© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
David gegen Goliath an der Zapfsäule
Tankstellen: Die Rabattkarte der DEA treibt die Mittelständler in den Ruin
Ethel Grünwald

Der deutsche Autofahrer weiß überhaupt nicht, was er den freien Tankstellen verdankt. Würde es diese mit ihrem Marktanteil von noch 20 Prozent nicht geben, könnten die sechs großen Konzerne wie in anderen Ländern hemmungslose Monopolpolitik betreiben, also die Preise hoch und die Leistung herunter.

Seit jeher sind die freien Tankstellen ein Dorn im Auge der Ölmultis, weil sie mit billigeren Preisangeboten die Kunden auf sich ziehen und damit den Konzernen die abgestimmte Preiserhöhungspolitik kaputtmachen.

Nur wenn die Konzerne die etwa 6.000 mittelständischen Konkurrenten erledigt hätten und weiter im Kartell einig bleiben, könnten sie auf dem deutsche Ölmarkt quasi Monopolgewinne abkassieren.

Von solchen Monopolgewinnen hätte allerdings der deutsche Fiskus nichts. Seit 20 Jahren liefern die Ölmultis in Deutschland keine Ertragssteuern mehr ab, weil sie keine Gewinne ausweisen. Dies wird dadurch möglich, daß die Holdinggesellschaften der großen Ölmultis in der Regel auf den steuerfreien Bahamas sitzen und die jeweiligen Lieferpreise nach Deutschland so festsetzen, daß dort kein Gewinn auftritt. Die Ölmultis beherrschen also den deutschen Markt, sind für den Wettbewerb schädlich, aber auch für den Finanzminister nicht nützlich.

Ganz anders die mittelständischen Ölhändler und Tankstellen: Sie haben weder Macht, noch können sie ihre Gewinne auf die Bahamas verschieben. Sie müssen sich also im täglichen Existenzkampf um den Kunden mit den billigsten Preisen und der besten Leistung bewähren, werden dafür aber auch im Gegensatz zu ihrer Großkonkurrenz mit enormen Ertragssteuern belastet. Daß dennoch 6.000 "Kleine" überleben konnten, ist fast ein Wunder, denn den Konzernen fällt immer eine andere "Idee" ein, um ihre mittelständische Konkurrenz zu erledigen:

l Immer wieder kommen Preissenkungswellen bis auf die Selbstkosten der Konzerne, um die mit höheren Kosten operierenden mittelständischen Konkurrenten loszuwerden. Die Preissenkungswelle wird so lange durchgehalten, bis wieder ein oder zwei Prozent der selbständigen Ölhändler erledigt sind.

l Zweiter Ansatzpunkt sind die Raffinerien, welche den großen Ölmultis gehören und aus denen auch die selbständigen Tankstellen den größten Teil ihrer Ware beziehen. Mit einem ausgeklügelten Preis- und Rabattsystem werden etwa alle drei Jahre den mittelständischen Tankstellen die Raffineriepreise gegenüber den konzernabhängigen Tankstellen so verteuert, daß sie auf dem Markt nicht mehr billiger sein können, sondern sogar teurer sein müssen. Erst wenn dann das Kartellamt sich mit Verzögerung gemeldet hat, wird dies dann beendet, hat aber wiederum ein bis zwei Prozent der selbständigen Tankstellen das Leben gekostet.

l Zum großen Schlag holte die Ölindustrie gegen die mittelständische Konkurrenz mit Hilfe des früheren Umweltministers Klaus Töpfer aus: Benzindämpfe beim Eintanken wurden – in Untersuchungen der Multis – als schädlich erkannt und sollten vermieden werden. Dafür standen zwei Lösungen zur Verfügung: Ein Filter im Tankstutzen, wie sie die USA fordern. Kosten: etwa 16 Mark. Die zweite Lösung war der "Töpfer-Rüssel", eine spezielle Absaugeinrichtung . Diese teuere Lösung wurde vom CDU-Minister gesetzlich vorgeschrieben; Kosten pro Tankstelle: sechsstellige Investitionsbeträge, die viele kleine Tankstellen bei den schmalen Preisspannen nicht mehr aufbringen konnten. Erfolg: Etwa vier bis fünf Prozent der selbständigen Tankstellen konnte diese Großinvestition nicht tragen und mußten dichtmachen.

l Nach diesem letzten Konzentrationserfolg hat die Ölindustrie einen neuen Angriff auf ihre mittelständische Konkurrenz gestartet durch ein elektronisches Rabattprogramm an Kunden, die nur an den Konzerntankstellen tanken. Dies ist eine Sonderpreisermäßigung dafür, daß nicht bei freien Tankstellen getankt wird, und hat einen seit Wochen andauernden Preiskrieg an den deutschen Tankstellen zur Folge mit Verlusten von 100 Millionen Mark monatlich für die Mittelständler.

Sogar der abgewogene Bundesverband Mittelständischer Mineralölunternehmer schlägt Alarm und sieht "das Ende der ausgewogenen und leistungsfähigen Struktur des deutschen Mineralölmarktes" mit dem Untergang einer Vielzahl von selbständigen Anbietern. Der Verband hat das Bundeskartellamt um Hilfe gebeten – erfahrungsgemäß dauert aber im Ölmarkt die Reaktion des Bundeskartellamtes meist so lange, wie die Marktbereinigungsaktion der Konzerne gegen den Mittelstand ohnehin geplant war.

Die mittelständischen Tankstellenunternehmer sind in Aufruhr und in Existenzgefahr. Schon früher hat ihnen die Regierung Kohl in ihrem Abwehrkampf gegen die Konzerne nicht geholfen, von Rot-Grün noch weniger zu erwarten: Sie sehen beim Preiskrieg nur, daß der Konsument jetzt ein oder zwei Pfennig weniger zahlt, und so die Ökosteuer etwas abgemildert wird. Daß aber langfristig der Verlust der selbständigen mittelständischen Einzelhändler im Ölkartell der Multis eine Monopolstellung ermöglicht und – wie im Lebensmitteleinzelhandel – der Verlust von Hunderttausenden selbständiger Existenzen nicht nur einen funktionierenden Wettbewerb auf diesen Marktteil beendet, sondern auch zum Verlust von Arbeitsplätzen, Steuern und Sozialabgaben führt (was die Konzerne sämtlichst nicht aufwiegen), stört kurzfristig denkende Politiker nicht.

Daß aber auch das Kartellamt immer nur mit Verzögerungen oder gar nicht eingreift, legt einen Mangel in Ordnungspolitik und Ordnungskontrolle in Deutschland offen, der alle Schwüre der Politiker zugunsten des Mittelstandes Lügen straft. Was soll die gebetsmühlenhaft beschworene Förderung des Mittelstandes, die alle Parteien ständig vorbringen, wenn sie im praktischen Fall den Mittelstand immer wieder ans "Messer der Konzerne" liefern? Wenn schon der Mittelstand im Unterschied zu den Konzernen keine Subventionen bekommt, sollte man ihm wenigstens Freiheit und Chancengleichheit sichern – das Grundrecht der Marktwirtschaft. Gerade hierin aber versagen die Regierungen – die neue wie die alte. Ohne Chancengleichheit gibt es auch keine Überlebensmöglichkeit für den Mittelstand.

Je mehr ursprünglich mittelständische Marktsektoren wie der Lebensmitteleinzelhandel, die Gastronomie, die Hotellerie, das Verkehrsgewerbe, Touristik und jetzt das Tankstellengewerbe durch Konzentrationsstrategien und die Marktmacht großer Konzerne aufgerollt und die mittelständischen Existenzen in ihm vernichtet werden, desto mehr wird unsere Marktwirtschaft zur Konzernmachtwirtschaft und Verwaltungswirtschaft. Die Folge haben dann alle Bürger zu tragen: Immer ist Konzernmacht und Verwaltungswirtschaft zuerst ein Schaden für den Mittelstand. Nachher wird es ein Schaden für alle Bürger, wenn die Konzerne ihre Preise frei hochjubeln können und damit den Lebensstandard aller Bürger reduzieren. Der Tankstellenmarkt ist in diesem Sinne Ehrlichkeitstest für Regierung und Kartellamt, ob sie die Marktwirtschaft überhaupt noch ernstnehmen.


 
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