© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000

 
Harmonie und Ratlosigkeit
In Leipzig trafen sich die Ostpreußen zu ihrer großen Heerschau
Moritz Schwarz

Es ist schon eine Petitesse, daß das diesjährige Deutschlandtreffen der Ospreußischen Landsmannschaft am vergangenen Pfingstwochenende ausgerechnet in der von einem gebürtigen Königsberger Architekten erbauten Leipziger neuen Messe stattfand. Konnten die Veranstalter also doch auf einen gewissen genius loci spekulieren.

Nicht nur aus ganz Deutschland waren offiziell knapp 80.000 echte und angeheiratete Ostpreußen angereist. Begrüßt wurden auch, angereist aus der annektierten Heimat, 1945 zurückgebliebene Landsleute, die sogenannten Heimatverbliebenen. Ebenfalls angereist waren ostpreußische Auswanderer aus Windhuk und Kanada. Fächelnd strömten die Besucher durch die gewächshausartige Sommeratmosphäre der gläsernen Messekonstruktion zu Preisverleihungen, Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Diaschauen. Zur Labung in schwüler Wärme gelangte man zu kühlen Getränken in einer Messehalle allein gefüllt mit Tischen und Bänken. Unter von der Decke herabhängenden Bannern mit dem Namen der jeweiligen Heimatgemeinde traf man dort seine alten Nachbarn von vor über fünfzig Jahren. Mittelpunkt des Treffens war jedoch die Halle der gewerblichen Anbieter, Reiseveranstalter, Antiquariate, Handwerker, wie etwa der Bernstein-Juweliere, sowie der Arbeitsgruppen der Landsmannschaften selbst. Zum ersten Mal bei einem Ostpreußen-Treffen war auch die JUNGE FREIHEIT mit einem Stand vertreten. "Bemannt" mit zwei Hostessen, fand er rege ufmerksamkeit.

Trotz Bemühens um ein möglichst vollzähliges Treffen der Landsmannschaft war nicht zu übersehen, daß die Zahl der aktiven Vertriebenen dahinschwindet und auch die noch versammelte Besucherschaft unweigerlich dahinwelkt. Noch einmal kraftvoll zeigte man sich bei der zentralen Großkundgebung mit vorausgehenden Gottesdiensten, Fahneneinmarsch aller deutschen Provinzen unter Marschmusik und dem feierlichen Glockengeläut des Köngisberger Doms. Vor zehntausend Ostpreußen, darunter einige in Tracht, erinnerte der Bundesvorsitzende Wilhelm von Gottberg an Erbe und Auftrag, gedachte der von den enthemmten Erobereren ermordeten Landsleuten. Gedacht und gedankt wurde von den zehntausend sich vom Platz erhebenden Überlebenden auch dem "selbstlosen Opfergang" der Wehrmacht, die in den letzten Wochen des Krieges noch so vielen die Rettung ermöglichte.

Staatsminister Erwin Huber sprach in Vertretung für den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber von einer "großartigen Kundgebung" und erinnerte daran: "Wir sind das Volk, und zu diesem Volk gehören auch die Ostpreußen!" An den Vertriebenen in der DDR solle man sich ein Beispiel nehmen, die während vierzig Jahren auch unter feindlichen Umständen an ihrem Volkstum fesgehalten haben. "Bekennen auch Sie sich mutig zu Ihrer Heimat. Bayern werde "kämpferisch die Stimme erheben, wenn es um Ihre Rechte geht." Wegen des vorbildhaften Aussöhnungscharakters der Charta der Vertriebenen gehöre diese "eigentlich in jedes Schulbuch". Doch auch diese eindeútigen Worte konnten die Erinnerung daran nicht trüben, daß auch Bayern in der Vergangenheit vor den geistigen und seelischen Anforderungen echter Aussöhnung mit den Vertreibervölkern, etwa im Falle der deutsch-tschechischen Erklärung, schließlich doch politisch eingeknickt war.

An die Verantwortungslosigkeit der Politiker gegenüber einem millionengroßen Teil ihres Souveräns und einem die Verfassung der jungen Bundesrepublik konstituierenden Gründungselement erinnerte noch einmal von Gottberg in seiner Abschlußrede. Er wiederholte die Forderung der Vertriebenen nach Gerechtigkeit und ihr Angbot einer echten Versöhnung.

Kontroverser als bei dieser beeindruckenden, aber letztlich unwirklklich bleibenden Heerschau ging es auf den Diskussionsforen zu.

Die ostpreußische Jugend lud Experten zur Diskussion über die Zukunft Ostpreußens ein. Dabei kristallisierte sich der Konflikt zwischen jenen, die in erster Linie eine Anerkennung des den Vertriebenen widerfahrenen Unrecht fordern, und jenen, die ernüchtert bereit sind, sich um Fortschritte im Interesse der Verttreibenen bereit sind, sich mit dem Unrecht vorläufig abzufinden. Eine ähnliche Spaltung zeigte sich auch auf der Podiumsdiskussion der Älteren, wo allerdings die Trennung nicht quer durchs Podium verlief, sondern vor allem zwischen der ostpreußischen Basis der Erlebnisgeneration im Publikum und unter den Funktionären, darunter BdV-Präsidentin Erika Steinbach, und geladenen Politikern auf der Tribüne. Beinahe in Tohuwabohu drohten die von Enttäuschung gekennzeichneten Klagen aus dem Publikum kurzzeitig umzukippen, bevor der Versammlungsleiter beherzt per Mikrofon eingriff. Eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT am Saalmikrofon an das Podium wurde schließlich mit Verweis darauf, Frau Steinbach habe vor einer Minute den Saal verlassen, abgeschnitten. Die Unterbrechung erfolgte allerdings nicht, als der Name Steinbach fiel, sondern erst bei Nennung des Namens JUNGE FREIHEIT durch den Fragesteller

Auch das Schweigen über den Streit um die "Junge Landsmannschaft Ostpreußen" (siehe Kasten Seite 4), die ausgeschlossen von der Veranstaltung mit einem eigenen Stand vor der Tür präsent war, wurde von einer empörten Zuhörerin in beinahe veranstaltungssprengender Weise angeklagt.

So zeigte auch dieses Treffen, daß unter der dünnen Oberfläche der berechtigten heimatseligen Harmonie vor allem Enttäuschung, Verwirrung und Ratlosigkeit herrschen. Der Verband wurstelt weiter, die große, überzeugende und zukunftssichernde Perspektive fehlt jedoch und bedroht auch die Ostpreußen mit dem schleichenden Doppeltod durch Aussterben und Anpassung.

So zeigte auch dieses Treffen, daß unter der dünnen Oberfläche der berchtigten heimatseeligen Harmonie vor allem Enttäuschung, Verwirrung und Ratlosigkeit herrschen. Der Verband wurstelt weiter, die große, überzeugende und zukunftssichernde Perspektive fehlt jedoch und bedroht auch die Ostpreußen mit dem rasch schleichenden Doppeltod durch Aussterben und Anpassung.


 
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