© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Streitkultur
Standardklagen über den Verlust des Politischen
Janina Ahlers

Hartnäckig hält sich das Gerücht, der Geist stehe links. Und gegen alle, von Heraklit bis Heidegger vermittelte Lektüreerfahrung, ist man immer noch bereit, das zu glauben. Warum sonst sollte man ein Buch beachten, das mit der kritischen Intelligenz der taz-Journalistin Bettina Gaus wirbt, die verspricht, eine "fundierte Streitschrift" zur bundesdeutschen "Systemkrise" zu liefern.

Was sie jedoch tatsächlich bietet, gelangt nicht über jene Befunde hinaus, die Parteienkritiker wie Hans-Herbert von Arnim diagnostizieren. Neu ist im Vergleich zu von Arnims sozialwissenschaftlich fundierten Materialschlachten nur der Plauderton der Autorin, die anekdotisch ausbreitet, was ihr an der Berliner Republik mißfällt. Gaus vermißt vor allem demokratische Streitkultur. Obwohl es hinreichend innen- und außenpolitischen Zündstoff gäbe, würden gerade zentrale Weichenstellungen den Spielregeln demokratischer Willensbildung entzogen. Die verweigerte Volksabstimmung über die Währungsunion("Der Euro wäre nicht beschlossen worden") und die Teilnahme am Nato-Angriffskrieg gegen Serbien dienen Gaus zum Beleg ihrer These. Originell ist dies so wenig wie ihr aus dem Fundus der Standardklagen gespeistes Lamento über den Filz zwischen Politik und Presse, den Lobbyismus, die Herrschaft des Sachzwangs oder habituelle Entdifferenzierung ("Abgeordnete von Union und Grünen, die sich zum Verwechseln ähnlich sehen").

Solchen narrativ präsentierten Momentaufnahmen widmen sich Epiphänomenen. Vom analytischen Unvermögen zeugen auch sporadisch eingestreute Alternativvorschläge. Gaus glaubt, eine Zwei-Prozent-Klausel und eine Befristung politischer Mandate würden Politik "phantasievoller" machen. Hier keimt zart die Hoffnung auf die Rückkehr des Politischen, das von jenen "Gutmenschen" gestaltet werden möge, deren Verhöhnung durch sachzwangfixierte "Experten" Gaus leise beweint. Das sind freilich Präferenzen, die das Buch selbst als Produkt der wortreich attackierten bundesdeutschen Konsenskultur ausweisen.

 

Bettina Gaus: Die scheinheilige Republik. Das Ende der demokratischen Streitkultur. DVA, Stuttgart/München 2000, 183 Seiten, geb., 34 Mark


 
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