© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Die Liga ist gefordert
Ursachen und Auswege aus der Krise der Fußball-Nationalmannschaft
Peter Boßdorf

Vor zehn Jahren, im Freudentaumel der gewonnenen Weltmeisterschaft, versüßte Franz Beckenbauer einer wehmütigen Nation seinen Rückzug vom Amt des Teamchefs der deutschen Nationalmannschaft mit einer kühnen Prophezeiung: Der deutsche Fußball, so seine Behauptung, wäre der internationalen Konkurrenz so weit enteilt, daß die Elf mit dem Bundesadler auf der Brust für ein Jahrzehnt praktisch unschlagbar sein dürfte. Gerade einmal zwei Jahre später, bei der Europameisterschaft in Schweden, war man leider eines besseren belehrt. Nur dank schottischer Schützenhilfe überstand die deutsche Mannschaft die Vorrunde und wurde im Endspiel von den übermächtigen Dänen vorgeführt.

Franz Beckenbauers Optimismus nach dem Sieg von Rom war allerdings gar nicht so blauäugig, wie er heute, nach der Blamage von Rotterdam, erscheinen mag. Damals durfte man wohl in der Tat auf einen nahtlosen Generationenwechsel hoffen. Man hatte Spielerpersönlichkeiten wie Stefan Effenberg und Andreas Möller in der Hinterhand, denen eine Führungsrolle in der National- mannschaft zugetraut werden durfte. Die deutsche Einheit vergrößerte den Kader um frühere DDR-Auswahlspieler wie zum Beispiel Matthias Sammer, Thomas Doll, Andreas Thom und Ulf Kirsten. Es ist kaum zu begreifen, daß aus diesem Potential nicht mehr geformt werden konnte.

Wenigstens von der Verantwortung dafür wird man Berti Vogts nicht freisprechen können. In atemberaubender Ge- schwindigkeit hat er das Kapital der ihm anvertrauten Elf verspielt. Er hat dem deutschen Fußball jenes traurige Gesicht gegeben, das er selber dem Fernsehzuschauer zeigte, wenn es wieder einmal galt, ein mißratenes Spiel zu beschönigen. Mit der Penibilität eines Fußballverwaltungsangestellten versuchte er, Lehrbuchsituationen auf dem Rasen nachzustellen und wunderte sich dann, daß die Gegner immer ganz andere Seiten aufgeschlagen hatten. Die Kreativität und, wie Günter Netzer immer so schön sagt, die Fähigkeit, ein Spiel zu lesen, ist auch den besten deutschen Spielern in der Ära Berti Vogts gründlich ausgetrieben worden. Die deutsche Fußball-Öffentlichkeit hat er mit dem Gefühl vertraut gemacht, stets das Schlimmste befürchten zu müssen, wenn die Nationalhymne erst einmal verklungen ist.

Nach 1990 gab es zwar weiterhin mehr Siege als Niederlagen, aber kaum noch Begegnungen, in denen die deutschen Spieler schon während der Partie wie Sieger auftraten. Charme konnte die Nationalmannschaft nur noch einmal entwickeln, 1996, bei der Europameisterschaft in England, als zahlreiche Verletzungen zur Aufstellung einer Notelf zwangen, die aus der Außenseiterposition ins Endspiel vordrang und dieses auch noch gewann. Die Sympathien galten hier aber einem Team, das nicht Überlegenheit vermittelte, sondern einfach nur das Unmögliche möglich machte – ganz so wie ein Amateurverein, der einen Bundesligisten im DFB-Pokal ausschaltet.

Berti Vogts und erst recht sein Nachfolger Erich Ribbeck sind aber nicht für alles verantwortlich zu machen. Andere Spieler, als ihnen die Bundesliga anbot, standen in der Tat nicht zur Verfügung. Diskussionen darüber, ob wirklich die richtigen für ein Turnier berücksichtigt wurden, hat es immer gegeben, und immer waren sie ergebnislos. Berti Vogts und Erich Ribbeck haben nahezu jeden Spieler mit deutschem Paß ausprobiert, der halbwegs konstant eine gute Form erkennen ließ. Was sie allerdings nicht beeinflussen konnten, war die Qualität der deutschen Nachwuchsspieler, und ihren Nachfolgern wird es hier nicht besser ergehen.

Die Misere der deutschen National- mannschaft liegt wahrscheinlich weniger darin, daß es in unserem Land plötzlich keine Talente mehr gibt, sondern in einem unterentwickelten Interesse der Vereine, diese aufzuspüren und zu fördern. Eine langfristig orientierte Jugendarbeit, die nicht bloß Amateurmannschaften auffüllen soll, ist kostspieliger und risikoreicher als die Verpflichtung von Spielern aus fußballerischen Entwicklungsländern, für manche Vereine wahrscheinlich sogar unbezahlbar. Der Identifikation der Zuschauer mit "ihrer" Mannschaft schadet diese Politik längst nicht mehr. Vereine wie der SC Freiburg oder Energie Cottbus stünden ohne sie vermutlich nicht dort, wo sie heute stehen. Die großen Clubs hingegen, die sich eine Kaderschmiede leisten könnten und sich zum Teil ja auch an einer solchen versuchen, sind aus anderen Gründen nur schwer mit den Interessen des DFB und seiner Auswahl unter einen Hut zu bringen.

Die 1998 kurzzeitig entfachte Diskussion, ob das Modell Nationalmannschaft überhaupt noch eine Zukunft habe, ist zwar schnell wieder verstummt, die in ihr zum Ausdruck gekommenen Standpunkte sind aber unverändert. Man hat zwar die Hoffnung begraben, daß die internationalen Wettbewerbe der Vereinsmannschaften jene der Nationalteams verdrängen könnten, und man hat auch das Thema Euroliga zurückgestellt. Es gibt aber unverändert ein latentes Unbehagen über einen DFB, der die erfolgreichen Fußballvereine in einen Finanzausgleich mit den weniger erfolgreichen zwingt, und der Spieler, die bei den Clubs unter Vertrag stehen und für die diese letztlich auch das Risiko tragen, in der Form von Länderspielen dazu benutzt, seinen Etat aufzubessern.

Bessere Zeiten wird die Nationalmannschaft erst dann erleben, wenn die Bundesliga dazu gebracht werden kann, die Weichen wieder in diese Richtung zu stellen. Unmöglich ist das nicht, sondern bloß unwahrscheinlich.


 
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