© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Eingriff in die Schöpfung
Genforschung: Durch vorgeburtliche Diagnostik will der Mensch Gott spielen
Alexander Schmidt

Eine Momentaufnahme, die bald in deutschen Arztpraxen zur Normalität zwischen Grippeschutzimpfung und Vorsorgeuntersuchungen gehören könnte: Ein junges Paar betritt das Behandlungszimmer und erhält das Ergebnis, das ihr geplantes Kind – dessen Embryo bereits nach künstlicher Befruchtung durch die Arbeit von Wissenschaftlern und Maschinen auf Trockeneis liegt – voraussichtlich nicht die Merkamle haben wird, die das Paar erwartet hat. Beide entschließen sich, den Embryo nicht auszutragen – schließlich sei das bestimmt besser für das Kind, beruhigt man sich und wartet schon auf den nächsten Versuch aus dem Reagenzglas. Beim dritten Anlauf und nach zwei im Abfluß geschwommenen Embryonen ist es dann soweit: Die Lebensgefährten werden endlich ein Kind bekommen, um das sie ihre Nachbarn so lange beneidet haben. Intelligent, sportlich und überhaupt so wie die anderen Kinder aus der Nachbarschaft, die alle aus derselben florierenden Praxis von stammen.

Bedenken, daß sie mit den zwei vorausgegangenen Versuchen menschliches Leben vernichtet haben, kommen ihnen nicht. Denn schließlich erklärte die Deutsche Forschungsgemeinschaft, daß man ein menschliches Lebewesen erst nach der Geburt in der technischen Definition des Menschen fassen darf. Zuvor muß das Zellenbündel die Stadien Embryo und Fötus durchlaufen.

Zu verdanken hat das Paar die absolute Planbarkeit des menschlichen Lebens der "pränatalen Diagnostik" (PID), deren Einführung jetzt durch die Bundesärztekammer diskutiert wird, mit dem Verweis darauf, daß diese bereits in einigen Ländern praktiziert wird. Noch innerhalb dieses Jahres ist mit einem Konzept zu rechnen. In Deutschland ist die Präimplantationsdiagnostik zur Zeit noch nach bestehender Definition durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) gesetzlich ausgeschlossen.

Bei der PID handelt es sich um eine vorgeburtliche Selektionsmethode, mit der "schwere genetische Erbschäden" bei künstlichen Befruchtungen noch vor dem Einsetzen des Embryos in den Mutterleib erkannt werden und durch das Nichteinpflanzen verhindert werden sollen. Fakt aber ist, daß der erste Fall eines Antrages auf diese Art der genetischen Kontrolle ein Paar betraf, das auch auf natürlichem Wege Kinder zeugen konnte. Damit wird die Stoßrichtung, genetisch "saubere" Kinder zu erzeugen, deutlich. Die USA, wo die Gentechnik bedeutend weiter fortgeschritten ist, nimmt auch hier eine Vorreiterrolle ein. Lori B. Andrews, eine amerikanische Ethikrechtlerin und Leiterin der ethischen Begleitforschung zum Humangenomprojekt, sprach in der Zeit davon, daß es in den USA einen Trend gebe, sich ein Musterkind per Samenspenden aus dem Internet zu bestellen, das nach den Fähigkeiten und Vorlieben des Spenders ausgewählt würde.

Annegret Braun vom Diakonischen Werk in Baden-Württemberg spricht davon, daß bei uns weniger der Wunsch, Menschen zu gesunden Kindern verhelfen zu können, im Vordergrund stehe, sondern wirtschaftliche Interessen, da die Zahl der Betroffenen nach Auskunft von Experten bei 50 bis 100 Paaren im Jahr liege. Die Erfolgschance, ein Kind aus der "In-vitro-Fertilisation" zu erhalten, liegt momentan bei nur 25 Prozent, womit etwa 20 Kinder jährlich auf diesem Weg gezeugt werden könnten. Vielmehr würde damit eine neue Eugenik entstehen und die Forschung mit Embryonen eine neue Dimension erhalten. "Der Schritt zur Keimbahnveränderung wäre nicht mehr groß", schreibt sie in ihren "Gedanken zur Präimplantationsdiagnostik".

Ist die Forschung im Bereich der künstlichen Befruchtung weiter fortgeschritten, ohne der pränatalen Selektion Grenzen gesetzt zu haben, besteht die Gefahr, daß Menschen nur noch "auf Probe" gezeugt werden und nach Feststellung von genetischen Defekten, deren Schweregrad dann unwichtig wird, ausselektiert werden.

Dadurch würden Menschen mit Behinderungen zu Menschen niederer Qualität erklärt. Spätestens dann wird aus ethischer Sicht erneut die Frage aufgeworfen, ob es im Ermessen der Menschen liegt, über die Lebensqualität eines anderen Individuums zu entscheiden. Der werdende Mensch wird zur Zielscheibe fremder Interessen, gegen die er sich nicht wehren kann. Zudem heißt es aus christlicher Sicht, daß ein "Kind nach Maß" ein Eingriff in die Schöpfung Gottes ist, der mit dem Lebensrecht eines jeden Menschen und dessen körperlicher Integrität unvereinbar bleibt. Sollte sich hier eine andere Sichtweise durchsetzen, hieße das, alle Werte der abendländischen Kultur wegzufegen. Damit würde auch die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde, die den Menschen in seiner Einzigartigkeit schützen soll, umgestoßen.

Die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz hat dazu eine Gegenüberstellung von Argumenten erarbeitet. Unter anderem findet sich dort auf der Befürworterseite der PID der Wunsch von Paaren nach einem gesunden Kind und die hohe psychische Belastung der Mutter durch einen Schwangerschaftsabbruch, der bei der Feststellung einer Behinderung möglich wird. Vom Standpunkt der Lebensrechtler stellt sich hier wieder die grundsätzliche Frage, warum Kinder mit Behinderungen – unter anderem reicht eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte – abgetrieben werden dürfen.

Dagegen spricht, so die Kommission weiter, die Entwicklung einer gezielten Selektion, die eine Diskriminierung von Leid und Behinderung sowie den Rückzug aus der Solidargemeinschaft bedeutet – schließlich sind Behinderungen ja selbstverschuldet weil nicht abgetrieben. Damit wird die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben schrittweise abgebaut. Schließlich, gibt die Kommission zu bedenken, können diagnostische Manipulationen zur Minderung der embryonalen Lebenschancen führen.

Weniger die Frage der ethischen Verantwortbarkeit, sondern vielmehr bestehende Konfliktpunkte mit dem Embryonenschutzgesetz sind auch der Anlaß für eine medizinische Diskussion. Der Vorsitzende des Arbeitskreises der Bundesärztekammer, Hermann Hepp, äußert sich dazu in der Mai-Ausgabe des Deutschen Ärzteblatt. Dort heißt es, daß unter Ausschluß von eugenischen Zielen ein sinnvoller Einsatz der Präimplantationsdiagnostik möglich sei. In der rechtlichen Würdigung kommt Hepp zu dem Schluß, daß die geplante Diagnostik nicht gegen das ESchG verstoße. Die pränatale Diagnostik arbeite nämlich mit Zellen, deren Entwicklungsstadium durch die Einschränkungen des Gesetzes von 1991 nicht erfaßt würden.

Rainer Beckmann, Staatsanwalt aus Würzburg, bestätigt, ein Widerspruch zum Embryonenschutzgesetz liege nicht unbedingt vor. Problematisch jedoch ist nach Paragraph 2 EschG das "Verwerfen" eines Embryos nach der Feststellung genetischer Fehler, weil dies nicht der festgeschriebenen Erhaltung des Embryos dient. Damit ist, so Beckmann, innerhalb des Embryonenschutzgesetzes ein Widerspruch angelegt, da in Paragraph 6 Abs. 2 eine Tötungspflicht für geklonte Embryonen vorgesehen ist.

Die angewandte Tötungspflicht wirft im übrigen eine neue Gefahr auf, nämlich den Anreiz, die getöteten und in größerer Zahl vorhandenen Embryonen verbotenerweise zu Forschungszwecken zu verwenden. Ein grundsätzliches Verbot hält er für nicht angebracht, da "de facto das Problem nur ins Ausland verlagert wird". Dies führe zu einer Erschwerung der wissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiet, hinter dem gewichtige Interessengruppen stehen.

Eine ähnliche Entscheidung wird auch in der juristischen Realität zu erwarten sein. Auf dem dreitägigen "Symposium Fortpflanzungsmedizin" diskutierten Ärzte, Forscher, kirchliche Gruppen, Behinderte und Lebensrechtler über die Einführung der PID sowie über Retortenbabys, Eugenik, Abtreibung, Klonen und Genmanipulation. Inzwischen haben sich auch Lebensrechtsgruppen wie die "Ärzte für das Leben", die Christdemokraten für das Leben und der Arbeitskreis Biblischer Ethik und Moral in offenen Briefen und Stellungnahmen zu Wort gemeldet. Die Präimplantationsdiagnostik, heißt es unisono, sei keine heilkundliche Maßnahme, wie der Begriff "Diagnostik" vermuten lasse, sondern diene lediglich der Selektion. Damit mache sich der untersuchende Mediziner zum Herr über Leben und Tod und breche seinen hippokratischen Eid. Jede Auflage auf das PID-Verfahren, so streng sie auch sei, laufe Gefahr, verwässert zu werden. Der Arbeitskreis biblischer Ethik und Moral warnt, daß damit ein Dammbruch zu weiteren Abtreibungen vollzogen würde, weil Leben immer früher als "lebensunwert" deklariert wurde.

Zwar kam es bei dem Symposium zu keiner Einigung. Statt dessen äußerte sich aber Gesundheitsministerin Andrea Fischer als erklärte Abtreibungsgegnerin in erwarteter Konsensmentalität. So wie sie 1995 der Neufassung des Paragraph 218 Strafgesetzbuch gegen ihre Überzeugung zugestimmt habe, signalisierte sie auch ihre Zustimmung zu einem Gesetz, das die pränatale Diagnostik endgültig hoffähig machen soll. Damit ist eine weitere Niederlage der Lebensrechtler abzusehen.


 
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