© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Banausen
Über Kulturmacher und Kulturfeinde
Georg Willig

Es gab eine Zeit, da bestimmte der Diktator, was Kunst ist, und alle, die einen Platz im Rang der Macht erstrebten oder auch nur dazugehören wollten, fielen vor ihm auf die Knie und riefen: "Ja, das ist die wahre Kunst, die Kunst für das Volk." Und die nicht wahre Kunst, das war dann die der "Entarteten".

Diese Zeit ist Gott sei Dank vorbei. Heute sind wir modern – und wehe dem, der es nicht so sieht, wie man es heute sehen muß. Wer es heute wagt, einen Gegenstand nicht für Kunst zu halten, der als solcher bejubelt wird, der ist ein Banause, ein Spießer, unempfänglich für künstlerisches Empfinden. Er kommt zwar nicht gleich hinter Gitter, aber auf die Bank der Diffamierten, der nicht Angepaßten, die sich ein eigenes Urteil erlauben, das denen nicht genehm ist, die in der Kulturwelt oben sitzen. Denn nur sie wissen, wie man heute unsere Welt darzustellen hat, die – wie schon Hamlet sprach – "aus den Fugen ist".

Heute unterstellen Kulturjournalisten und Kulturschaffende dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, "Kulturfeindlichkeit", weil er einige Kunstwerke anders als sie beurteilt. Die FAZ fragte ihn jüngst: "Wie fühlt man sich, Herr Regierender Bürgermeister, wenn man ständig als Kulturbanause beschrieben wird?" Morgen werden noch weniger Menschen den Mut haben, den Mund aufzumachen, und sie werden es nicht wagen, das zu sagen, was sie von diesem oder jenem Werk der modernen Kunst halten, sondern blind dem Urteil der "Eingeweihten" folgen. Das ist nun einmal so: schön angepaßt muß man sein, ob in jener Zeit oder in dieser. Sind wir doch alle Individuen in einer offenen Gesellschaft, die sich zu drehen wissen, wohin der Wind auch weht. Der Wind, den wir doch selbst machen!

Könnte man nicht einfach sagen: Da stimmen wir mit Dir nicht überein; da trennen uns Welten. Oder auch nur: Über Geschmack läßt sich nicht streiten. Warum denn gleich "Banause"? Sehr sensibel ist das wahrlich nicht.


 
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