© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Kulturtagebuch: Wenn Kunstwerke für Müll gehalten werden ...
Die Würde des Künstlers
Frank Philip

Es ist eine altbekannte Geschichte: ein Museum, eine Fettecke, eine übereifrige Putzfrau, ein Sachschaden in Millionenhöhe. Nicht nur Joseph Beuys mußte erleben, daß aus Unwissenheit sein schönes Kunstwerk vernichtet wurde. Barbarische Ignoranz, verbunden mit Reinheitswahn, ist auch keineswegs nur eine deutsche Unart, wie man vermuten sollte. Bedauerliche Nachrichten zum Ende einer Skulptur von John Chamberlain, bestehend aus verschweißten Autoteilen, ereilten uns vor nicht langer Zeit aus New York. Bei der Vorbereitung einer Schau wurde das Kunstwerk auf dem Gehweg vor der Galerie abgestellt. In einem unbeachteten Moment kam ein Wagen der Müllabfuhr vorbei, nahm den vermeintlichen Schrott mit und entsorgte ihn.

So etwas kommt in den besten Häusern vor. Aus Schaden wird man klug und prüft – jetzt auch beim Auktionshaus Sotheby’s – besser zweimal, bevor man leere Transportkisten in die Schreddermaschine steckt. Es könnte beispielsweise ein wertvolles Ölgemälde darin liegen. Im Fall Sotheby’s ging es konkret um das Bild "Small Zimmerlinde" des Malers Lucien Freud.

Oft gehen die Dinge nicht durch Unwissenheit oder Unachtsamkeit verlustig, sondern werden geklaut. Manchmal von Leuten, die ihre Beute gar nicht zu schätzen wissen, was besonders ärgerlich ist. Unerwartet schnell konnte in Berlin dieser Tage ein größerer Kunstraub aufgeklärt werden. Eine Speditionsfirma hatte einen Lieferwagen in einer Seitenstraße geparkt, darin befanden sich Waren für Auktionshäuser und private Galerien. Das Auto wurde aufgebrochen und von den Dieben vermutlich nach Osten verschoben, nicht ohne zuvor den Kofferraum auszumisten! Umweltbewußt wie die Täter nun einmal waren, trennten sie sorgfältig nach Material: Einige "nierenförmige Blechplatten" eines zeitgenössischen Künstlers (Wert 45.000 DM) wanderten in den Metallcontainer, eine Mappe mit Zeichnungen (Wert rund 300.000 DM) landete im Altpapier. Erst durch die Zeitung erfuhren die Autoknacker von der wahren Natur ihrer Beute und verhökerten den Rest für ein paar tausend Mark.

Passieren solche Geschichten nur mit moderner Kunst, deren Schönheit und Wert für den Laien nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist? Dazu eine Geschichte aus England. Im Londoner Courtauld Institut hängt (heute wieder) eine sehr feine Grisaille von Pieter Brueghel. Die kleine Tafel zeigt Christus und die Ehebrecherin. Vor zehn Jahren war das Gemälde plötzlich verschwunden, und erst nach langen Ermittlungen konnten die Täter bei einer Lösegeldübergabe gefaßt werden. Einer der Hehler gab sich völlig unschuldig. Weder die biblische Darstellung noch der berühmte Name Brueghel seien ihm bekannt. "Was zum Teufel ist ein Brueghel. Es war nicht einmal 40 Zentimeter breit, ein richtiges Micki-Maus-Bild."

Einen Mann wie Brueghel träfe diese Schmähung wohl kaum, da seine Leistung unumstritten ist. Moderne Künstler dagegen müssen mit ihren ach-so-orginellen Arbeiten weltweit gegen das Banausentum kämpfen. Daher sind sie viel empfindlicher. Das Berliner Polizeipräsidium ließ im Fall der "nierenförmigen Metallplatten" verlauten, die Identität des Künstlers werde nicht bekanntgegeben, "um dessen Würde zu wahren".


 
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