© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Nachrufe auf das Soldatentum
Hélie Saint Marcs Reflexionen über die edelste Auspägung des citoyen
Franz Uhle-Wettler

Der Lebensweg des Verfassers illustriert einige der Brüche des 20. Jahrhunderts. Hélie de Saint Marc, der Sohn einer altadeligen südfranzösischen Familie, schon 1940 in der Widerstandsbewegung, 1943 verraten, nicht – wie es völkerrechtlich zulässig gewesen wäre – erschossen, sondern für zwei Jahre ins Konzentrationslager gesteckt, begann 1945 eine Ausbildung zum Offizier und diente dreizehn Jahre in einem Fallschirmjägrregiment der Fremdenlegion in Indochina und Algerien. 1961 war er Teilnehmer am Putsch der Algeriengenerale, die er mit Ausstoßung aus der Armee und Verurteilung zu zehn Jahren Gefängnis bezahlte. Nach sechs Jahren begnadigt, dann in der Privatwirtschaft tätig, wird dieser degradierte ehemalige Major 1979 zum Kommandeur der Ehrenlegion ernannt.

Zu den formenden Erlebnissen, um die die Gedanken des Verfassers kreisen, zählen die Brutalität der Behandlung im KZ und die Brutalität des Partisanenkrieges – von dem schon Wellington geurteilt hatte, ein solcher Krieg öffne die "Tore der Hölle". Dabei ist Saint Marc davon überzeugt, daß sein Frankreich stets auf der richtigen Seite stand. Der Kampf der Résistance-Partisanen scheint ihm so gerechtfertigt wie die Folterung algerischer Gefangener.

Besonders gewichtig war aber wohl für Saint Marc, was er als Verrat der Politiker an der kämpfenden Truppe empfand. Als die Führung Frankreichs in Indochina und später in Algerien keinen Kompromiß mehr, sondern nur noch einen raschen Abzug suchte, schickte sie ihre Soldaten trotzdem weiterhin in den Kampf und in den Tod.

Saint Marcs Bücher sind von der französischen Kritik gefeiert worden und erreichten hohe Auflagen. Ihr Mißtrauen gegen die politische Klasse kommt einem weitverbreiteten Gefühl entgegen. Das gilt auch für seine Wertung des Soldatentums. Für viele Franzosen folgt der Soldat dem Ruf des Vaterlandes unter Einsatz seines Lebens, und deshalb ist er die edelste Ausprägung des citoyen. Ein bei uns undenkbares Verständnis von Soldatentum. Gleiches gilt für Saint Marcs Urteil über die Fremdenlegion. Für ihn ist sie weit mehr als eine Söldnertruppe. Zu Recht betont er, daß ihr hoher Kampfwert innere Kraft und Führungskunst voraussetzt.

Saint Marc sieht sich als Soldaten, also als "Mann der Tat", mit einem "starken Hang zur Kontemplation". Er berichtet daher nicht nur von Kampf und Tod, Kameradschaft, Ruhm und auch Schande, sondern ebenso wie Leo Tolstoi, Alfred de Vigny und Ernst Jünger reflektiert er, oft unter Rückgriff auf die Philosophen des Orients, über Kaserne und Kloster, Ehre und Vaterland. Das läßt erahnen, wie er jene Kriegsart beurteilt, die im Irak und im Kosovo realisiert wurde, wo "chirurgische Eingriffe" eigene Verluste vermeiden halfen, aber um so nachhaltiger Tod und Verwüstung in die gegnerischen Reihen trugen. Die Sieger sind in einem solchen Krieg nur noch Vollstrecker, vielleicht "ohne Seele und Mut". Für Saint Marc liegen aber Rechtfertigung und Größe des Soldatentums in der Bereitschaft, den "Krieg und den Sieg mit einem hohen Preis zu bezahlen, mit Angst und mit Tod". Solche Bücher sind in Deutschland schwer und als Bestseller schon gar nicht denkbar. So gibt es manchen guten Grund, sie sehr nachdenklich aus der Hand zu legen.

 

Hélie de Saint Marc: Asche und Glut – Erinnerungen, Edition Atlantis, Friedberg 1998, 282 Seiten, 39 Mark

Ders.: Die Wächter des Abends. Edition Atlantis, Friedberg 2000, 182 Seiten, 31, 30 Mark


 
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