© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Endstation Sozialamt
Die Massenzuwanderung ist eine Sackgasse für Deutschland
Michael Wiesberg

Vor Jahren monierte der Bielefelder Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg, daß die Leistung der Politik im Hinblick auf Zuwanderung und Bevölkerungsschrumpfung vorrangig "im Verdrängen" bestehen würde. Die sich abzeichenden bevölkerungsbedingten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme seien in ihrer Dimension geeignet, "einen um den Schlaf zu bringen", so Birg.

Die Zeit des Verdrängens scheint sich inzwischen ihrem Ende zuzuneigen. Der Auftakt für die jetzt erneut entbrannte Zuwanderungsdiskussion ist die Greencard-Initiative des Bundeskanzlers gewesen. Deutschland, so der Tenor vieler Kommentatoren, nehme mittels der GreenCard endlich teil am Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte. Ob und inwieweit mit der fälschlich so genannten GreenCard tatsächlich qualifizierte ausländische Arbeitskräfte den Weg nach Deutschland finden, mag ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob und inwieweit nach Deutschland zugewanderte Ausländer überhaupt auf dem deutschen Arbeitsmarkt bzw. in die deutsche Gesellschaft integrierbar sind.

In einem Diskussionspapier "Zuwanderungsbegrenzung und Zuwanderungssteuerung im Interesse unseres Landes" des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach findet sich folgende Feststellung: "1985 lebten in der Bundesrepublik ca. 4 Millionen Ausländer. Von ihnen waren ca. 2 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Heute sind es offiziell 7,32 Millionen – und weniger als 2 Millionen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt."

Hatten die Zuwanderungslobbyisten den Deutschen nicht jahrelang erzählt, daß Zuwanderung notwendig wäre, um die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland sicherzustellen? Ist nicht jahrelang jede Kritik an der unregulierten Massenzuwanderung auch deswegen tabuisiert worden? Sind nicht jahrelang die exorbitant hohen Zahlen von Ausländern in der Sozial- und Arbeitslosenhilfe geleugnet worden? Jetzt, nachdem die Entwicklung in vielen deutschen Großstädten unhaltbare Zustände angenommen hat, kommt die Einsicht, daß Zuwanderung nach nationalen Gesichtspunkten gesteuert werden müsse.

Erstmals wird auch offen nach der "Integrationsbereitschaft" der Zuwanderer gefragt, die nach Deutschland kommen. Doch nicht nur das. Plötzlich ist es auch möglich, über die Motive der Zuwanderer zu reden. Diese brachte der in Deutschland lebende Kurde Namo Aziz Anfang Januar 1999 im "Deutschlandradio" auf den Punkt: Ziel der Flüchtlinge sei "das bessere Leben in Deutschland, der Wohlstand. Es ist die paradiesische Vorstellung, leben zu können, ohne arbeiten zu müssen". In Deutschland, so Aziz weiter, "gibt es dieses Paradies schon im Diesseits – ein Faktum, das weltweit Tausende von Flüchtlingen aller Religionen anlockt".

Wer jetzt die Hoffnung hegt, daß mittels der Diskussion über ein mögliches Einwanderungsgesetz Vernunft und Augenmaß in die deutsche Zuwanderungspolitik einkehrt, dürfte allerdings schnell ernüchtert werden. Diese Diskussion hätte nur dann einen Sinn, wenn auch der politische Wille vorhänden wäre, die entsprechenden rechtlichen Grundlagen zu schaffen. Was hiermit gemeint ist, hat der CDU-Politiker Bosbach so formuliert: "Nach derzeitiger Rechtslage ist eine Zuwanderungssteuerung unter Berücksichtigung unserer eigenen, nationalen Interessen nur im sehr begrenzten Umfang möglich." Deshalb hätten weder die Bundesregierung noch die Bundesländer Einfluß darauf, wer wann einreise.

Diese Feststellung kommt einem Offenbarungseid gleich. Ein Staat nämlich, der jegliche Instrumente aus der Hand gegeben hat, um das Ausmaß ungewollter Zuwanderung so gering wie möglich zu halten, hat im Grunde genommen aufgehört, ein Staat zu sein. Bis auf wenige Ausnahmen wie zum Beispiel Innenminister Otto Schily (SPD) wollen dennoch alle derzeit maßgeblichen Politiker am status quo festhalten, den sie als angebliche "humanitäre Errungenschaften" feiern. Die moderate Forderung von Innenminister Schily nach Reduzierung der Asylbewerberzahlen beantwortete der oberste politische Repräsentant des Landes, Bundespräsident Johannes Rau, mit einer entschiedenen Ablehnung. Obwohl nach wie vor rund 95 Prozent und mehr aller Asylbewerber das Asylrecht mißbräuchlich in Anspruch nehmen, wehrt sich Rau dagegen, die Themen Asylrecht und Zuwanderung miteinander zu verknüpfen. Obwohl längst von der Realität widerlegt, behauptet Rau weiterhin, ein Asylsuchender sehe seinen Leib und sein Leben bedroht. Es stelle sich deshalb nicht die Frage, so Rau, "wie wir mit dem Asyl umgehen, sondern wie wir mit der Zahl der Asylbewerber umgehen".

Mindestens ebenso bedeutsam wie die Umwandlung des Individualrechtes auf Asyl in eine institutionelle Garantie wäre auch die Aufkündigung der bilateralen Sozialabkommen mit vielen Nicht-EU-Staaten, der sich in Form eines weiteren Familiennachzuges nach Deutschland auswirken. Selbst wenn diese Forderungen alle umgesetzt werden würden, wäre Deutschland immer noch weit von einer Zuwanderungssteuerung entfernt.

Neues Ungemach droht durch den EU-Richtlinienentwurf betreffend das Recht auf Familienzusammenführung. Im Mittelpunkt dieses Papiers steht die Forderung, daß Nicht-EU-Angehörige, die eine mindestens einjährige Aufenthaltsgenehmigung besitzen, nach höchstens einem Jahr Wartefrist Anspruch auf den Nachzug von Ehegatten und Kindern erhalten sollen. In den Genuß des Familiennachzuges sollen auch kranke oder pflegebedürftige Eltern, Onkel oder Tanten kommen. "Familie" meint in dieser Richtlinie nicht nur die "Kernfamilie", sondern auch unverheiratete, gleichgeschlechtliche Lebenspartner und nichteheliche Kinder. Entsprechend groß dürfte der Zuwanderungsdruck auf Deutschland ausfallen. Zahlen von bis zu 500.000 zusätzlichen Zuwanderern machen die Runde.

Dazu wird in absehbarer Zeit ein kaum quantifizierbarer zusätzlicher Zuwanderungsdruck durch die EU-Osterweiterung kommen. Nach Auffassung des Chefs des Münchner IFO-Instituts, Hans-Werner Sinn, wird die Osterweiterung der EU zu einer "Massenemigration nach Deutschland" führen, die stärker werden dürfte, "als wir sie in den sechziger Jahren aus den Südländern erlebt haben". Sinn schätzt, daß sich bis zum Jahre 2030 elf Millionen Osteuropäer in Deutschland niederlassen könnten. Wie glaubwürdig, so muß man sich angesichts dieser Prognosen fragen, sind eigentlich Politiker, die auf der einen Seite durch vertragliche Vereinbarungen die Tore nach Deutschland immer weiter aufreißen, während sie gleichzeitig ihren Wählern suggerieren, daß die Massenzuwanderung nach Deutschland endlich in geordnete Bahnen gelenkt werden müsse?


 
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