Sängerin einzufliegen, die den um ihr Leben kämpfenden Kroaten etwas vorsingen sollte. Die Kroaten bedankten sich – und Kouchners Plan fiel ins Wasser.

Bereits diese scheinbar marginale Episode zeigt das Problem: Die linken Emissäre stehen den nationalen Bestrebungen der Völker verständnislos bis ablehnend gegenüber. Gemeinsam mit den Amerikanern ziehen sie in den Kampf gegen alles, was im Osten oder Südosten "national" gefärbt ist. Auch Kouchner meint, daß sich im Kosovo (90 Prozent Albaner, weniger als zehn Prozent Serben) die Menschen "vermischen" sollten. Inzwischen hat er aber erkannt, daß dies nicht par ordre de Mufti geschehen kann, und sagt: "Alles hier ist politisch, jede Entscheidung, jede Einzelheit. Das verlangsamt den Prozeß, aber das ist Kosovo. Das ist der Balkan."

Bleibt noch das Problem der politisch-moralischen Legitimation. Auf die Frage, ob sich die Kosovo-Albaner mit einem Status unterhalb der eigenen nationalen Unabhängigkeit zufrieden geben werden, antwortet Kouchner wie ein Kolonialgouverneur: "Die Albaner möchten die Unabhängigkeit. Aber man muß ihnen erklären, daß die internationale Gemeinschaft die Idee einer substantiellen Autonomie verwirklichen will." Und dann fügt der Franzose herablassend hinzu, die Albaner würden das schon akzeptieren, weil sie unter Tito schon einmal Autonomie hatten und das "eine gute Zeit" gewesen sei.

Hier zeigt sich eine solche Anhäufung von Mißverständnissen, Fehlinterpretationen und Halbwahrheiten, daß man angesichts solcher "Erziehungsdiktatoren" resignieren könnte. Kouchner hat, wie so mancher andere, nur die Hälfte des Problems erfaßt – und das ist schlimmer, als wenn er gar nichts verstanden hätte.

Es muß überraschen, daß die westliche Balkan-, Bosnien-, Kosovo- und Jugoslawien-Politik nun auch in den USA auf wachsende Skepsis stößt. Das Wall Street Journal berichtet nicht ohne Besorgnis, daß sich die westlichen Emissäre in Bosnien immer unverhüllter auf die Ex-Kommunisten stützen, denn diese seien übernational – und das heißt: anational. Der Westen fördere sogar eine Art "Tito-Renaissance" in Bosnien. Aber, so das Wall Street Journal: "Im heutigen Bosnien gibt es keine liberale Option. Es gibt nur ’Weiße‘ und ’Rote‘."

Die bosnischen Sozialdemokraten – Ex-Kommunisten – aber seien alles andere als liberal. Sie seien immer noch Marxisten. Die ausländischen "Autoritäten" in Sarajevo hätten den Kampf gegen den Nationalismus zum Fetisch erhoben. Das aber – und besonders die wieder aufkommende "Tito-Renaissance" – veranlaßt das Blatt zu einer düsteren Prognose: Es bedeute Stagnation und Armut für Bosnien-Herzegowina für eine lange, lange Zeit.


 
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