© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Pankraz,
der Runenduft und die Leipziger Gotikwelle

Zum neunten Mal nun schon steigt zu Pfingsten in Leipzig das "Wave-Gotik-Treffen", wohl die originellste Großveranstaltung, die es zur Zeit in Deutschland gibt. Zehntausende von Besuchern aus allen Gegenden werden erwartet, die logistischen Probleme sind riesig, nicht nur unzählige Konzertpodien müssen aufgebaut werden, sondern dazu Zeltlager und Freßstände, Feuerspektakel und "Schwarze Tanzmeilen", mittelalterliche Badestuben und altkeltische Hinkelsteinbezirke. Und alles muß "autochthon" sein, wie von Merlin selbst hingezaubert, romantisch, vorzeitlich, eben "gotisch". Hinter jeder Ecke muß eine Überraschung lauern, eine Trouvaille, eine Erinnerung.

Zudem gilt es jedesmal wieder, die einerseits umsatzgierigen, andererseits politisch mißtrauischen administrativen Kräfte der Stadt Leipzig zu überzeugen, zur Duldung und zur dezenten Mitarbeit zu bewegen. Die bereitstehenden Störtrupps aus der linken Antifa-Szene müssen neutralisiert, die zahllosen Spitzel des Verfassungsschutzes, die schon beim Anblick der kleinsten Rune ins Delirium verfallen und in ihre Kladde "Rechtsextremismus" eintragen, müssen blamiert werden.

Auch ist wichtig, sich mit den Pfaffen aus der evangelischen Orthodoxie zu arrangieren, damit man gewisse Konzerte in Kirchen plazieren kann, in der berühmten Nikolaikirche beispielsweise, in der historischen Peterskirche, in der Reformierten Kirche, wo am Pfingstmontag das Ensemble Belladonna "süße Klänge aus dem mittelalterlichen England" darbieten will. Das "Wave-Gotik-Festival" soll ja keineswegs ein exklusives Treffen der "Satanisten" und der "Grufties" sein, sondern die ganze Breite der alteuropäischen Tradition soll aufleuchten, Heidnisches und Christliches, Helles und Finsteres, Hexen und Heilige.

Was in den letzten Jahren so erstaunte, war die überall merkbare Spontaneität des Treffens, der "Drive von unten", wie es ein Teilnehmer ausdrückte. Die Organisatoren, keine abgefeimten, an Millionenumsätze gewöhnten Veranstalter-Profis, sondern durch die Bank junge Leute mit Studentenhabitus, boten stets nur den Rahmen, den die angereisten Festivalgäste dann von sich aus ausfüllten. Es gab keine professionelle "Wissenschaftsberatung", es wurde nichts krampfhaft nachgestellt, nichts "gespielt", alles kam auf den Flügeln der Phantasie und speiste sich aus den Tiefen romantischer Sehnsucht.

Ohne weiteres läßt sich das Leipziger Wave-Gotik-Treffen als genaues Gegenstück zur Berliner "Love Parade" beschreiben. Dort in Berlin distanzlose, einfallslose "Modernität": Millionen nackter Körper unter greller Sonne, die konvulsivisch zucken und ihr bißchen Inneres mit schwitzendem Eifer nach außen wenden, damit jeder sehen kann: Es ist nichts drin, wir sind, die wir halt sind, und alle sind gleich und zappeln nach den selben Rhythmen, die schlaue, geldgierige Manager angeworfen haben. In Leipzig dagegen Maskenspiel und Helldunkel, Verbergung in der Entbergung, nichts weniger als planes Einverstandensein mit der Gegenwart, sondern heimlicher Protest und vergnügt-grimmiges Hexenspiel.

Dabei wirkt aber Leipzig nicht weniger modern als die "Love Parade", eher noch moderner. Die Musik ist Ausweis dafür. Es dominieren eindeutig "Dark Metal" und "Electromania", und die Bands tragen so horrible Namen wie Zeitgeist, Catastrophe Ballet, Love is colder than death. Es ging nicht gemütlich zu auf den letzten Leipziger Pfingsttreffen, die dunklen und grellen Aspekte überwogen denn doch, niemand wollte heile Welt.

In diesem Jahr wird es kaum anders sein. Nichts wird beim "Wave-Gotik-Treffen" verdrängt, im Gegenteil. Während die "Love Parade", bei aller Aufgekratztheit, ein durch und durch feiges Unternehmen ist, bei dem immer nur Freude, Friede, Eierkuchen beschworen wird, verschränken sich in Leipzig Tod und Leben, Freude und Schmerz, Hochzeitskleid und Sarg.

Und niemand wird ausgegrenzt. Solche Unterscheidungen wie links und rechts gelten dort einfach nicht. Man stellt sich als junge Generation insgesamt tapfer der Wirklichkeit, wie sie jenseits aller aktuellen politischen Verabredungen nun einmal ist. Man sucht nicht das "Glück", sondern demonstriert und lernt, daß das Dasein ein sehr gemischtes Ding ist, daß jedoch gerade darin seine Faszination liegt und daß die Welt ärmer wäre, wenn sie nur aus lauter glücklichen Tagen bestände.

Berlins "Love Parade" ist ein öde materialistischer, gänzlich dieseitiger Stiefel. Leipzigs Wave-Gotik-Treffen ragt kräftig in transzendente, metaphysische Gegenden hinein. Die Geister fahren ein und aus und werden als höchst reale, völlig gleichberechtigte Wesen willkommen geheißen und akzeptiert.

Unter den hartmetallenen Klängen der Bands entfalten sich Märkte der unwahrscheinlichsten Möglichkeiten. Heilkräuter und Düfte der Anden werden gehandelt, Märchenerzähler und Runenkünstler hocken herum, Astrologen und Traumdeuter, Töpferscheiben und andere authentische Handwerkspraktiken sind in Betrieb, des Nachts ziehen "Waldläufer" los, um den heimlichen Geräuschen der Natur zu lauschen und eventuell einem "Untoten" über den Weg zu laufen.

Die Welt soll, nach den Worten der Festivalchefin Christiane Kuz, zu Pfingsten in Leipzig "nach allen Horizonten hin offen sein", und das ist, findet Pankraz, ein höchst löblicher Vorsatz, der Sympathie und Anteilnahme verdient. Man darf gespannt darauf sein, ob und wie es dem Festival gelingen wird, sich im Terminplan der Nation einen Dauerplatz zu erhalten.

Für Pfingsten 2002 ist in Leipzig schon mal das Deutsche Turn- und Sportfest angesagt, das für "Wave Gotik", wie die Stadtverwalter andeuten, keinen Platz lassen werde. Nun, immerhin könnte es sein, daß sich im Kulturbeutel der Sportler bis dahin einige Runen und Andendüfte angesammelt haben.


 
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