© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Universalgeschichte als charmante Plauderei
Fern der Stickluft politischer Korrektheit: Eine Carl-Schmitt-Tagung im spanischen Pamplona
Günter Maschke

Der römische Rechtsphilosoph Antonio Caracciolo, der mehrere Werke Carl Schmitts übersetzte (so die "Verfassungslehre" und "Der Hüter der Verfassung") und dessen Zeitschriften "Behemoth" (1986–1995) und "De Cive" (ab 1996) für die Schmitt-Forschung unentbehrlich wurden, trug sich seit längerem mit dem Gedanken, ein dem Werk des deutschen Staatsdenkers gewidmetes Jahrbuch herauszugeben. Gut Ding will Weile haben. Jetzt ist nach beträchtlichen Widerständen der erste Band erschienen. Er sammelt die Referate, die im Oktober 1996 an der Opus Dei- Universität von Navarra in Pamplona im Rahmen eines Colloquiums "Über die Bedeutung und die Aktualität des Denkens von Carl Schmitt" gehalten wurden.

Die Enttäuschung über die große Verspätung der Publikation erledigt sich rasch, wenn man sich in die Lektüre vertieft. Hier wird nicht gouvernantenhaft danach gefragt, inwieweit Schmitt "gefährlich" für die "Demokratie" sei, ob er des Teufels heimtückischer Kronjurist war oder gar sich durch einen abgrundtief schlechten Charakter auszeichnete. Hier wird der Herausforderungscharakter dieses großen Werkes, aktuell weil klassisch, klassisch weil aktuell, ernst genommen. Das öde Spiel der Vergangenheitsbewältigung wird zur Gänze ignoriert.

Von den zwölf Vorträgen werden neun auf spanisch, zwei auf deutsch und einer auf italienisch gehalten. Die deutschen Beiträge stammen von Schmitts engen Freunden Joseph H. Kaiser ("Ordnungsdenken im Blick auf Anknüpfungen einer Politischen Theologie") und Helmut Quaritsch ("Über Aktualität und Historizität Carl Schmitts"). Kaiser, der schon früher die Abmachungen von Bretton Woods (1944) als die moderne Form einer "konkreten Ordnung" bezeichnet hatte und damit wohl nicht nur Schmittianer überraschte, ging hier auf den Cyberspace ein und sah ihn als einen durch Geschwindigkeit geschaffenen neuen "Raum" und eine noch nicht hierarchisierte Ordnung. Einer der Teilnehmer konnte seine Verblüffung nur mit dem Satz "Virilio trifft Schmitt!" ausdrücken. Quaritsch zeigt an der Fülle des internationalen Schrifttums wie auch an den neueren politischen Großereignissen die "Aktualität" auf, handle es sich um das weltweite Problem "Legalität-Legitimität" oder die sich im Irak-Krieg zeigende Hegemonie der USA. Antonio Caracciolo untersuchte die Beziehungen zwischen Costatino Mortati (1890–1985) und Schmitt: fast gleichzeitig erkannten beide Männer die Probleme des Koexistierens von formaler und materialer Verfassung.

Obwohl die Sprachbarriere eine Überprüfung dieser kühnen These in Deutschland behindern wird, kann man ohne weiteres behaupten, daß die spanischen Beiträge zu dieser Tagung erneut dokumentieren, wie unangefochten der Schmitt-Diskussion in der Heimat von Donoso Cortés international den ersten Rang einnimmt – und dies seit den dreißiger Jahren! Besondere Resonanz fand Schmitt hier mit seiner Kritik des Liberalismus, die sich gerade heute, angesichts seines scheinbar totalen Sieges, wieder bewährt. Die Madrider Rechtsphilosophin Consuele Martínez befaßt sich mit Schmitts Entgegensetzung von "Parlamentarismus" und "Demokratie". Sie gelangt dabei aber leider zu dem Fehlschluß, die Diktatur als etwas der Demokratie Konträres anzusehen und nicht als eine ihrer möglichen Verwirklichungen. Deshalb unterblieb wohl auch eine Analyse der Akklamationsdemokratie, wie sie sich angesichts der spanischen Geschichte angeboten hätte.

Der Historiker Dalmacio Negro erörterte Schmitts Kritik des Liberalismus grosso modo und beleuchtet besonders präzise den immer wieder ignorierten Unterschied zwischen der Politik und dem Politischen. Der Philosoph Rafael Alvira (Navarra) kontrastierte die heutigen liberalen Theorien mit der Schmitts und zeigte, wie in ihnen die von Schmitt prognostizierte "Privatisierung" des Politischen kulminiert und die Krise der Repräsentation sich vollendet. Die Rechtsphilosophin Mont-serrat Herrero, eine Schülerin von Alvara d’Ors, untersuchte Schmitts Stellung zwischen Klassik und Moderne. Sie leistete dabei eine außerordentlich kenntnisreiche Erörterung des "Nomos" – eines Schlüsselbegriffs Schmitts. José María Beneyto (Madrid), durch seine deutsch geschriebenen Werke über Schmitt und Donoso Cortés bei uns bekannt, sah Schmitts Werk als "Paradigma der Krise der Moderne". Pablo Lucas Verdú, nach dem Tode von Enrique Tierno Galván wohl der führende Staatsrechtler Spaniens und der Sozialdemokratie zuzuordnen, betonte die immer wieder neu sich zeigende Aktualität Schmitts. Dessen "Verfassungslehre" bleibe auch für einen politisch so weit entfernt Stehenden wie ihn das "Grundbuch" des parlamentarischen Systems. In Deutschland hätte Verdú wohl Gesinnungsgenossen durch sein Lob der geistigen "Gefährlichkeit" Schmitts verblüfft: der Feind ist meine eigene Frage als Gestalt.

Antonio Truyol y Serra, 1913 in Saarbrücken geboren, heute der Nestor der spanischen Völkerrechtler, schilderte mit der ihm eigenen, jugendlichen und ansteckenden Begeisterung die Eindrücke und Anregungen, die er von Schmitts "Land und Meer" (1942) empfangen habe. Ganz en passant wurden die Zuhörer über Admiral Mahan, Arnold Toynbee und den französischen Geographen Jean Gottmann belehrt: Universalgeschichte als ästhetische und charmante Plauderei. Der Rezensent versuchte zu demonstrieren, wie der heute ins Werk gesetzte europäische Einigungsprozeß in erster Linie eine US-amerikanische Einigung ist: Ein völlig penetrierter Kontinent verfügt nicht über die Qualitäten eines Großraums und endet in einer Lateinamerikanisierung de luxe.

Der umfangreichste und intellektuell überraschendste Beitrag stammt von dem in Murcia lehrenden José Luis Villacanas. Er glaubt, Schmitts Faszination erkläre sich aus seiner Stellung zwischen Politischer Theologie und Politischer Mythologie. Ein deutscher Zuhörer mußte hier etwas deprimiert zur Kenntnis nehmen, daß eine an Eindringlichkeit wie an Empathie vergleichbare Betrachtung Theodor Däublers (1876–1934) im eigenen Vaterland wohl nicht zu finden ist.

Es war keineswegs so, daß sich in Pamplona nur die gern gescholtenen "Apologeten" Schmitts versammelt hatten. Hier fanden sich Geister recht unterschiedlicher Provenienz in der Bewunderung für ein vieldeutiges, unerschöpfliches, anknüpfungsfähiges Werk, vor dessen Perspektvenreichtum alle Vorwürfe, selbst wenn man sie so gewichten würde, wie es das Heer der moralisch hochgerüsteten Schmitt-Verfolger tut, gegenstandslos, ja lächerlich sind. Wer diese Vorbehalte als Nebensache qualifiziert, nimmt sie immer noch zu wichtig. Zwei Tage fern von aller political correctness, von der den Geist abstumpfenden und die soviel bemühte Courage abdrosselnden Stickluft, nahe den Bergen der Pyrenäen, wo sie am schönsten sind, und dabei Freundschaften schließen mit Andersgesinnten! Nicht nur der Geist des großen Juristen und politischen Denkers war anwesend, auch der des noch beeindruckenderen Gastgebers Schmitt, dessen bescheidenes Haus in Plettenberg schon so viele, mit Anregungen überladen, freudig und zugleich das Dahinrasen der Zeit beklagend, verließen.

 

Carl Schmitt: Studien I – Coloquio sobre la importancia y actualidad del pensamiento de Carl Schmitt, Verlag De Cive, Roma 2000, 174 Seiten, 31 Mark. Vertrieb: http://www.uniroma.it/decive . Oder: E-Post: csstudien@uniromal.it .


 
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