© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Überregulierung
Karl Heinzen

Hinter den Bemühungen, die mit dem Beruf der Prostituierten immer noch verbundenen rechtlichen Diskriminierungen zu beseitigen, verbirgt sich mehr als nur der Wunsch nach einer Versachlichung der Geschlechterbeziehungen. In erster Linie handelt es sich wohl um ein Signal, daß die Politik nicht nur auf die neuen Dienstleister bauen will, wenn es gilt, Kurs auf die Arbeitsgesellschaft der Zukunft zu nehmen.

Eine Reform nimmt Konturen an: Zuhälter sollen in Zukunft nicht mehr belangt werden, sofern die von ihnen gemanagten Frauen ihrem "Beruf" freiwillig nachgehen. Damit ist, so Christel Hanewinckel (SPD), die Vorsitzende des Frauen-Ausschusses des Deutschen Bundestages, nicht allein den Arbeitnehmerinnen gedient: "Wer als Zuhälter gute Arbeitsbedingungen bietet, darf nicht länger bestraft werden." Außerdem soll das Geschäft zwischen der Prostituierten und ihrem Kunden nicht mehr als sittenwidrig gelten. Nicht erbrachte Leistungen könnten daher in Zukunft von den Vertragsparteien eingeklagt werden. Und schließlich ist auch eine soziale Komponente bedacht: Prostituierte, die ihren Job verlieren, sollen Anspruch auf Arbeitslosengeld sowie auf Fortbildungsmaßnahmen des Arbeitsamtes haben.

Was auf den ersten Blick als ein nach zwei- bis dreitausend Jahren europäischer Sittengeschichte längst überfälliger Akt der Modernisierung erscheinen könnte, der noch dazu eine große Zahl von Existenzgründungen nach sich zieht, bietet letztendlich doch vor allem Anlaß zur Besorgnis. Bislang hat die Bundesregierung den Eindruck zu erwecken verstanden, daß sie, nicht anders als ihre Vorgängerin, auf Deregulierung und Flexibilisierung, auf eine stärkere Autonomie der Wirtschaftssubjekte bei gleichzeitiger Zurückdrängung staatlicher Gestaltungsansprüche setzt. Nun aber vollzieht sie eine Kehrtwendung und ist bestrebt, ausgerechnet jenes Gewerbe den Ordnungsvorstellungen der öffentlichen Hand zu unterwerfen, das seit Menschengedenken sehr gut ohne diese auskommen und prosperieren konnte. Ohne Not bürdet sich der Staat hier Verantwortung auf, anstatt die in vielen Aufmachern der Boulevardpresse dargestellten und daher einer breiten Öffentlichkeit bekannten Selbst-regulierungskräfte des Marktes für geschlechtliche Dienstleistungen als Vorbild zu nehmen, das die Entlassung zahlreicher weiterer Märkte in die Freiheit vor paternalistischer Bevormundung rechtfertigt.

Vielleicht verbirgt sich hinter der rot-grünen Gesetzesinitiative aber auch so etwas wie ein Restwissen um das Wesen der Arbeit. Die Diskriminierung der Prostitution, so könnte die Überlegung sein, verdeckt, daß sich die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Kunden auch in allen anderen Bereichen des Wirtschaftsleben nach vergleichbaren Prinzipien gestalten. Solche Täuschungsmanöver hat eine Wirtschaftsordnung, die derart unangefochten ist wie die unsrige, in der Tat nicht mehr nötig.


 
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