© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Die bewegte Frau
Feminismus: Projekt der Vergangenheit oder gelebte Gegenwart?
Ellen Kositza

Frauen, die Feminismus noch als Kampf, Emanzipation als Lebensaufgabe verstehen, sind rar geworden. Marginale Randgruppen, die sie sind, harren sie als FrauenLesbengruppen trotzig und bedeutungslos in den subventionierten Kuschelnischen der Universitäten aus oder spinnen ebenso eifrig wie unbeachtet in radikalfeministischen Winzig-Zeitschriften ihre Utopien von der Endlösung der Männerfrage. Ansonsten gilt der "Generation ICH" der Titel "Emanze" eher als anachronistisches Schimpfwort. Die bewegte Mitte des feministischen Aufbruchs der siebziger und achtziger Jahre jedoch, die lauten Frauenstimmen, die sich stolz und solidarisch zu ihren Abtreibungen bekannten, die theoriekundigen Frauen, die Feminismus als interdisziplinäres Anliegen verstanden und sich anschickten, männlich dominierte Wissenschaft zu unterwandern, scheinen alt geworden. Verhärmt, faltig und kinderlos, so mag man sie sich vorstellen, resigniert die Köpfe schüttelnd über Girlie-Moden und Lästerzungen wie Harald Schmidt.

Doch diese Vorstellung trügt, keinesfalls hat der Feminismus als politische Kraft abgedankt, vielmehr haben sich viele seiner Hauptforderungen mittlerweile als gesellschaftliche Gemeinplätze durchgesetzt. Man lese dazu nur einmal den stockbiederen, politisch beinahe reaktionären österreichischen Eckartboten, der sich in seiner Mai-Ausgabe das Thema "Frauen und Mütter im Wandel der Zeit" auf den Titel geschrieben hat: Nicht einmal hier fehlt die gängige Klage, daß immer noch die Frauen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen benachteiligt seien. Will heißen: Lila Schlabberkluft ist zwar out, und das Attribut "Frauenversteher" ist derzeit eine abfällig gemeinte Modebezeichnung für den Typ Mann, den man vor zwanzig Jahren als "Softie" neu erfand, jedoch haben sich die entscheidenden Koordinaten längst gewandelt. Gewisse Sprachregelungen etwa sind unumkehrbar geworden, die Zahl weibliche Staatsoberhäupter nimmt rasant zu, des "Joches" der Fruchtbarkeit haben sich westliche Frauen weitgehend entledigt und alles geht, seit aus dem biologischen oder metaphysischen Sexus der schwammige Begriff "Gender" wurde. Doch war’s das? Wo steht der Feminismus in der Ära Merkel? Drei Frauenbücher zum Thema mögen hierzu exemplarisch beleuchtet werden:

Isabel Hörmanns Buchtitel "Quo Vadis, Superweib?" bezieht sich auf den zuzeiten recht vehement propagierten, doch tatsächlich wohl stark unterrepräsentierten Typ Frau, der sich geschickt mit den drei modernen "K" – Kind, Karriere und makellosem Körper – zu arrangieren weiß, die engagiert berufstätige, attraktive Mutter mehrerer Kinder eben. Den Mythos eines solchen Superweibes will Hörmann demontieren durch 18 Briefe, die sie die junge "Maxi" an ihre ältere Tante schreiben läßt. Maxi ist dreißig, schwanger mit dem vierten Kind und unzufrieden mit dem, was Tante Jo, Altfeministin und mittlerweile in Erwartung einer Professur in Venezuela, vor drei Jahrzehnten in den öffentlichen Diskurses stellte. Solche Ankündigung läßt nun vermuten, daß da eine Autorin das Pendel, das derzeit im ritualisierten Staatsfeminismus zu haken scheint, auf unerhörte Weise zum Schwingen bringt, doch ist dem nicht so. Tatsächlich dringt Hörmann/Maxi, die gerne mal als "Antifeministin" apostrophiert wird, an keiner Stelle an die Wurzeln der Konflikte, in die Frauen zwischen Berufstätigkeit und Mutterschaft durchaus geraten können, ihre Kritik beschränkt sich wesentlich auf die mangelnde Verwirklichung dessen, was die "großen Schwestern" einst forderten. "Wo sind denn die vielgepriesenen neuen Männer?" will die Briefeschreiberin beispielsweise wiederholt wissen. Hörmann läßt Maxi sprechen als "Frau wie du und ich", frei aus dem Bauch heraus gewissermaßen. Damit gerät die an sich nicht unsympathisch vorgetragene Klage insgesamt leider wenig spitzfindig und nur selten wortgewitzt, sie verharrt auf den wenn auch wahren, so doch bereits sehr gängigen Auslassungen dessen, was frau "schon immer einmal loswerden wollte". Das liest sich bisweilen so: "Da faseln die Medien etwas von familienfreundlichen Unternehmen und wie leicht sich heute Beruf und Kinder vereinbaren lassen, aber jeder zweite Boß reagiert mit Unverständnis, wenn es zu Komplikationen in der Vereinbarung von Kind und Job kommt." Insgesamt sind es vier oder fünf Vorwürfe an die Welt der Männer, der Medien, der Arbeitgeber und der kinderlosen Frauen, die in nur leicht veränderten Variationen vorgetragen werden. Das macht die Lektüre schließlich doch zu seicht, um nonkonformes Müttermanifest zu sein.

Die intuitive Rede ist Ute Gerhards Stil nicht, als Soziologieprofessorin in Frankfurt und Leiterin des "Interdisziplinären Zentrums für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse" sind Geschichte und aktuelle Ortung des Feminismus für sie wissenschaftliche Objekte. In ihrem Buch "Atempause" versammelt Gerhard sieben Aufsätze zur 150jährigen Geschichte des Feminismus und zu den unerledigten Anliegen dieser Emanzipationsbewegung.

Für die Autorin sind die "ganz spezifischen Erfahrungen von Frauen in der Moderne (…) die von Teilhabe und Ausschluß, der Widerspruch zwischen der Rede vom Menschen als Subjekt von Rechten und von der Frau als Besonderer und Benachteiligter". Diese Zwiegespaltenheit käme auch in der "geschlechtsspezifischen Dialektik" der Aufklärung zum Ausdruck , indem sie gleichzeitig mit den Versprechen der Freiheit und Gleichheit aller Menschen die Disziplinierung der Frauen zum anderen Geschlecht inszenierte. Dies sind einige der Axiome, um die Gerhards Analysen kreisen. Thematisch behandeln die Aufsätze neben vielgestaltigen historischen Vergleichen mit 1848, 1945, 1968 und 1989 als Grenzdaten die internationalen Beziehungen des deutschen Feminismus, feministische Rechtskritik sowie den Paragraphen 218 und den "Widerstand gegen Bevormundung und die Indienstnahme des weiblichen Geschlechts zur Reproduktion der Gattung Mensch". Das vielbewitzelte Wort von der "Frauenbewegung" scheut Gerhard ebensowenig, wie sie vor "Frauenzusammenhängen" oder "Selbsterfahrungsprozessen, die in Frauengruppen und Frauenzentren geübt wurden" haltmacht. Historische Entwicklungen werden aufgezeigt, es wird viel zitiert, doch nichts in Frage gestellt; Frauenemanzipation sei nun einmal der Gradmesser demokratischer Verhältnisse – punktum. Das ist Wissenschaft im Banne einer Ideologie, zäh zu lesen, dabei merkwürdig unlebendig und anstrengend nachzuvollziehen.

Wer dagegen einmal Publikationen von Luise F. Pusch durchgeblättert hat, seien es ihre frühen Schriften zu feministischer Linguistik oder auch nur flammende Reden in der Emma, weiß, daß diese Frau unter Strom steht. Das macht die Professorin und Direktorin eines "Instituts für feministische Biographieforschung" nicht unsympathisch, rückt sie jedoch ab und an in die Nähe unsachlicher Polemik. Nun hat sie, die schon seit 1987 den "Kalender berühmter Frauen" herausgibt, gemeinsam mit Susanne Gretter ein Lexikon mit 300 Porträts berühmter Frauen veröffentlicht.

In ihrem Vorwort weist Pusch, in gewohnt dauerempörtem Gestus, darauf hin, daß wir alle noch immer "unter einer Umweltverschmutzung besonderer Art zu leiden haben: Unsere Umgebung ist patriarchal durchseucht", so käme es, daß "die Männer" von den Frauen dächten, sie seien "zu passiv und zu doof" (sic!), etwas Erwähnenswertes zur Geschichte und zur Kultur beizutragen. Oder: Eine norddeutsche Stadt will vier neue Straßen nach Physikern benennen, nach Männern wohlgemerkt –als gäbe es in dieser Riege keine Frauen. Also wendet sich die Frauenbeauftragte jener Stadt an Pusch mit der Bitte um Kurzbiographien von Physikerinnen.(Es gibt nun dort eine Agnes-Pockels-Straße.) Dies, so die Linguistikprofessorin, sei nur "eine Geschichte von vielen", die zur Herausgabe dieses Lexikons bedeutender (und verstorbener) Frauen aller Epochen und Länder führte.

Natürlich fehlt vieles, was man gerne nachgeschlagen hätte, es fehlen bis auf Lou Salomé (die ironischerweise unter dem Namen ihres Mannes Andreas-Salomé eingeordnet ist) sämtliche Antifeministinnen, sogar Gertrud Bäumer hat man ausgelassen, Frauen wie Hanna Reitsch oder die ihrerzeit weltberühmte D’Annunzio-Muse Eleanore Duse fehlen ebenso. Dies kann man freilich leicht auf den simplen Zwang zur Selektion zurückführen. Die nur vage angekündigten "weiteren Bände" werden es zeigen. Dafür findet man eine große Anzahl eher unbekannter Frauen aus einschlägigen politischen Zusammenhängen: Tina Modotti, italienische Fotografin und Kommunistin, Emma Goldman, amerikanische Feministin und Anarchistin, Adelheid Popp als Begründerin der proletarischen Frauenbewegung in Österreich, und selbst Helene Demuth als Haushälterin der Familie Marx dürfen nicht fehlen.

Während man auf so manches Porträt wenig bewegender Modeschöpferinnen oder auf die Vielzahl der amerikanischen Fotografinnen, Sportlerinnen, Schauspielerinnen und Regisseurinnen gerne verzichtet hätte, findet sich daneben mancherlei Interessantes: ein bunter und oft erstaunlicher Frauenreigen von Klara von Assisi und Brigitta von Schweden über die Scharfschützin Annie Oakley, die einst Wilhelm II. die Zigarette aus dem Mund schoß, bis hin zu Persönlichkeiten mit beinahe aktuellem Bezug wie die Schriftstellerinnen Sylvia Plath und Karin Brandauer. Jeder Kurzbiographie wird ergänzt durch ein Foto oder Gemälde. Im Anhang finden sich neben einer ausführlichen Literaturliste verschiedene, teils amüsante statistische Aufreihungen der erfaßten Frauen, Gliederungen nach Nationalität, nach Geburtsdaten und Berufen. In letzterer Rubrik sind etwa die Vulpius und auch Theodora von Byzanz als "Die Frau als relatives Wesen" eingereiht.

Insgesamt trotz des bisweilen übereifrigen Hechelns nach Attributen wie "als hosentragendes Mannweib berüchtigt" – wie man auch generell qualitative Unterschiede zwischen den Artikeln der über 60 "BeiträgerInnen" konstatieren muß – ein engagiertes, spannendes Nachschlagewerk.

 

Ute Gerhard: Atempause. Feminismus als demokratisches Projekt. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt1999

Isabel Hörmann: Quo Vadis, Superweib? Eine Mutter packt aus. dtv, Frankfurt 1999

Luise F. Pusch/Susanne Gretter: Berühmte Frauen. 300 Porträts. Insel Frankfurt, Leipzig 1999


 
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