© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Kronprinzen in Lauerstellung
System Biedenkopf: Jede Debatte um die Nachfolge des sächsischen Ministerpräsidenten gilt als Majestätsbeleidigung
Paul Leonhard

Ausgerechnet der Königsmacher mutiert jetzt zum Königsmörder. Arnold Vaatz hat in eine Debatte losgetreten, die, weil sie seit Jahren überfällig ist, die sächsische Union erschüttert. Der Mann, der vor zehn Jahren Kurt Biedenkopf für eine Kandidatur in Dresden gewann, forderte ihn nun auf, frühzeitig einem Nachfolger Platz zu machen.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete habe die richtige Frage zur falschen Zeit gestellt, raunt es in der Partei. Und vor allem im falschen Ton. Denn Vaatz schlägt Biedenkopf dessen eigene Argumente und alte Abrechnungen um die Ohren. 1997 hatte der Sachsen-Premier in einem Brief an CDU-Generalsekretär Peter Hintze, die Kanzlerkandiatur Helmut Kohls als Risiko für die Partei bezeichnet. Kohl sollte lieber den Weg für Erneuerung und Nachfolger freimachen. Dafür war Biedenkopf seinerzeit deutschlandweit kritisiert und aus den Reihen des eigenen Kabinetts gar als "Quartals-Irrer" bezeichnet worden. Auch wenn Vaatz damals in den Medien dementierte, der Urheber des Wortes zu sein, der Groll zwischen beiden sitzt tief.

Vernünftig klingen die jüngsten Vaatz-Äußerungen selbst in den Ohren vieler Christdemokraten. Mindestens anderthalb bis zwei Jahre vor den Landtagswahlen 2004 müsse Biedenkopf sein Amt an einen Nachfolger übergeben. So könne dieser mit dem Bonus des Regierungschefs zur Wiederwahl antreten. "Ich erwarte, daß Biedenkopf die Logik, die er auf Kohl angewandt hat, auch auf sich bezieht", fordert Vaatz, der genau weiß, daß jede Nachfolgedebatte am Hofe "König Kurts" als Majestätsbeleidigung aufgefaßt wird.

In keinem anderen Bundeslang sind Partei, Fraktion und Kabinett derart auf eine einzelne Person fixiert: Kurt Biedenkopf. Der inzwischen 70jährige Professor hat es verstanden, unter den Sachsen derart populär zu sein, daß er zumindest in den letzten zwei Legislaturperioden der einzige Garant für den überragenden Wahlsieg der Sachsen-Union war. Das reibt er den Parteifreunden denn auch stets unter die Nase, wenn sich leiseste Kritik an seiner Person regt. So ist die Landespartei sorgsam bedacht, "König Kurt" nicht zu verärgern. Zu groß ist die Angst, der Mann könnte "vor Ärger hinschmeißen". Und was würde dann aus der Union, die zu einem reinen Ministerpräsidenten-Wahlverein mutiert ist? Ohne eine charismatische Persönlichkeit an der Spitze, ohne einen Landesvater Biedenkopf erginge es ihr nicht besser, als den sächsischen Sozialdemokraten.

Das Ende der Ära Biedenkopf ist abzusehen. Der einstige Querdenker verliert an Macht und Einfluss. In der Bundes-CDU spielt er nur noch eine Nebenrolle. Längst ist in politischen Kreisen klar, dass eine Fortführung des "Systems Biedenkopf" in Sachsen Stagnation bedeutet. Der Zustand der Sachsen-Union gilt als katastrophal. Zur offenen Diskussion fehlt der Mut. Jeder der von Biedenkopf schon mal abgekanzelt wurde, schweigt künftig und intrigiert im Stillen. Auch die Landtagsfraktion ist alles andere als ein Hort politischen Erfindungsgeistes. Es fehlt frischer Wind. Die Folge: Debatten werden kaum geführt. Nur wenn der Chef im Ausland weilt, wird sich schon mal quer gelegt.

Wenn Vaatz den Ministerpräsidenten mahnt, sich nicht wie Jelzin zu gebärden, der in Gutsherrnart Putin zu seinem Erbe bestimmt habe, weiß er, wovon er spricht. Fast wie Hohn liest es sich, wenn die "Zeit" Biedenkopf bescheinigt, "den Nachwuchs im Auge" zu haben und dafür zu sorgen, "dass Talente kontinuierlich nachwachsen können". An sächsischer Wirklichkeit ist das glatt vorbeigeschrieben. Aufstrebende Talente wurden hier stets totgebissen oder weggemobt. Vaatz beispielsweise. 1990 galt der Mathamatiker als brillanter Analytiker, scharfer Formulierer und machtbewusster Politiker. Biedenkopf machte ihn zum Chef seiner Staatskanzlei, verbannte ihn aber sehr schnell ins Umweltministerium. Auch der einstige Hoffnungsträger Matthias Rößler wurde zum Schweigen gebracht. Als wissenschaftspolitischer Sprecher der Fraktion wagte der Radebeuler schon mal eine Attacke. Als er überdies Fraktionschef werden wollte, verhinderte das Biedenkopf und band den Aufmüpfigen als Kultusminister ins Kabinett ein. Dort ist er jetzt ins dritte Glied der Kronprinzengarde abgerutscht. 1997, als nach dem Autor des "Quartals-Irren" gefahndet wurde, ließ Rößler durchblicken, was in Sachsen los ist: Man dürfe nicht am Ast sägen, "auf dem wir alle sitzen".

Biedenkopf lasse in seinem Umfeld keine Talente zu, die ihm gefährlich werden können, behaupten Kritiker. Deswegen wurde Fritz Hähle CDU-Landes- und Fraktionschef. Der bedächtige Mann gilt als ergebener Statthalter. Eher destruktiv als konstruktiv agierend, weiß er genau, wem er seinen Doppelposten allein verdankt. Auch die neuen Minister, mit denen Biedenkopf im Herbst sein Kabinett verjüngt hat, glänzen wenig.

Aus ihnen könnte in drei bis vier Jahren ein Kandidat auserwählt werden, ließ der Regirungschef verlauten. Im Rennen sind damit Agrar- und Umweltminister Steffen Flath, der farblose Bundes- und Europaminister Stanislaw Tillich sowie Gleichstellungsministerin Christine Weber, die als potentielle Nachfolgerin für den gesundheitlich angeschlagenen Sozialminister Hans Geisler gilt.

Wahrscheinlichster Thronprinz ist aber Georg Milbradt. Er ist der mächtigste aller Minister am Tische Biedenkopf. Sachkompetent und detailversessen gilt er spätestens seit 1997, als er in der CDU-Steuerkommission Maßstäbe setzte, als einer der fähigsten Politiker im Osten. Milbradt wäre erste Wahl. Auf dem Döbelner Parteitag im Herbst wurde er zum Landes-Vize gewählt, seit April sitzt er auch im Bundesvorstand. Dem 55jährigen wird zugetraut, Biedenkopf zum langsamen Rückzug zu drängen. Aber Milbradt ist vorsichtig geworden. Er weiß, solange der Chef über ihm thront, ist jeder öffentlich geäußerte Gedanke über eine anzustrebende Nachfolge tödlich. Eine Erfahrung, die er zu Jahresbeginn 1997 machte. Damals kannte Biedenkopf ein Vierteljahr nur ein Thema, die Rentenreform. In der ungeführten Union schallten die Alarmklingeln: Würde ER nach Bonn wechseln wollen? Die Nervosität war so groß, daß ein komplettes Personaltableau für eine Zeit nach Biedenkopf aufgestellt wurde. Eine arbeitsfähiges Team mit Milbradt an der Spitze kam zu Tage.

Kurze Zeit später war der Plan nichts mehr wert und um die Karriere der "Verschwörer" war es schlecht bestellt. Er werde 1999 in Sachsen kandidieren und für den Fall seiner Wahl bis 2004 im Amt bleiben, erklärte Biedenkopf. Sein Verhältnis zu Milbradt kühlte merklich ab.

Auch jetzt gibt es Anzeichen, das Biedenkopf die Machtfülle des langjährigen und loyalen Weggefährten als Bedrohung empfindet. Den berührt das nach außen wenig. Als Biedenkopf einmal als Magnet beschrieben wurde, der übermütige Parteifreunde wie Eisenspänchen auf einem Blatt Papier wieder ausrichte, behauptete Milbradt: "Ich bin auch nur so ein Spänchen."

Während Biedenkopf die Nachfolgefrage hartnäckig offen hält, zieht er wohl im Hintergrund bereits die Fäden. Bisher ist er immer lange mit Personalentscheidungen schwanger gegangen. Hat er endlich eine Lösung gefunden, mußte es stets ganz schnell gehen. Andererseits, wer die Eitelkeit Biedenkopfs kennengelernt hat, dem scheint nicht ganz abwegig, wenn die FAZ Biedenkopf-Kritiker behaupten läßt: "Im Ruhestand will der doch seiner Frau sagen können: Ohne mich läuft es in Sachsen eben nicht."


 
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