© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Pankraz,
Ralf Miggelbrink und der große Zorn Gottes

Wie die Faust aufs Auge christlicher Frohbotschaft wirkt ein Opus, das soeben im Freiburger Herder-Verlag erschienen ist: "Der Zorn Gottes" von Ralf Miggelbrink, eine theologisch-philologische Riesenschwarte, mit der sich der Autor an der Universität Innsbruck für das Fach Dogmatik habilitiert hat. Wer sich ohne Verzagen durch die knapp siebenhundert Seiten hindurcharbeitet und danach nicht sofort aus der Kirche austritt, der steht wahrhaft fest im Glauben und hat starke Nerven.

Dabei meint es Miggelbrink durchaus gut. Der Zorn Gottes, sagt er resümierend, richtet sich nicht gegen den Einzelnen, sondern er gilt dem "verkehrten Geschlecht" im ganzen, "dieser korrumpierten staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung mit ihren Institutionen". Aber die Dimensionen des Gotteszorns, die in dem Buch entfaltet werden, sind so ungeheuerlich und so penetrant, daß beim Leser jede Hoffnung auf Fairness und eigenes Davonkommen schwindet und nur noch Angst und Depressionen übrig bleiben.

Es geht los mit dem alten Judengott Jahwe. Der war ursprünglich identisch mit dem ägyptischen Gott Seth, dem "rasenden Gott", der gegen alle Vielfalt und Üppigkeit angeht und absolute Unterwerfung fordert. Jahwe schnaubt vor Zorn durch die Nase (daher sein Name, der sowohl "Nase" als auch "Zorn" bedeutet) und will dauernd das Haupt irgendwelcher "Feinde" zerschmettern. Immer wieder wird ihm sein auserwähltes Volk selber zum Feind, weil es anderen, harmloseren Göttern zuneigt und auch einmal alle Fünfe gerade sein lassen will. Dann wütet er unter ihm wie verrückt mit Pestilenz, Heuschreckenplage et cetera pp.

Die Propheten erscheinen und tun alles, um die Zornmütigkeit Gottes extra herauszustellen. Amos ist ein absoluter Vernichtungsprophet, Hosea und Jesaja geben sich nur gradweise liberaler. Und selbst beim gemäßigten Jeremia wird der Zorn immer gleich zum "glühenden Zorn", und der "Sünder" wird unentwegt zur totalen, bedingungslosen Kapitulation ohne Wenn und Aber aufgefordert, zur "Beschneidung des Herzens".

Der Eintritt Israels in die griechisch geprägte Welt des Hellenismus macht die Situation nicht gemütlicher. Denn nun treten die Chiliasten und die Apokalyptiker auf, die mit dem Weltende drohen, dem großen Kladderadatsch, gegen den letzten Endes auch die Taufe nicht hilft, nicht Reinigung und nicht Einweihung. Wenn alles um einen herum auf entsetzliche Weise kaputtgeht, wirkt private Errettung ja fast wie Verrat.

Jesus und Paulus reihen sich (so Miggelbrink) nahtlos in die Zornestradition ein. "Das Heil in der Passion wird diskret angedeutet", der Zorn hingegen entfaltet sich auch bei Christus in voller Pracht. Christus ist gekommen, "zu richten mit dem Schwert", und zunächst einmal peitscht er "die Händler" aus dem Tempel hinaus.

Paulus gar, dessen Mund an sich von Gnade überfließt und der den "Affekt" des Zorns in stoischer Weise zu verachten gelernt hat, findet überhaupt nichts dabei, all diejenigen, die das christliche Gnadenangebot nicht annehmen wollen und in der Sünde des Fleisches verharren, mit den vollen Konsequenzen des "Gerichts" zu schrecken. Nur der Gebrauch des Wortes "Zorn Gottes" ist in seinen Briefen suspendiert, an der Sache selbst hat sich angeblich nichts geändert.

Genau hier macht Pankraz aber nun ein Fragezeichen. Die Verabschiedung des Wortgebrauchs "Zorn Gottes" bei Paulus, behauptet er, ist nicht lediglich rhetorisch, sondern markiert einen scharfen Bruch mit der Tradition, eine religiöse Wende ungeheuren Ausmaßes, nicht zuletzt eine Wende ins Rationale und Logische.

Götter werden nicht mehr wie im Mythos als eine Art höhere Menschen vorgestellt, die bei gegebenem Anlaß zornig herumschreien wie Aphrodite beim Pfeilschuß des Diomedes. Der Gott des Paulus ist gänzlich ohne Affekt, sein Wesen ist Einsicht ins Verhängnis des Daseins und notwendig daraus erwachsende Gnadegewährung. Religion verwandelt sich endgültig in eine "frohe" Botschaft für alle Menschen gleichermaßen, auch für den Fremden und noch für den letzten Sünder. Mit dem "Zorn Gottes" ist es aus, selbst wenn er von den Pfaffen weiterhin ins Feld geführt und für alle möglichen Zwecke instrumentalisiert wird.

Bei Miggelbrink gibt es einen großen Abschnitt über die praktischen seelsorgerischen Konsequenzen, die sich aus der Anerkenntnis (oder Wiedererinnerung) des Zornes Gottes ergäben. Er hält es für ein gegenwärtiges Übel, daß in den christlichen Gottesdiensten nur noch von der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes geredet werde. Denn: "Gott steht nicht als Trost und Sinn für alle Fälle zur Verfügung. Sein Trost ereignet sich als Verwandlung des glaubenden Menschen, als leidenschaftlicher Kampf Gottes um den Menschen, der auch die Dimension des Zornes einschließt."

Pankraz fragt sich verwundert, in welche Gottesdienste der Dr. theol. habil. Miggelbrink hineingeht, welche Verlautbarungen der Päpste und Bischöfe er sich anhört. Heute dominiert doch eindeutig das ewige Gezeter à la Amos und Hosea, das Herumgefuchtel mit der Schuld, in der wir alle stehen und für die wir büßen müssen. Von froher Botschaft schon längst keine Spur mehr. Und dann wundern sie sich, daß die Kirchen sich leeren und die Diskos sich füllen!

Mag durchaus sein, daß die gegenwärtigen gesellschaftlichen und staatlichen Ordnungen "korrumpiert" sind, daß das "verkehrte Geschlecht" regiert und ein zorniges Nasenschnauben, das einiges hinwegblasen würde, bitter notwendig wäre. Solches Schnauben muß aber von den Menschen selbst ausgehen, natürlich von Menschen, die von der grundsätzlichen Gerechtigkeit und Gnademöglichkeit der Weltordnung überzeugt sind und daraus Trost, Hoffnung und Handlungsorientierung schöpfen.


 
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