© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
CD: Pop
Nachwuchs
Holger Stürenburg

Als die nette junge Dame von der Plattenfirma versuchte, mir mit den Formulierungen "modern" und "aus der heutigen Zeit" die neue CD des 26jährigen Marque schmackhaft zu machen, befürchtete ich schlimmstes: Pop 2000 ist doch allgemein irgendwo zwischen Blödeleien, brustvergrößerten Teenieschönheiten und Billig-Dancefloor zu Hause. Als ich mir einen Tag später "Freedomland", so der Titel des dritten Albums des gebürtigen Österreichers, der seit einiger Zeit in Stuttgart lebt, zu Gemüte führte, lösten sich jedoch alle Vorurteile in Luft auf: "Die haben ja den deutschen Prince unter Vertrag!" entfuhr es mir voller Freude, als ich die ersten Takte des schnittigen Funkrockers "Mary Grey" hörte. Bei "Shiva – God" wiederholte sich diese Eingebung, während "One to make her Happy" so klingt wie Nik Kershaw in seinen besten Tagen. "Electronic Lady" hingegen besitzt nahezu alle Stilmerkmale, die für einen Sommerhit vonnöten sind: Eine fröhliche Melodie, einen eingängigen Refrain, einen tanzbaren Rhythmus – dennoch ist das ganze mehr The Twins denn Venga Boys und überschreitet das Niveau eines der heute üblichen Sommerhits um ein Vielfaches. Immer wieder tauchen Prince-Zitate, auch was esoterische wie erotische Formulierungen in Marques Texten betrifft, in den insgesamt 14 Stücken von "Freedomland" auf – und alles dies beweist, daß Popmusik in der heutigen Zeit wahrlich nicht schlecht, schlicht und auswechselbar sein muß.

Marque hat mit sage und schreibe drei Jahren die ersten Schritte in Richtung Popmusik getan, als er auf dem Dachboden seines Großvaters die erste Elvis-MC seines Lebens vorfand, hörte, liebte und nach und nach begann, ein Musikinstrument nach dem anderen autodidaktisch zu erlernen. Sein musikalisches Talent stand jedoch dem Lern- und Leistungszwang eines konventionellen Schülers entgegen, so daß er vor Beginn seiner Pubertät in ein katholisches Internat gepfercht wurde, sich dort allerdings mehr in dem gut ausgerüsteten Musiksaal aufhielt – und bald darauf, er war gerade mal 16 Jahre alt, der Lehranstalt verwiesen wurde. 1995, nachdem sich Marque einige Zeit als Komponist von Werbejingles über Wasser gehalten hatte, geriet sein Debütalbum "Wanna make Love to you" zu einem Achtungserfolg, den er jedoch mit dem zweiten Album "Fonkononia" nicht wiederholen konnte.

Nun ist Marque längst von Feldkirch/Österreich nach Stuttgart gezogen und bei Edel in Hamburg unter Vertrag. Dort erscheint am 5. Juni 2000 sein drittes Album "Freedomland". Ein expliziter Singlehit, der sich zwischen so grausigen Acts wie French Affair, Gigi d’Agostino oder Bomfunk MC’s in den höchsten Regionen der aktuellen Hitparaden wird herumtummeln können, ist auf der CD nicht vorhanden. Dies dürfte aber weniger an Marque selbst liegen denn an dem einfach scheußlichen Geschmack der jungen Singlekäufer.

Zusätzlich setzt sich der Eindruck fest, Marque arbeite überhaupt gar nicht für einen schnellen Hit, der heute angesagt und morgen wieder vergessen ist. Ähnlich wie sein Vorbild Prince hat der 26jährige Multiinstrumentalist eine Vielzahl bereits fertiger Lieder – 360 an der Zahl – im Kasten, aus denen er sicher auch in Zukunft die besten heraussuchen und zur Veröffentlichung freigeben wird. "Freedomland" enthält zwar noch nicht den "perfekten Popsong", aber die meisten Lieder dieser CD gehen in genau diese Richtung. Und Prince gelang der "perfekte Popsong" – nehmen wir mal "When doves cry" als Beispiel – auch erst auf seinem fünften oder sechsten Album – und dies zu einer Zeit, als viele Menschen nach eben jenem "perfekten Popsong" hungerten, und nicht nach klebrigem, billigen Eintagspop.


 
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