© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Im Gleichschritt, marsch!
Bundeswehr: Wie Verteidigungsminister Scharping seine Kritiker kaltstellt
Michael Wiesberg

Ende voriger Woche wurde in verschiedenen Zeitungen berichtet, daß der deutsche General a.D. Heinz Loquai seinen Dienst bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in Wien auf Druck des Bundesverteidigungsministeriums quittieren muß. Loquai hatte in den vergangenen Wochen Bundesverteidigungsminister Scharping des öfteren vorgeworfen, im Hinblick auf angebliche serbische Vertreibungspläne im Kosovo (Stichwort: "Hufeisenplan") die Unwahrheit gesagt zu haben. Substantiiert hat Loquai seine Anschuldigungen in seinem kürzlich erschienenen Buch "Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg" (Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000), das in der JUNGEN FREIHEIT ausführlich vorgestellt worden ist; JF 22/00, S.8).

Obwohl das Auswärtige Amt, das für die OSZE zuständig ist, Loquais Werkvertrag für die OSZE-Mission verlängern wollte, verweigerte das Bundesverteidiungsministerium seine Zustimmung. Eine Vertragsverlängerung wäre aber, so die Berliner Zeitung vom 23. Juni, nur mit dem übereinstimmenden Votum von Verteidigungs- und Außenministerium möglich gewesen. Die Argumentation des Verteidigungsministeriums lautete gemäß Berliner Zeitung: Loquai habe sich durch sein öffentliches Auftreten " selbst disqualifiziert". Dessen Vorwürfe gegen Verteidigungsminister Scharping habe dieser mehrfach zurückgewiesen. Dieser Hinweis ist zutreffend. Bis heute hat Scharping allerdings keinen einzigen hinreichenden Beweis für die Existenz des Hufeisen-Planes, der ein entscheidendes Motiv für die Eröffnung des Luftkrieges der Nato gegen Jugoslawien darstellte, erbringen können. Loquai steht mit seiner Kritik im übrigen nicht alleine dar. So wies zum Beispiel der Hamburger Friedensforscher Dieter Lutz darauf hin, daß es im Verteidigungsministerium einen Offizier gebe, den man "Hufschmied" nenne. Dieser sitze, so Lutz gegenüber der Süddeutschen Zeitung vom 4. April, bei der Nachrichtenauswertung und habe den Hufeisenplan "quasi geschrieben". Leider wolle das, so Lutz, im Bundestag niemand hören. "Dort bezichtige man ihn (Lutz, d.V.), Verschwörungstheorien zu verbreiten."

Loquai ist nicht das erste Opfer und wird nach Lage der Dinge nicht das letzte Opfer Scharpingscher Kujonnierungsmaßnahmen gegenüber Andersdenkenden bleiben. Mit Recht stellte zum Beispiel Johann Michael Müller in einem Kommentar in der Welt über die Ablösung des Generalinspekteurs Hans Peter von Kirchbach fest, daß Scharping die "Bundeswehr als sein persönliches politisches Spielfeld" betrachte. Der unterwürfigen Art und Weise, mit der sich Scharping zum Sprachrohr der US-Kriegspropaganda im Kosovokrieg machte, entspricht die Kaltschnäuzigkeit, mit der Scharping in Personalfragen bei Unbotmäßigkeit tabula rasa macht. Der "Fall von Kirchbach" ist in diesem Zusammenhang in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Kirchbach hatte bereits zwei Wochen vor Veröffentlichung der Vorschläge der Weizsäcker-Kommission um seine Versetzung in den Ruhestand gebeten. Scharping hatte dieses Gesuch zu diesem Zeitpunkt abgelehnt, weil er von Kirchbach noch als Bauernopfer brauchte. Michael Inacker hat in einem e Beitrag für die Welt dargestellt, warum. "Der General", so Inacker, "sollte den Reformunfähigen (sprich: "Betonkopf", d.V.) spielen – gegenüber dem sich Scharping positiv profilieren konnte." Von Kirchbach wurde also noch bis zur Veröffentlichung der Reformvorschläge der Weizsäcker-Kommission gebraucht.

Dann durfte und sollte er gehen. Ein Drehbuch, das auch ein versierter "Kanalarbeiter" wie Oskar Lafontaine, der Scharping einst in einer Kampfabstimmung den SPD-Parteivorsitz abnahm, nicht besser hätte schreiben können...

Der militärische Analphabet Scharping demonstrierte gegenüber von Kirchbach, welche Lehren er aus seinem langen Marsch durch die SPD-Institutionen gezogen hat. Inacker wörtlich: "In einer inszenierten Veranstaltung mußte der Generalinspekteur seinem Minister am Dienstag sein Eckwertepapier überreichen. Dies sei der demütigenste Akt für von Kirchbach gewesen, hieß es bei Offizieren der Bundeswehr."

Im Vorfeld hatte bereits der neue Generalinspekteur Kujat, bar jeder Truppenführererfahrung, dafür aber Scharpings Favorit, mit gezielten Indiskretionen von Kirchbachs Renom¦me untergraben. Nur nebenbei sei erwähnt, daß vor von Kirchbach bereits Staatssekretär Peter Wichert von der Scharping-Kamerilla weggemobbt worden war. Doch damit nicht genug. Ende Mai berichtete das Hamburger Abendblatt, daß 38 hohe Offiziere am 1. Juli dieses Jahres ihren Hut nehmen sollen. Scharping wolle deren Posten "seinen Vertrauten zuschachern". Und weiter: "Bei der Entlassung von 38 der insgesamt 178 Generäle spielten lediglich politische Gründe eine Rolle – wie bereits bei Generalinspekteur Hans Peter von Kirchbach und Staatssekretär Peter Wichert." Mit den "richtigen" Soldaten in den Spitzenpositionen wolle Scharping, so das Hamburger Abendblatt, seine umstrittene Bundeswehrreform absichern.

Auch wenn diese Meldung bisher noch nicht bestätigt worden ist, fällt ins Auge, mit welcher Ignoranz der Zeitlupen-Rhetoriker Scharping dem militärischen Sachverstand von Fachleuten begegnet. Als einfältiger SPD-Parteifunktionär, der bei jeder Pressekonferenz wirkt, als würde er unablässig unter Obstipationen leiden, hat Scharping vor allem eines gelernt: Loyalität zu belohnen und Unbotmäßigkeit abzustrafen. Einer wie Loquai, der hartnäckig auf seiner Version der Dinge beharrt, paßt nicht in dieses Schema und hat deshalb von der Bildfläche zu verschwinden.

Der Fall Loquai und die anderen Vorgänge machen deutlich, daß Scharping offensichtlich einem Denken verhaftet ist, daß Generalfeldmarschall Albrecht Graf von Roon (1803–1879) einmal wie folgt charakterisierte: "Die Armee hat keine Berechtigung zu politischen Meinungsäußerungen; sie ist das Instrument, von dem die Politik den geeigneten Gebrauch macht." Der Praktiker Roon schränkte aber sofort ein: "Es gab und gibt kaum eine Armee, welche sich lediglich als politisches Instrument, als Lanzette für den diplomatischen Operateur auffaßt und begreift. (…) Und je entwickelter das Standesgefühl in einem Heere sich befindet, desto empfindlicher... wird es für alles, was seine Interessen... verletzt." Einer wie Scharping weiß, wie übrigens seine Vorgänger Rühe oder Wörner (Stichwort: "Kießling-Affäre") auch, von diesem Standesgefühl nichts. Dieses spielt in ihren von parteipolitischen Winkelzügen geprägten Weltbild keine Rolle. Trotzdem könnte die ständige Verletzung dieses Standesgefühls eines Tages der politischen Karriere des zum Verteidigungsminister aufgerückten Parteifunktionär Scharping ein vorzeitiges Ende bereiten.


 
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