© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Pankraz,
Wolfgang Joop und die Pille gegen Kaufrausch

Viele Ehemänner werden aufatmen: Britische Forscher haben jetzt eine Anti-Shopping-Pille entwickelt und angeblich auch schon erfolgreich getestet, eine Pille gegen die Einkaufswut besonders von Frauen, die an keinem Laden vorübergehen können, ohne sofort in den "Kaufrausch" zu verfallen und noch ihr letztes bißchen Haushaltsgeld für an sich überflüssige Sachen zum Fenster hinauszuwerfen. Das gefährdete bisher bekanntlich unzählige Familienetats. Schon das Sprichwort sagt ja: "Wenn du immer kaufst, was du nicht unbedingt nötig hast, wirst du bald das wirklich Nötige verkaufen müssen."

Der um den Familienetat besorgte Ehepartner braucht künftig nur eine kleine bunte Pille in den Morgenkaffee seines kauflustigen Gegenübers fallen zu lassen, und siehe da, schon ist dieses gegen alle einschlägigen Versuchungen gewappnet und wird beim Shoppen jeden Pfennig zweimal umdrehen, bevor es ihn ausgibt. "Kaufrausch", sagen die Forscher, "ist eine Form der Depression". Deshalb haben sie ihre Anti-Shopping-Pille aus Bestandteilen der sogenannten Antidepressiva zusammengesetzt. Sie betrachten ihr Unternehmen als einen wichtigen Beitrag zur Volksgesundheit.

Ist es aber auch ein Beitrag zur Gesundheit der Volkswirtschaft? Oder widerspricht es nicht, im Gegenteil, jeglicher ökonomischer Rationalität, ja, sogar dem heiligen Zeitgeist, der doch eindeutig dem Kaufen um des Kaufens willen das Wort redet? "Ich shoppe, also bin ich", verkündet Modemacher Wolfgang Joop, Descartes berühmtes "Cogito ergo sum" zeitgemäß abwandelnd, und eines der zur Zeit meistgespielten Stücke auf unseren Bühnen heißt klipp und klar "Shoppen & Ficken", solcherart die nach Meinung der Theatermacher wichtigsten Tätigkeitsbereiche menschlicher Existenz bezeichnend.

Georges Bataille, der berühmte Theoretiker des Luxus und der Moden, hat schon vor einem halben Jahrhundert (in sehr viel knapperen Zeiten als heute) das Hingeben von Geld für pure Überflüssigkeiten zum "gesellschaftlichen Gesetz an sich" erklärt. Das Geld, das "Notwendige", werde bei diesem Vorgang zwar "verschwendet", aber das sei eben das Leben: Verschwendung, Umwandlung des Notwendigen in Nichtnotwendiges, in "Freiheit", in frei verströmende Energie.

Je höher ein Lebewesen auf der Entwicklungsleiter stehe, sagt Bataille, umso mehr Energie verschwende es. Der Mensch mit seinen vielen luxurierenden Bedürfnissen oder Scheinbedürfnissen ist da selbstverständlich der größte Energieverschwender der Weltgeschichte, und in der menschlichen Staatenwelt stehen die technisch fortgeschrittensten, "freiesten" und am heftigsten shoppenden Staaten des Westens, in erster Linie Amerika, im Energieverbrauch äonenhoch über allen anderen.

Freilich erinnert sich Pankraz daran, daß auch die verflossene DDR einen außerordentlich hohen Energieverbrauch hatte. Er war fast so hoch wie der der USA, ohne daß das Shopping im gleichen Maße entwickelt gewesen wäre. In der DDR herrschte eine gewissermaßen freudlose Verschwendung, man wollte gar nicht an die Spitze des Energieverbrauchs, doch um beim Kaufangebot wenigstens einigermaßen mithalten zu können, mußte man eben absurd große Energiemengen einsetzen. Das Shoppen verlor darüber allen Reiz der Freiheit, es war bittere Notwendigkeit – und ein ungemein depressives Geschäft, gegen das man gern eine kleine bunte Pille gehabt hätte.

Solche Konstellationen legen den Verdacht nahe, daß es vielleicht doch besser wäre, das Shoppen überall in Grenzen zu halten, es nicht im Stile von Joop und Bataille anzubeten und extra hochzujubeln. Wenn all die Milliarden von Chinesen und Indern dasselbe Shopping-Niveau und damit (mindestens) denselben Energieverbrauch wie die Amerikaner hätten, bräche auf Erden wohl das totale Chaos aus, der wildeste Verteilungskampf um die dann wirklich knapp werdenden Resourcen. Man sollte den schlafenden Tiger nicht unnötig aufwecken.

Bataille wies seinerzeit auf die ungeheuren kosmischen Energien des Universums hin, auf die gewaltigen Protuberanzen der unzähligen Sonnen; diese, meinte er, seien doch Fingerzeig genug dafür, daß es auch auf der Erde faktisch unbegrenzte Energiemassen gebe, die ungeniert "vershoppt" werden könnten. Aber diese Argumentationsform überzeugt wenig.

Was nützen uns auf unserem winzigen Planeten denn die kosmischen Energieausbrüche? Nichts. Sie sind sogar für den Bestand des Lebens gefährlich. Andererseits werden die Riesenvölker Asiens, wenn die Shopping-Propaganda nicht aufhört, wenn weiterhin einzig Shoppen & Ficken gelten soll, eines Tages ihren proportionalen Anteil am Energiekuchen einfach erzwingen, was zu einer dramatischen Senkung der Shopping-Standards in den westlichen Ländern führen würde, noch weiter unter die erwähnten fatalen DDR-Standards hinab.

Da hülfe dann auch virtuelles Shoppen im Internet nicht, ganz abgesehen davon, daß dieser im Augenblick so stürmisch gefeierte "E-Commerce" (woran noch gar niemand gedacht zu haben scheint) der Shopping-Faszination seinerseits das Wasser abzugraben beginnt. Er entsinnlicht das Geschäft, raubt ihm die Düfte und Handschmeicheleien, verwandelt den Kauf in eine simple digitale Operation. Das werden speziell die Frauen schmerzlich zu spüren bekommen, die die Pille gegen ihren natürlichen "Kaufrausch" demnächst vielleicht gar nicht mehr brauchen.

Die neue Anti-Shopping-Pille ist strikt nach dem Vorbild der legendären Antibaby-Pille konstruiert, das ist ihr Fehler. Was gebraucht würde, wäre eine Pille weniger gegen irgendeinen Rausch als vielmehr gegen den völlig rauschlosen, völlig gefühllosen digitalen Maximierungs-Kalkül der Macher und Abzocker. Gegen den, fürchtet Pankraz, hilft aber keine Pille, höchstens Behandlung mit embryonalen Stammzellen.


 
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