© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
"Die Rebellion der Bürger organisieren"
Europa: Ein Kongreß gegen Österreich-Sanktionen und für souveräne Staaten
Jürg Dreythaler

Vor über 600 Zuhörern fand am 10. Juni in Wettingen bei Zürich ein Kongreß unter dem Thema "Die Sanktionen der EU gegen Österreich und die Bedeutung der Souveränität" statt, veranstaltet von der Europäischen Arbeitsgemeinschaft Mut zur Ethik in Zusammenarbeit mit der Schweizer Wochen- und Monatszeitung Zeit-Fragen und der französischen Organisation "Les états généraux de la souverainité nationale".

Unter dem Ehrenvorsitz von Gerhard Löwenthal und des ehemaligen stellvertretenden Schweizer Delegationsleiters bei der EFTA, Frédéric Walthard zeichneten hochrangige Referenten ein aufschlußreiches Bild über die Hintergründe der EU-Sanktionspolitik.

Einleitend betonte Jean-Paul Bled – Professor an der Sorbonne – als Vertreter des französischen Mitveranstalters in glänzendem Deutsch die Bedeutung der Souveränität der einzelnen Staaten. Auf die Debatte, ob Haider gut oder schlecht sei, solle man sich gar nicht erst einlassen: entscheidend an den Sanktionen sei, daß die EU eine neue Variante von "begrenzter Souveränität" geschaffen habe, damit Interventionen gegen die rechtmäßigen Organe demokratischer Staaten rechtfertige und Gegner als Feinde der Modernität und Demokratie diabolisiere. Gegen dieses Unrecht ist mit vereinten Kräften "die Rebellion der Bürger" zu organisieren.

In diesem Sinne unterstrich später der Schweizer Nationalrat Luzi Stamm, daß EU-Mitgliedschaft und direkte Demokratie nicht vereinbar seien. Mit einer bezeichnenden Anekdote garnierte der in England lebende Ex-Sowjet-Dissident Vladimir Bukovsky sein dichtes Referat. Ein Taxifahrer, vom Referenten unmittelbar vor Beginn des Kosovokrieges auf die merkwürdig wachsende Propagandawelle angesprochen, beginnt nach einem vorsichtigen Blick zurück (im Taxi unter vier Augen!) seine Antwort mit den Worten "Ich bin kein Rassist, aber...".

Der Regimekritiker, der das sowjetische Lager- und Zwangspsychiatriesystem aus leidvoller Erfahrung kennt, zögert nicht, von einem intellektuellen Gulag zu sprechen, in dem Bürger, die auch nur in Nuancen von der offiziellen Generallinie abweichen, sich als Parias im eigenen Land wiederfinden. Bukovsky, der in seinem Buch "Abrechnung mit Moskau" ganze Berge von geheimen KGB-Dokumenten zu dessen Westarbeit ausgewertet und publiziert hat, legt die Motivgemengelage des Wandels durch Annäherung offen: Wandel durch Annäherung bedeutete eine Interessenkonvergenz zwischen kommunistischer Infiltration und westlichen Sozialisten, wobei letztere in der Hoffnung auf ein Aufweichen der harten Sowjetdiktatur sich in ihrer Brückenfunktion für die westlichen Gesellschaften im Kalten Krieg unverzichtbar machen konnten. Daß dies zu einer Ausweitung des sowjetischen Einflusses führte, stärkte diese Position der Unverzichtbarkeit. So wandelte sich geheime Kollaboration zu offener Kohabitation, die auch dann fortgesetzt wurde, als nach dem Kollaps des Sowjetsystems und der Abwahl kommunistischer Regierungen kein Bedarf an Kohabitation mehr vorhanden war. 1990 wird in dem Buch "The end of cold war" offen die Chance diskutiert, jetzt die Einigungsbestrebungen der EU zu übernehmen und die EU zum Instrument im Sinne einer sozialistischen Zukunft für ganz Europa zu machen.

Helmut Bärwald, ehemaliger Leiter des Ostbüros der SPD, bekräftigte diese Analyse mit aktuellen Beispielen einer Bündnispolitik etwa von PDS und der KP Frankreichs. Beim "Konsultativkomitee der EU gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" sei eine Charta für eine sozialistische und nichtrassistische Gesellschaft hinterlegt, der im März die PDS beigetreten ist. Auf der Mitgliederliste dieser Charta findet sich auch die EVP-Fraktion im EU-Parlament und die Sozialdemokratische Partei des Nicht-EU-Staates Schweiz.

Bukovsky, der nicht im Verdacht stehen kann, die Unterschiede zwischen westlicher und Sowjetgesellschaft naiv zu ignorieren, zieht dennoch Vergleiche zwischen der heutigen sozialistischen EU und der Sowjetunion: If it quacks like a duck and walks like a duck, it is a duck; und: In dieser Zukunft habe ich gelebt. Eine denkwürdige Kohärenz ergibt sich beim europaweiten Vergleich der Desinformationsmechanismen, mit denen Abstimmungen zur EU-Integration in unterschiedlichen Ländern manipuliert werden. Aus Österreich wurde erinnert, daß drei Tage vor der EU-Abstimmung1994 dieKronenzeitung titelte:"Kein Europa-Geld; DM und Schilling bleiben". Seit dem EU-Beitritt mußten österreichische Bauern 18 Prozent Einkommensverluste hinnehmen, Schweizer Bauern in derselben Zeit nur zwei Prozent. Gleichwohl wurde vor der Abstimmung über die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU mit den großen Absatzchancen für Schweizer Bauern auf dem EU-Markt gelockt. Beim Gespräch mit Zuhörern konnte der Autor dagegen von einem Fall erfahren, in dem unmittelbar nach der Ja-Abstimmung zu diesen Verträgen eine große Schweizer Molkerei lokalen Bauern ein Abnahmekontingent für Milch kündigte. Während die Bilateralen Verträge als Alternative zum EU-Beitritt dem Volk hochoffiziell schmackhaft gemacht wurden, mahnte Außenminister Deiss danach ihre Annahme als Signal für einen schnellen EU-Beitritt an.

Auch aus Norwegen wurde ähnliches berichtet: nach der Ablehnung eines EU-Beitritts 1994 stiegen Beschäftigung, Investitionen und Export an, die Zinsen fielen. In einem wahren Katastrophenszenario hatten demgegenüber EU-Befürworter für diesen Fall das genaue Gegenteil prophezeit. Seitdem scheuen die Integrationsbefürworter Referenden, was sich aber zu ändern scheint, da nun Propaganda über eine angebliche Besserung der Demokratiedefizite der EU gemacht wird. Aus Finnland kann ein Vorstandsmitglied der Internationalen Anti-Maastricht-Allianz berichten, daß viele Warnungen, für die die EU-Kritiker vor der dortigen EU-Abstimmung ausgelacht wurden, heute Realität sind: der Verlust der Finnmark, internationale Militäreinsätze.

Für Polen war hingegen die EU als westlicher Gegenpol zum Sowjetblock ein emotional positiv besetztes Abstraktum. So wurden die Assoziierungsverhandlungen naiv geführt: "Wir haben alles gegeben und nichts bekommen", faßte ein polnischer Journalist die Situation zusammen. Der Zeitpunkt des tatsächlichen EU-Beitritts sei nur noch von theoretischem Interesse. Der Fall des stellvertretenden Leiters des polnischen "Komitees für europäische Integration" Czarnecki vor einem Jahr dämpft die Euphorie: der Mann wurde nach EU-kritischen Äußerungen seines Postens enthoben, Pressemeldungen zufolge auf Intervention aus Brüssel, die von eben jenem Ex-Professor für Marxismus-Leninismus Balcerowicz bestellt wurde, der kürzlich seine Partei "Freiheitsunion" (UW) aus der Koalition mit dem Wahlbündnis Solidarität geführt hat.

Ein lettischer Redner berichtete, daß früher unter den baltischen Staaten nur Litauen mit seinen erheblich geringeren Nationalitätenproblemen das "gute Baltikum" postsowjetischer divide-et-impera-Politik war, während Estland und Lettland als die bösen Nationalisten dargestellt wurden. Seit aber Estland Beitrittsverhandlungen mit der EU führt, findet es sich auf der Seite der "good guys" in der Moskauer Wahrnehmung wieder und Lettland steht allein.

Paradox ist die Situation Maltas, wo eine konservative, "nationalistische" Regierung die Beitrittsverhandlungen mit der EU wieder aufnahm, die 1996 unter einer Labour-Regierung eingefroren wurden. Als besonders hochrangiger Referent des Symposiums wies darauf Mifsud Bonnici hin, Premierminister Maltas von 1984 bis 87. Er führt heute die Kampagne für die nationale Unabhängikeit (CNI) Maltas an. Als Labour-Politiker kann er die soziale Kälte der Sozialistischen Internationalen nicht akzeptieren, die Arbeitslosenraten in zweistelliger Millionenhöhe in der EU schulterzuckend hinnimmt. Der EU, in der "eine Junta von vielleicht 10 Personen völkerrechts- und EU-vertragswidrige Sanktionen gegen Österreich" anzetteln kann, die den Phrasen von Freiheit und Demokratie Hohn sprechen, in der dieselbe Junta dies auch noch zum Paradigma für das neue Europa erklärt, wurde die Wiederbelebung der EFTA als mögliches Modell europäischer Zusammenarbeit gegenübergestellt: diese respektiert die Souveränität ihrer Mitglieder und steht auf der Basis der Vielfalt europäischer Völker und Kulturen.

In Österreich wurde am 16. Juni ein Volksbegehren über eine neuerliche Abstimmung zur EU-Mitgliedschaft eingereicht. Bukovsky ist unverdrossen: mit Sowjetstrukturen kann es keinen Kompromiß geben, nur entschiedene Konfrontation. Daß der EU-Totalitarismus milder ist, bedeute nicht eine geringere Aggressivität. Das gemeinsame Ziel sei die Verteidigung der Freiheit. Vor 35 Jahren hätten Sowjetdissidenten mit ein paar hundert Leuten angefangen, und heute gebe es die Sowjetunion nicht mehr. Die "Geburt eines gemeinsamen Widerstandes gegen die EU", so Jean-Paul Bled, nehme als Folge der totalitären Sanktionspolitik der EU Gestalt an.


 
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