© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Bürgerlicher Protest
Hamburg: Der Amtsrichter und politische Hoffnungsträger Ronald Schill zu Gast bei der CDU
Holger Stürenburg

Hinter der Hamburger CDU liegt eine heiße Woche. Der umstrittene Amtsrichter Ronald B. Schill war von drei Ortsverbänden der Union gegen den Willen der Parteispitze zu Vorträgen eingeladen worden. Die Pioniere hierbei waren der 34jährige Sven Gaudian und sein konservativ ausgerichteter Ortsverband Lurup.

Seit Wochen verbreitete die örtliche CDU die Nachricht, Schill werde am 13. Juni 2000 im Clubsaal des SV Lurup auftreten. Nachdem Hamburgs CDU-Spitze um Landeschef Dirk Fischer und den Fraktionsvorsitzenden Ole vonBeust ihre Basis über die Presse wie durch persönliche Warnungen aufgefordert hatte, auf öffentliche Veranstaltungen zu verzichten, zogen Gaudian und die Seinen die Sache allen Widerständen zum Trotz durch. Erfolg: Über 200 Menschen folgten der Einladung, um Schill frenetisch zu feiern.

Der inzwischen ins Amtsgericht "strafversetzte" 41jährige Jurist, dessen Rhetorik noch einige Schwächen aufweist und der dem ihm vorauseilenden Ruf eines "Populisten" noch keinesfalls gerecht wird, referierte fast zwei Stunden über die wichtigsten Themen der Hamburger Innenpolitik. Vor allem ausländische Banden, die Schüler an Schulen erpressen, der über 500.000 Mark einbringende und ebenfalls zumeist von Fremden kontrollierte Markt der Prostitution, die allgemeine Verschmutzung des Stadtbildes, gelten als wichtigste Punkte, die Schill offen anspricht, nachdem die CDU derartige Themen jahrelang tabuisiert hat und unter dem Mantel der politischen Korrektheit versteckte. Noch vier Wochen zuvor setzte die Bürgerschaftsfraktion der Union im Falle der ganze Stadtviertel terrorisierenden Chaoten in der "Roten Flora" auf Verhandlungen und Verträge. Erst als Schill angekündigt hatte, eine eigene, auf Recht und Ordnung ausgerichtete Partei zu gründen, wurde die Sprache der CDU wieder härter und "bürgernäher"; fragt sich nur, ob der Wähler der in der Hansestadt traditionell urban-liberal agierenden CDU diese Kehrtwendung abnimmt. Lang anhaltender Jubel beschloß die erfolgreiche CDU-Versammlung in Lurup. Einen Tag später erlebte die Seniorenunion Wandsbek ebenfalls eine nie erlebte Fülle auf ihrer Veranstaltung: Schill kam nach Wandsbek, das angemietete Pfarrhaus reichte nicht für die 250 anwesenden Zuhörer aus, die Schill trotz seiner oft trockenen Redeweise heftig beklatschten.

Den Schlußpunkt der "Schill-Tournee" stellte einen Tag später sein Auftritt in der "Kursana-Residenz" zu Niendorf dar: Diesmal unterstützt vom CDU-Ortsvorsitzenden Lars Möller, der keinen Hehl daraus macht, früher oder später zu Schills neuer Partei übertreten zu wollen.

Anfang Oktober werden Schill und seine politischen Freunde die "Partei Bürgerlicher Interessen" aus der Taufe heben, an deren Programmatik bereits Fachleute aus verschiedenen Sparten fleißig arbeiten. Natürlich werden Innen- und Justizpolitik die Hauptpunkte der Programmplattform darstellen. Aber auch die in Hamburg katastrophale Bildungs- und Schulpolitik sowie Verkehrs- und Sozialfragen werden ausführlich bearbeitet. Über zehn Prozent der Wähler haben sich bereits jetzt vorgenommen, bei den Bürgerschaftswahlen im Herbst nächsten Jahres für Schill zu stimmen, laut Umfragen existiert ein Wählerpotential von über 18 Prozent.

So besteht vielleicht die realistische Chance, daß hier eine bürgerlich-konservative Protest- wie Programmpartei entsteht, die noch für Überraschungen sorgen kann.


 
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