© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Pavillon der Hoffnung: Wie sich Christen auf der Expo in Hannover präsentieren
Jesus im Internet-Café
Jutta Winckler-Volz

Mit der Weltausstellung in Hannover verbindet das Publikum Vorstellungen von Technik und Wissenschaft, Kunst und Kultur. Diese werden vor Ort vermittelt durch Touchscreen, Videoclip, Automaten, Installationen, Environments und was dergleichen Medien mehr sind. Informationcenter, "Make Friends Area", Wunschmauer, Bühne, "Chill Out Zone" heißen jene Orte, auf denen Besucher sich kundig machen können. In Meeting-Camps trifft sich die Jugend der Welt und nächtigt dort ermäßigt, denn umsonst ist auf der Expo 2000 allenfalls der Tod.

Im Funsporthouse stößt man auf warenästhetisch durchmodellierte Leibesübungen, von denen einschlägig Interessierte wünschen, die Spaßgesellschaft möchte sie zu "Sportarten der Zukunft" erheben: Beachvolleyball, Mountainbiking, Freeclimbing, Skateboarding, Inlinescating, Streetsoccer, Breakdancing – ulkigerweise Exportartikel der unsportlichsten Sozialgruppierung des Planeten, dem weißen US-Amerika.

Gegenüber werden demnächst "Worldwide Young Researchers for the Environment" in Kompaniestärke eine Art Knaben-Weltmeisterschaft der Umweltschützerei austragen. Zweifelsfrei findet unter ihnen jene Expo-Seilbahn Anklang, die sich fünfzig Meter über der norddeutschen Tiefebene dahinschwingt. Derlei trägt im Flach-Norden schon alpine Züge, steht daher unter der Schirmherrschaft von Gipfel-Guru Reinhold Messner. In mehr als hundert Kabinen werden pro Stunde 12.000 Besucher (eine besonders wertvolle Spezies!) quer übers Ausstellungsgelände gegondelt. Die Schwebenden von Laatzen schauen dann auf Hallen und Grünflächen, Parkplätze und Bahnhöfe, Themenparks und Präsentationen, auf Serviceflächen, die Plaza und den "Deutschen Pavillon". Welcher Gondelnde aber ahnt, daß unter ihm – man gestatte die gewagte Wendung – auch ein Auftritt des Himmels zu finden ist?

Seit der heilige Geist Demokrat geworden ist, pflegen die kirchenförmig verfaßten Christengemeinschaften des Westens sich "völlig offen". Hierin, in der "Offenheit", scheint ein regelrechter Wettstreit ausgebrochen zu sein, wer es am schnellsten zu größtmöglicher "Offenheit" brächte. Noch vor wenigen Jahrzehnten, in der grauen Vorzeit einer "dogmatisch verfestigten" Glaubengewißheit, wäre es, nach innen wie nach außen, überaus begründungsbedürftig gewesen, was um Himmels willen eine christliche Kirche auf dem triumphalistischen Hexensabbat des szientistischen Progressismus zu suchen habe.

Gottlob sind diese Zeiten vorbei. "Moderne" Bischöfen, die wir Heutigen zu haben uns glücklich preisen dürfen, stellen sich frei von obsoleten Skrupeln "den Herausforderungen der Gegenwart". Fest "in Grundwerten verankert", begreifen sie die Marginalisierung ihrer Position als "Chance zum offenen Dialog". Kurt Schwitters, ein prominenter Hannoveraner, hätte hierzu auf seinen "Dritten Prager Brief" verwiesen: "Heute bin ich so angenehmer Stimmung, daß ich Lust hätte, alle zu lieben und alles anzuerkennen. Wer weiß ob ich es morgen noch bin." Also Exponiert Kirche sich. (Seit der Ordinierung von Frauen mag Kirche keine substantivischen Artikel mehr.)

Inmitten der oben skizzierten Welt-show (abzüglich der Vereinigten Bundesstaaten von Nordamerika) "präsentiert" sich also auch das Christentum – weltoffen, versteht sich, wie keine zweite Großreligion. Parallel zum Expo-Motto "Eine neue Welt entsteht" steht der universale Gedanke im Zentrum. Die Platzhalter des Transzendenten auf dem "Marktplatz der Welt". Bismarck soll gesagt haben: "Wer Welt sagt, will betrügen." An der Plaza, neben dem "Deutschen Pavillon" steht der nach Christus benannte. Getragen von EKD und Deutscher Bischofskonferenz. Baulich wirkend wie ein Sakralbau der späten sechziger Jahre, Friedhofskapellenarchitektur, Betonformguß, Metallzierrat, Milchglasscheibe, calvinistisch kahl, inhaltliche Fixierung nullsymbolisch verunmöglichend. Wucht der Leere, Pathos der Öffnung, Warten auf Godot, negative Theologie, nichts sagende Hohlform.

Dabei soll dieser Pavillon des religiösen Glaubens zumindest "ein anderer Ort" sein, so der Hamburger Architekt Meinhard von Gerkan, der für diese christliche Kabbah verantwortlich zeichnet. Der umlaufende Kreuzgang mutet wie ein Amtsgerichtskorridor an, das 27 Meter hohe Kreuz brekerartig überdimensioniert. "Meditation" lautet das pastorale Shibboleth der Gegenwart; mit ihm suchen sich die Berufschristen "unserer Gesellschaft" allenthalben aus der Affäre zu ziehen. Da kann ein jeder, kann eine jede frei assoziieren, wozu vagierende Phantasie, wozu die medial verseuchte Assoziationsturbine gerade "Lust" hat. Inhaltliche, gar konfessionelle Festlegungen seines Glaubens scheut der laue Gegenwartschrist wie der Teufel das Weihwasser.

Bischof Lehmann, der große Mainzer Brückenbauer, preist das im Klerikalpavillon Gebotene, besonders die musikalischen und szenischen "Darbietungen". Womit jene sonderbaren Tänze im Altarraum gemeint sein dürften, jene Selbstverwirklichungsgymnastik neurotischer Mittdreissigerinnen, die ein traditionsvergessener Episkopat zu liturgischen Ehren hat kommen lassen. Sakrale Landnahme durch flackernde Subjektivismen. Der Apostolische Nuntius in Deutschland, Giovanni Lajolo, bietet in seinem Vatikan-Pavillon einen Raum an, "in dem der Mensch im Mittelpunkt steht". Dies soll sich nicht unbedingt mit dem decken, was Rom vor dem sogenannten Aggiornamento lehrte. Der kreisrunde Bau aus Holz und Glas ist, wie könnte es anders sein, nach allen Seiten offen. Das gebäudeartige Etwas umgibt ein fünfzig mal neunzig Meter großer Hain, dessen Blätterdach den Vatikan-Auftritt ikonographisch in Richtung Laubhüttenfest/Altisrael schiebt. In der Leere des Raums prangt ein anderthalbtausendjähriges Mandylion, die älteste Christusdarstellung ihrer Art.

Als oberste Glaubensartikel des polnischen Pontifikates sind Dokumentationen zu Menschenrechten, Menschenwürde und Menschengröße unverzichtbar. Von Gottesrechten und Menschenpflichten findet sich nichts. Neben römischen Leib- und Magenthemen wie Familie und Kindersegen sind Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit plakatiert. Da ist Rom neodogmatisch dicht beim "Hoffnungspavillon" des Christlichen Vereins Junger Menschen (vormals: Männer), der mit World Vision Deutschland und der Evangelischen Allianz die obligate Dritte-Welt-Propaganda abzieht. Auf einer "Großveranstaltung" geht es den Gottesmenschen bald um nichts weniger als die "Weltverantwortung in den Religionen", und nüchterne Zeitgenossen fragen sich, ob man es nicht ein bißchen kleiner und konkreter haben kann. Den wolkigen Auskünften der metaphysischen Vormoderne folgen nicht weniger wolkige des religiös motivierten Vernetzungsglobalismus.

Ein Image als Reparaturkolonne des Turbokapitalismus mag den durchbürokratisierten Kirchen unserer Tage behagen. Dazu dienen in Hannover unter anderem "Theaterprojekte von Straßenkindertheatergruppen", Diskussionen mit Hans "Weltethos" Küng und ähnlichen Herz-Jesu-Sozialisten, jede Menge "kritische Positionen im Dialog" und allerlei "erlebnisorientiertes Zeichensetzen". "Zeichen und Wunder", davon ist auszugehen, werden in Hannover nicht geschehen.


 
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