© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Europäische Feigheit
von Ekkehard Schultz

Der 42. Träger des Karlspreises ist zum dritten Male ein Amerikaner. Nach den Außenministern George C. Marshall und Henry A. Kissinger wurde nun also auch William Jefferson Clinton wegen seiner Leistungen "zur Erweiterung und Vertiefung der Union (der europäischen Staaten), zur Wahrung der Menschenrechte und der Freiheit" mit der Auszeichnung bedacht, die besondere Anstrengungen zur politischen, wirtschaftlichen und geistigen Einigung Europas würdigen soll.

Grundsätzlich kann man über die bisherigen Leistungen Clintons unterschiedlicher Ansicht sein. So ist seine bisherige amerikanische Vorstellung durchaus beachtenswert. Es sind Tatsachen, daß Clinton die guten US-Konjunkturdaten clever für seine Zwecke zu nutzen versteht, das Land während seiner Amtszeit bislang eine große wirtschaftliche Blüte verzeichnete und einen erheblichen Überschuß an Steuereinnahmen aufweist. Eine angemessene Ehrung im amerikanischen Rahmen wäre also durchaus vorstellbar. Doch dort hat man ihm einen "transatlantischen" Karlspreis bislang versagt.

Womit aber verdient Clinton einen europäischen Preis? Da verböte sich eigentlich die Ehrung gemäß abendländisch-ethischer Werte aufgrund der moralischen Defizite von selbst. Er erhielt ihn jedoch "für sein mutiges Einschreiten – auch unter Einsatz militärischer Mittel – zur Erhaltung von Regeln und ethischen Normen sowie der Herrschaft des Rechts" in Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo. Besser wurde uns europäische Feigheit noch nie vor Augen geführt.


 
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