© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Biedermeiers Schwermut
Vor 125 Jahren starb der schwäbische Dichter Eduard Mörike
Magdalena S. Gmehling

Am 4. Juni jährt sich zum 125. Male der Todestag des schwäbischen Dichters Eduard Mörike. Er gilt als herausragende Gestalt der literarisch bedeutsamen Schwabenkreise. Sein gleichmäßig stilles Leben, seine Gelassenheit und Heiterkeit lassen wenig von der schmerzhaft-ringenden, oft auch gequälten Seele einer doppelbödigen Biedermeierexistenz in der vermeintlich halkyonischen Epoche zwischen 1820 und 1870 ahnen.

Der Dichter wurde am 8. September 1804 in Ludwigsburg geboren. Er studierte Theologie und war bis 1843 Geistlicher. Nach seiner Pensionierung , führte er ein einsam versponnenes Leben in Bad Mergentheim, Schwäbisch-Hall, Nürtingen und Stuttgart, wo er am Ka- tharineninstitut von 1851 bis 1866 Literatur lehrte. 1875, in der Morgenröte der hektischen Industralisierung des neuen Reiches, ist Mörike, der Plastiker der Sprache, dem die Natur alles wurde, in Stuttgart nach seinem Leben "holden Bescheidens" verstorben.

In seinem lyrischen Werk beruft sich der mystisch-seherisch veranlagte wie erdhaft-urwüchsig empfindende Schwabe auf die klassische Antike. Er verarbeitete auch Einflüsse der Romantik und des Volksliedes. Bei der Schilderung von Naturvorgängen neigt er bereits zum Realismus: "Im Nebel ruhet noch die Welt,/Noch träumen Tal und Wiesen:/Bald siehst du wenn der Schleier fällt,/ Den blauen Himmel unverstellt,/Herbstkräftig die gedämpfte Welt/In warmem Golde fließen."

Die beseelte Sprache des Dichters ergreift in ihrer Grazie. Sie ist dem Zeitlos-Schönen und dem zarten scheuen Wohllaut verschwistert. Die Lust zum Fabulieren lag dem Dichter im Blut. Sein Herausgeber Maync bescheinigte ihm, daß sich in seinem Werk Goethe und Novalis in ihrer Märchenkunst die Hand reichen. So umfaßt die Themenpalette der Werke gemütvoll warme und lustig fesselnde Erzählungen wie "Der Schatz" (1836), ergreifende orientalische Zaubermärchen "Die Hand der Jezerte" (1841) sowie schalkhafte und innig-zarte buntfarbigen Gewebe wie "Das Stuttgarter Hutzelmännlein" mit der Historie von der schönen Lau. Der Dichter schrieb außer mythischen Naturballaden auch elegische Versidyllen, zum Beispiel die "Idylle vom Bodensee" (1846), und leidenschaftlich erschütternde Liebeslieder, die auf dem Hintergrund der Begegnung mit der Landstreicherin Maria Meyer (Peregrina) entstanden sind.

Den Erzähler Mörike lernen wir in seinem Jugendroman "Maler Nolten" (1832) kennen. Immer wieder hat man darauf verwiesen, Goethe habe mit "Wilhelm Meisters Lehrjahren" hier Pate gestanden.Die Zweitfassung des romantisch-mystischen mitunter etwas formlos anmutenden Jugendwerkes wurde schließlich von Mörikes Freund Klaiber vollendet und liegt seit 1877 in der Göschenschen Original-Gesamtausgabe vor. Besondere Schönheiten enthüllen die eingestreuten Gedichte, die oft im Volkston gehalten sind. So gehört die gespenstisch düstere "Ballade vom Feuerreiter" aus der Lohgasse zum Grundbestand deutscher Lesebücher.

Hohe Musikalität offenbart Mörikes letzte größere Schöpfung, die Novelle: "Mozart auf der Reise nach Prag" (1855). Mörikes mitschwingender Empfindsamkeit gelang es, musikalische Schönheit wunderbar in Worte zu fassen. Wie Wolfgang Amadeus Mozart war er beides, echter Künstler und glückliches, liebenswürdiges Kind. Meisterhaft ist diese Prosa am Rande der Schwermut und des Leidens, die in dem schlichten, vom Wissen um den nahen Tod gezeichneten Lied "Ein Tännlein grünet wo ..." endet.

Der seelenverwandte Dichter schreibt: "Mozart löschte ohne weiteres die Kerzen der beiden neben ihm stehenden Armleuchter aus, und jener furchtbare Choral ’Dein Lachen endet vor der Morgenröte‘ erklang durch die Totenstille des Zimmers. Wie von entlegenen Sternenkreisen fallen die Töne aus silbernen Posaunen, eiskalt, Mark und Seele durchschneidend, herunter durch die blaue Nacht."

Gegen Ende der Novelle aber läßt er die gräfliche Nichte Eugenie die Tragik des Künstlerlebens in Worte fassen: "Es war gewiß, daß dieser Mann sich schnell und unaufhaltsam in seiner eigenen Glut verzehre, daß er nur eine flüchtige Erscheinung auf dieser Erde sein könne, weil sie den Überfluß, den sie verströmen würde, in Wahrheit nicht ertrüge."

Eduard Mörike, der abseits vom Zeitgeschehen Künder einer neuen Weltfrömmigkeit wurde, überrascht den heutigen Leser mit seinem Sinn für Harmonie und Schönheit, mit sinnlicher Kraft und Ausgeglichenheit. Rhythmus und Klang seiner Verse verraten ausgeprägte Musikalität. Er ist ein Meister der deutschen Sprache, dessen Lebensernst und persönliche Tragik unter dem Schutzschild der Idylle verborgen blieben und der "im Sprung die königlichen Flüge" wagte.


 
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