© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/00 07. Juli 2000


Der Lärm der Globalisierung
Luftverkehr: Bürgerinitiativen kämpfen gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens
Werner Olles/Claus Wolfschlag

Beim Streit um den Ausbau des Frankfurter Flughafens rumort es in den Gemeinden des Rhein-Main-Gebiets. Fluglärm, Abgase, Waldrodung und sinkende Grundstückspreise verstärken den Konflikt zwischen den Anwohnern und den Fluglobbyisten.

Als etwa Ende Mai Abgeordnete des hessischen Landtags eine Bürgerversammlung zum Thema Flughafenausbau in Neu-Isenburg besuchten, ernteten sie Pfiffe und Buh-Rufe von den 800 Zuschauern: Sie seien nicht Volksvertreter, sondern "Lobbyisten der Flughafen AG". Nach der Veranstaltung übergab Ortsbürgermeister Oliver Quilling den Abgeordneten 13.900 Unterschriften gegen den Ausbau. Auch die Einladung, die der Landtag unlängst zur Anhörung der betroffenen Kommunen verschickte, sorgte für Ärger: Fünf Minuten Redezeit wurde den 53 Teilnehmenden vor dem hohen Haus eingeräumt. Unterdessen hat sich ein Bündnis der betroffenen Gemeinden Offenbach, Neu-Isenburg, Mörfelden-Waldorf, Kelsterbach, Raunheim, Flörsheim und Rüsselsheim gegen jeden Ausbau formiert.

Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch hat mittlerweile ein "Regionales Dialogforum" initiiert. Mit dabei: Flughafen AG, Flugsicherung, Airlines, Wirtschaftsverbände, Bürgerinitiativen, Naturschutzverbände und Gemeinden. Das Forum zur Beruhigung der Bürger soll nur beraten – bekommt aber fast zwei Millionen Mark aus dem Landesetat.

Die "Freien Wähler – Bürgerbündnis für Frankfurt" sind die einzige bürgerliche Kraft in Frankfurt, die sich konsequent gegen jeden Ausbau des Flughafens ausspricht. Zur Diskussion "Flughafenausbau – Belastung oder Notwendigkeit für Frankfurt?" hatten sie am 31. Mai in die Mainmetropole eingeladen. Das Bürgerbündnis (BFF), das zu den Kommunalwahlen am 18. März 2001 kandidieren wird, lehnt den Ausbau des Flughafens – zu einem internationalen Drehkreuz mit weit über 800.000 Flugbewegungen jährlich – vor allem aus umweltpolitischen Gründen ab. Der Rhein-Main-Flughafen ist schon jetzt der siebtgrößte der Welt. Das BFF fordert statt dessen regionale Zentren für den Flugverkehr, denn 60 Prozent der Fluggäste sind nur Umsteiger. Selbst in den USA geht heute der Trend zu "Point to Point"-Flügen, also zu einer Dezentralisierung.

Die Staatsaktiengesellschaft Flughafen AG (FAG) und die Fluglinien verfolgen jedoch zuvorderst die Rationalisierung von Arbeitsabläufen und damit verbunden den Arbeitsplatzabbau und die Gewinnmaximierung. Zudem plant die FAG den Gang an die Börse. Dabei stören die berechtigten Interessen der Bewohner nur. FAG-Chef Bender möchte sich gar die dringend notwendigen Lärmschutzmaßnahmen durch Bund, Land und Gemeinden finanzieren lassen. Und die Lufthansa droht bei Ablehnung der Ausbaupläne, den Standort Frankfurt mindestens teilweise zu verlassen, und übt dadurch einen großen Druck aus. Die Ausbaubefürworter kümmert es nicht, daß die Rhein-Main-Region zu einer Fluglärm- und Dreck-Zone verkommt und mit über 100.000 Flugbewegungen jährlich zum Umsteigeplatz des globalen Massen-Jet-Sets und zum größten Frachtflughafen Europas wird.

Gegen diese erhebliche Gefahr für die Heimat, den Lebensraum und die Gesundheit Hunderttausender Menschen (und Tiere) wehren sich die Freien Wähler BFF und die Bürgerinitiativen gegen den Flughafenausbau, mit der Unterstützung der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und des Deutschen Siedlerbundes.

Der etablierten Politik wird von seiten des BFF Versagen und Lobbyismus vorgeworfen. Als der Bürgermeister des fluglärmgebeutelten Flörsheim unlängst die 110 Wiesbadener Landtagsabgeordneten einlud, sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie es sich anhört, wenn im Minutentakt in 450 Meter Höhe die Jets über die Stadt rauschen, erschienen nur zwölf "Volksvertreter". Treffend notierte die FAZ: "100 Prozent Lärm für 10 Prozent Landtagsabgeordnete". Dies zeige, so Wolfgang Hübner, der Erste Vorsitzende der Freien Wähler BFF, "die Einstellung derer, die im Auftrag und im Interesse des Volkes entscheiden sollen". Tatsächlich haben sich die Führungsetagen von CDU, FDP und SPD längst für den Ausbau entschieden, während man auf Kreisebene nach dem "St.-Florians-Prinzip" handelt: Ausbau ja, aber nicht bei uns. Wolfgang Hübner sieht darin zu Recht "eine abgekartete Strategie, die den offenbar als völlig blöde eingeschätzten Wählern auch noch als ’innerparteiliche Demokratie‘ verkauft wird", dies sei jedoch "nichts anderes als der arglistige Versuch einer Wählertäuschung". Besonders verantwortungslos sei das Verhalten der Frankfurter CDU und SPD mit ihren Spitzenpolitikern Roth und Vandreike, die vehement für den Ausbau plädieren, allerdings die Süd-Variante favorisieren. Diese schont Frankfurt am stärksten, andere Gemeinden werden dafür faktisch unbewohnbar.

Das zur Beruhigung angebotene Nachtflugverbot trifft auf Skepsis: Schließlich ist ein Nachtflugverbot kaum mit den Abflugbedingungen der unterschiedlichen Welt-Zeitzonen unter einen Hut zu bringen, zum anderen äußerte etwa Lufthansa-Vorstandschef Jürgen Weber, daß "ein totales Nachtflugverbot mit dem Wesen eines Großflughafens nicht vereinbar ist". Auch das Arbeitsplatz-Argument zieht nicht, da die Bürger durch die Zentralisierung in Zukunft eher Rationalisierungen befürchten.

Doppelzüngig verhalten sich die Grünen, die während ihrer Regierungszeit in Hessen leidenschaftlich für das "Mediationsverfahren" plädierten, das ein paar Millionen kostete, aber keine Ergebnisse brachte und kein Problem löste. In der Opposition endeckten die "Grünen" dann plötzlich den "Flughafenausbau" wieder, können sich aber nur zu dürren Worten durchringen. Viel zu sehr sind auch sie inzwischen in die opportunistische, korrupte und menschenverachtende politischen Klasse verstrickt und vermögen zudem mit dem sich organisierenden bürgerlichen Widerstand nichts anzufangen. Kanzler Schröders auf den Frankfurter Flughafen gemünzter dümmlicher Spruch im hessischen Landtagswahlkampf 1999: "Laßt Euch Eure Internationalität nicht nehmen!" wirkt bei seinen "grünen" Wasserträgern immer noch nach. So offenbarte die grüne Frankfurter Schuldezernentin Jutta Ebeling jüngst der Frankfurter Rundschau ihre Interesselosigkeit am Flughafenausbau. Auf den Einwurf ihres Interviewers, sie habe ja während des gesamten Gesprächs überhaupt nichts dazu geäußert, stotterte sie: "Ach so, da sind wir natürlich auch dagegen!"

Anders als beim Drama um die Frankfurter Startbahn West Anfang der achtziger Jahre wird der Widerstand gegen die wahnwitzigen Ausbaupläne wohl weniger auf der Straße als vor den Gerichten und an den Wahlurnen ausgetragen werden. Die Flughafengegner von heute haben kaum etwas mit denen der legendären Startbahn-West-Zeit gemein. War damals die Jugend aktiv gegen die Vernichtung der Umwelt, so sind es heute die 40- bis 60jährigen, die ihren Lebenstraum vom ruhigen Leben der grünen Vorstädte immer mehr platzen sehen, während sich ihre Kinder nur für das nächste Flug-Preisangebot für den Kurztrip nach Mallorca interessieren. Mit diesem besonnenen und gebildeten Publikum allerdings ist weder eine Massenbasis zu erreichen, noch ist subversiver Aktionismus zu erwarten. Etwas hilflos reagiert man deshalb auf die Frage nach einer geeigneten Strategie gegen die FAG. Alles läuft wohl auf fast hoffnungslosen juristischen Kleinkrieg mit der finanzstarken Flughafen AG hinaus und auf Petitionen in der Hoffnung, man könnte die geldverblendeten Herrschenden zur Einsicht aus Menschengüte bewegen.

Der Flughafenausbau wird auch nach dem Bau einer weiteren Startbahn nicht beendet sein. Lufthansa-Vorstandschef Jürgen Weber favorisierte erst kürzlich die Südbahn als Ausbauvariante, machte aber ebenso deutlich, daß dies keinesfalls das Ende der Flughafenentwicklung sein dürfe. Das wirtschaftliche Wachstum auf Kosten von Mensch und Umwelt wird also bald in die dritte Runde gehen.


 
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