© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Stettin und Danzig gibt es nicht mehr
Fahrplanwechsel 2000: Die Bahn verbannt deutsche Ortsnamen aus dem Kursbuch
Martina Zippe/Jörg Fischer

Seit vergangenem Sonntag gilt der Sommer-Fahrplan der Bahn AG. Der neue Plan bringt einige Neuerungen. So fahren jetzt regelmäßig Neigetechnik-ICE-Züge zwischen Berlin und München sowie zwischen Frankfurt/Main und Dresden. Sie verkürzen die Fahrzeit um knapp 50 Minuten. Doch gleich am ersten Tag starteten die neuen Züge mit einer Panne: Wegen eines defekten Triebkopfes konnte ein ICE in Dresden erst mit einstündiger Verspätung abfahren. Ein Ersatzzug sei in Leipzig eingesetzt worden, der allerdings nicht mit ICE-Geschwindigkeit fahren konnte. Für die schnellere Verbindung müssen die Kunden ohne Bahncard allerdings auch tiefer in die Tasche greifen. Statt des bisherigen IC-Zuschlags von sieben Mark bezahlen sie nun 14 Mark. Das neue Kursbuch 2000/2001 der Deutschen Bahn AG (DB) bringt neben Verbesserungen im innerdeutschen Fernverkehr und massiven Streichungen in der "Provinz" noch eine weitere Neuerung, die mit wirtschaftlichen Zwängen überhaupt nichts zu tun hat: Wie bis 1989 in der DDR üblich, werden alle ehemals deutschen Bahnstationen nur noch auf polnisch oder russisch aufgeführt!

In allen bisherigen Kursbüchern der DB wurde dem amtlichen ausländischen Namen in Klammern der gebräuchliche deutsche Bahnhofsname beigefügt. Diese zusätzliche Angabe der traditionellen deutschen Ortsnamen war eine gute Orientierungshilfe, wenn man sich Verbindungen in den ehemaligen deutschen Osten oder nach Böhmen heraussuchte. Gerade viele Deutsche, die aus diesen Gebieten stammen, werden diese Ortsnamen schmerzlich vermissen. Was bezweckt die DB mit dieser Änderung? Wem nützt das? Gab es politische Einflußnahme von Rot-Grün? Immerhin ist der Bund noch Eigentümer der Bahn und DB-Chef Mehdorn kam "politisch" ins Amt. Oder ist es einfach nur zeitgeistgerechte "Internationalität"? Das würde zum Namenswechsel von "Deutsche Bahn" zu "Die Bahn" passen. Die JF berichtete kürzlich darüber. Ob für das nächste Kursbuch geplant ist, Köln als Cologne und München als Munich zu bezeichnen, war allerdings noch nicht in Erfahrung zu bringen.

Doch damit ließ es die Bahn nicht bewenden: Auch bequeme, durchgängige Züge nach Pommern und Ostpreußen soll es nach dem Willen der Bahn-Oberen nicht mehr geben. Trotz der stundenlangen Wartezeiten für Pkws an der heutigen deutsch-polnischen Grenze will die DB mit Inkrafttreten des Sommerfahrplans diese Zugverbindungen drastisch verschlechtern. Die drei InterRegio-Zugpaare (IR) zwischen Berlin und dem pommerschen Stettin werden ersatzlos gestrichen. Auch alle Direktverbindungen nach Danzig und Königsberg entfallen. Es wird nur noch Regionalzüge geben, was zeitraubendes Umsteigen bei oft schlechten Anschlüssen bedeutet.

Begründet wird diese Einsparmaßnahme mit "mangelnder Rentabilität", so die DB-Sprecherin Marlene Schwarz. Die Fahrgastinitiative "Mare Balticum" sieht die Züge hingegen gut ausgelastet. In den Statistiken der Deutschen Bahn tauchten aber viele Reisende nicht auf, da sie die Fahrkarten nur bis zur polnischen Grenze kaufen und dann im Zug bei den polnischen Schaffnern nachlösen würden, so der Sprecher der Initiative, Detlef Lutz in Berlin. Dies liege daran, daß die Fahrkarten in Polen erheblich billiger seien. Die Bahn habe vielmehr rationalisiert, weil sie an den Zügen nach Polen nicht viel verdiene, zumal nur der kleinere Teil durch deutsches Gebiet führe, so Lutz. Durchgängige Züge sind aber gerade im Sommerhalbjahr für den Urlauberverkehr außerordentlich wichtig, wie Jochen Elsner, Vizepräsident des deutschen Vereines in Lyck betont. Der IR "Berlin" nach Masuren sei bisher bei den Erholungssuchenden, die zur masurischen Seenplatte reisten, außerordentlich beliebt gewesen und war ab Allenstein sogar regelmäßig überfüllt. Viele Touristen hätten das bequeme Angebot genutzt, Fahrräder und sogar Kajaks im Zug mitzunehmen. Die Fremdenverkehrsbranche in Südostpreußen gerate nun in eine schwierige Lage. Die Arbeitslosigkeit liege dort bereits bei 21 Prozent; viele Landwirte machten daher auch Ferienangebote auf ihrem Hof, aber "was nützen alle attraktiven Angebote vor Ort, wenn sie nur schwer erreichbar sind", so Elsner. Schließlich hätten wegen der vielen Autodiebstähle noch etliche Deutsche Angst, mit dem eigenen Pkw zu kommen. Mindestens eine Tages- und eine Nachtverbindung von Berlin nach Danzig müsse daher erhalten bleiben, fordert Detlef Lutz von "Mare Balticum", zumal die wirtschaftlichen Ost-West-Verbindungen in Europa nun intensiver würden. Der Linienbusverkehr, den die Deutsche Bahn anpreist, sei keine Alternative, da er nicht genügend Reisende aufnehmen könne und gerade für ältere Reisende zu beschwerlich sei. Lutz ruft die Bürger daher zu einer Unterschriftenaktion gegen die Rationalisierungsmaßnahmen auf. Die Unterschriften sollen dem Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages übergeben werden.

 

Mare Balticum: Informationen und Unterschriftenlisten der Initiative können angefordert werden bei der Fahrgastinitiative "Mare Balticum", Detlef Lutz, Apoldaer Straße 5, 12249 Berlin, Tel. 030 / 7 11 82 99.


 
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