© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Unübersichtlich wie die Welt selbst
Weltausstellung: Die Expo 2000 wird in Hannover eröffnet / 180 Länder stellen aus – ohne die USA
Ronald Gläser

Die Expo 2000 in Hannover ist ein Jahrundertprojekt, an dem die Organisatoren unter Leitung von Birgit Breuel ein Jahrzehnt gearbeitet haben. Jetzt kommt die Zeit der Bewährung, denn am 1. Juni öffnet die Weltausstellung ihre Pforten für fünf Monate. Bis zum 31. Oktober kann die Hannover-Messe täglich besucht werden. Der offizielle Titel "Mensch-Natur-Technik – eine neue Welt entsteht" ist für viele Interpretationen offen, um nicht zu sagen, er sei inhaltslos. Die Veranstalter rechnen mit bis zu 40 Millionen Besuchern. Allerdings wurden die weitreichenden Prognosen in den letzten Tagen vor der großen Eröffnung heruntergeschraubt. So verlief der Verkauf der Karten für die ersten Tage mehr als schleppend. Das größte Kontingent hat bisher die Bahn abgenommen, die die Karten weiterverkaufen möchte. Gegenüber der Weltausstellung muten Messen wie CeBit, Funkausstellung oder IAA eindimensional an. Es gibt keinerlei inhaltliche Vorgaben. Präsentiert werden Projekte, Länder oder künstlerische Darbietungen bis hin zur Gutenberg-Bibel. Die ganze Ausstellung mit 180 Ländern und unterschiedlichen Organisationen und Firmen ist so unübersichtlich wie die Welt selbst. Jedes Land hat seinen eigenen Pavillon. Dazu kommen die überregionalen Organisationen wie die Europäische Union oder die OECD. Aber auch das Internationale Olympische Komitee und das Rote Kreuz, das Goethe-Institut und die Kreditanstalt für Wiederaufbau beteiligen sich an der Ausstellung. Und natürlich dürfen die großen Konzerne nicht fehlen, die Forschungs- und Entwicklungsleistungen vorführen. Selbst das Oberhaupt der katholischen Kirche ist unter den Ausstellern zu finden. Der Heilige Stuhl präsentiert eine der ältesten Christusdarstellungen, die noch niemals den Vatikan verlassen hat. Das Gastgeberland zeigt die "Ideenwerkstatt Deutschland". Zusätzlich verfügen alle Bundesländer über eigene Präsentationen. So steht im Mittelpunkt der Berliner Selbstdarstellung ein Stück der Mauer, während sich Niedersachsen auf den VW-Käfer als Synonym für das Wirtschaftswunder und deutsche Wertarbeit konzentriert. Zum herausragenden kulturellen Begleitprogramm wird eine komplette Aufführung von Goethes "Faust" gehören, wofür seit Monaten geprobt wird. Ob Leute wie Herbert Grönemeyer oder "Hip Hop"-Sänger zum Kreis der Künstler gehören, wie das in der Expo-Selbstdarstellung suggeriert wird, sei dahingestellt. Frankreich dagegen setzt bei der Selbstdarstellung neben seinen kulturellen Leistungen vor allem auf die Vorstellung umweltschutzbezogener Projekte. Außerdem steht die Rekonstruktion einer 5.000 Jahre alten Kupfermine in Südfrankreich im Vordergrund. Afrikanische Länder stellen vorwiegend Entwicklungshilfe- und Wirtschaftsförderungsprogramme aus. Die Palette reicht von "Dörflichen Finanzdienstleistungen" (Äthiopien) bis zur "Verbreitung handbetriebener Bewässerungspumpen" (Kenia). Soziale und wirtschaftliche Veränderungen und deren Auswirkungen bilden auch das Hauptthema anderer Staaten. So stellt Peru die eigenen Bemühungen vor, das krisengeschüttelte, verarmte Land wieder auf den rechten Weg zu führen. Die "Vision 2021", das 200. Jahr der peruanischen Unabhängigkeit, soll die Ausweitung der Spanne zwischen Armen und Reichen aufhalten und eine gerechte Ordnung im Lande herstellen. Falls man vor dem Hintergrund der vielen Superlative das überhaupt sagen kann, dann kann der japanische Stand als besonders sehenswert gelten. Nippon hat mit mehreren Sondergenehmigungen den Bau eines mehrgeschossigen Pavillons aus Papier erwirkt. Dagegen vereint der nepalesische Auftritt beide Religionen des Landes, Hinduismus und Buddhismus, in Form zweier Gotteshäuser. Die Einzelteile der Super-Pagode wurden von mehreren hundert nepalesischen Familien erstellt und in Hannover zusammengezimmert. Ein zentraler Punkt der Weltausstellung ist der Umweltschutz im Sinne der Rio-Konferenz Anfang der neunziger Jahre. Im Themenpark werden ganz unterschiedliche umweltbezogene Aspekte wie "Ernährung" oder "Mobilität" von staatlichen und privaten Organisationen thematisiert. Im Themenbereich Mobilität werden von Automobilkonzernen, Fluggesellschaften und anderen Unternehmen, deren Betätigung mit Verkehr zu tun hat, moderne Möglichkeiten zur Vernetzung von Verkehrssystemen gezeigt. Die Stadt Hannover, die selbst auch mit einem Stand auf der Messe vertreten sein wird, ist große Messen gewohnt, auch wenn eine Weltausstellung natürlich den bisherigen Rahmen sprengt. Trotz aller Vorbereitungen wird die Stadt überquellen mit Messebesuchern. Aber die Expo ist nicht auf die niedersächsische Hauptstadt beschränkt. Im Fahrwasser der Ausstellung werden in mehreren deutsche Städten – selbst an der entfernten mecklenburgischen Ostseeküste – Messen stattfinden, die im direkten Zusammenhang mit der Expo stehen. So setzt die Stadt Wilhelmshaven ihre Hoffnungen auf die "Expo am Meer", in die rund 300 Millionen Mark investiert worden sind. Im Mittelpunkt der maritimen Aspekte der Weltausstellung steht die futuristische Tiefseestation "Oceanis", die bereits ihre Pforten geöffnet hat. Die Sicherheit der Veranstaltung ist vor dem Hintergrund der früheren Chaostage in Hannover eine besondere Herausforderung für die Veranstalter. Die deutsche Polizei steht nach eigenen Angaben vor dem größten Einsatz ihrer Nachkriegsgeschichte. Auch der Bundesgrenzschutz soll seinen Teil zur Gewährung von Sicherheit und Ordnung beitragen. 3.000 Beamte werden in und um Hannover eingesetzt. Die Expo 2000 wird bis zum 31. Oktober jeden Tag von neun Uhr bis Mitternacht geöffnet sein. Eine normale Tageskarte kostet 69 Mark. Allerdings sind die Eintrittspreise in einer Tabelle gestaffelt, die schwieriger als das Tarifmodell eines Mobilfunkanbieters ist. Für stolze 3.999 Mark kann beispielsweise eine Dauerkarte erworben werden. Weitere Informationen finden sich auf der umfangreichen Internetseite www.expo2000.de  die einen Vorgeschmack auf die Vielfältigkeit und Unübersichtlichkeit zugleich liefert.


 
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