© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Erich Ribbeck
Der Notnagel
von Peter Boßdorf

Die Liste seiner Triumphe ist kurz. Beim Wuppertaler SV und Viktoria Köln wurden ihm solche als aktiver Fußballspieler nicht zuteil. Als Trainer war er zwar drei Jahrzehnte im Geschäft, aber nur mit Bayer Leverkusen einmal erfolgreich, 1988, als man im Elfmeterdrama gegen Español Barcelona den UEFA-Pokal holte. Ansonsten war Erich Ribbeck in der Bundesliga berühmt für die gute Figur, die er abgab, und für die Contenance, die er wahrte, wenn ein Vertrag zu Ende war. Seine branchenunübliche Vornehmheit hat ihm "Sir" als Spitznamen eingetragen, das nach dem Kaisertum seines Vorvorgängers zwar eine Rückstufung des Teamchefs der deutschen Nationalmannschaft signalisiert, zugleich aber offenlegt, von welchen Rängen aus der erneute Aufstieg erfolgen soll. Erich Ribbeck widerführe eine mehrfache Genugtuung, wenn ihm dieser glücken sollte. 1984 war er zugunsten von Franz Beckenbauer übergangen worden, als Jupp Derwall abtrat und er sich als dessen Assistent Hoffnungen auf die Nachfolge machen durfte. 1998 rief ihn der DFB aus dem Ruhestand auf Teneriffa zurück, um Berti Vogts zu beerben – eher als Notnagel denn als Hoffnungsträger. Eine gute Ausgangslage, um es allen zu beweisen.

Der Rückmarsch an die Spitze soll die Elf in schwarz-weiß in den nächsten Wochen gleich zweimal in die Feyenoord-Arena "De Kuip" nach Rotterdam führen. Am 20.Juni gilt es, gegen Portugal den Einzug ins Viertelfinale der Europameisterschaft zu besiegeln, um dann schließlich nach zwei weiteren Pflichtsiegen am 2. Juli – gegen wen auch immer – im Finale aufzulaufen. Diesen Minimalerfolg ist Erich Ribbeck der Statistik schuldig. Seit Helmut Schön erreichte jeder neue Teamchef in seinem ersten Turnier auf Anhieb das Finale.

Das deutsche Fußballherz aber verlangt mehr. Es begreift jeden entgangenen Titel als widernatürlich und somit als Ausdruck einer Existenzkrise des deutschen Fußballs. Es kann jeden Sieg, der nicht überzeugend und berauschend herausgespielt wurde, nur mit schlechtem Gewissen akzeptieren. Niemand will nach dem 3:2 gegen die Tschechen – immerhin die Zweiten in der aktuellen FIFA-Weltrangliste und damit vier Plätze vor den Deutschen – noch länger ausschließen, daß Erich Ribbeck vielleicht doch genau der richtige Mann ist, um hoch gesteckte Erwartungen zu erfüllen. Als Schüler der Trainerlegende Hennes Weisweiler weiß er um die Urgründe deutscher Spielkultur. Er verfügt über keine Auslandserfahrung, die ihn der Versuchung aussetzen könnte, sich an falschen Vorbildern zu orientieren. Aus seinen Jahren mit Jupp Derwall steht ihm noch vor Augen, wie auch aus durchschnittlichen Spielern eine erfolgreiche Mannschaft geformt werden kann. Es liegt nun in Ribbecks Hand, alles zweckundienliche Gerede über eine Stunde Null, die der deutsche Fußball nötig hätte, endlich zum Schweigen zu bringen. Ihm muß nur gelingen, was vor ihm noch keinem gelang: die Titelverteidigung in der Europameisterschaft.


 
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