© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Das Ende der Schweigespirale ist in Sicht
Elisabeth Noelle-Neumann kritisiert geistigen Konformismus und Strategien der Ausgrenzung
Andreas Wild

Für eine kleine Sensation am Rande der Adenauerpreisfeiern in München sorgte die Gründerin und langjährige Chefin des Meinungsforschungs-Instituts Allensbach, Elisabeth Noelle-Neumann. In einem knappen Beitrag zu der sich an die Feier anschließenden Podiumsdiskussion sagte die weltbekannte 81jährige Professorin, daß die Münchner Veranstaltung, vor allem die Auftritte von Ernst Nolte und Horst Möller, aber auch die der übrigen Debattenredner, einen "tiefen Eindruck" auf sie gemacht hätten, daß die ganze Veranstaltung in ihren Augen ein "Markstein" in der jüngsten geistespolitischen Geschichte der Bundesrepublik sei.

In der Tat fiel auf, wie präzise und offen in München über Hintergründe und Auswirkungen der berüchtigten "political correctness" gesprochen wurde, über das stickige Meinungsklima, das sich in ihrem Zeichen hierzulande ausgebreitet hat und das die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit mittlerweile akut bedroht. Solche Töne hatte man in diesen Kreisen noch nicht vernommen.

Bedächtige, im genauen Sinne "gutbürgerliche" (also eher ängstliche) Redner traten ans Mikrophon und taten kund, daß sie die Nase gewissermaßen gestrichen voll hätten von dem sich ausbreitenden Meinungsterror, der von der Berliner Regierung und von den ihr verbundenen Medien im Namen eines absichtlich diffus gehaltenen "Antifaschismus" ausdrücklich gefördert werde. Man dürfe sich das nicht länger bieten lassen. Initiativen dagegen auf breiter Teilnehmerbasis seien überfällig.

Elisabeth Noelle-Neumann erinnerte nun an die von ihr entdeckte und beschriebene "Schweigespirale", in die sich viele Bürger durch einseitiges Getöse dominierender, quasi regierungsamtlicher Medien drängen lassen. An sich sei der mentale Rückzug in die Schweigespirale nicht von vornherein verächtlich. Der Wunsch, "dazuzugehören", sich in der Mehrheit geborgen zu wissen und nicht ausgegrenzt zu werden, sei ein sozialer Ur-Antrieb und letztlich Voraussetzung für die Ermöglichung sozialen Zusammenlebens überhaupt.

Aber, so sagte Frau Noelle-Neumann, alles habe seine Grenzen, und die Grenzen in Sachen Schweigespirale seien in der Bundesrepublik erreicht und überschritten. Der geistige Konformismus und die Strategien der Ausgrenzung, der Themen-Tabuisierung und des Verhinderns von Diskussionen hätten ein Ausmaß erreicht, das sozial desintegrativ wirke und gefährlich sei. Veranstaltungen wie die in München seien deshalb überaus willkommen.

Die Veranstalter und die Zuhörer in München vernahmen es gern und spendeten Beifall. Angela Merkel und Edmund Stoiber freilich, an die Noelle-Neumanns Intervention wohl vorrangig gerichtet war, glänzten durch Abwesenheit.


 
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