© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Schröder sprengt die Union
Die Steuerreform wirft die CDU/CSU-Opposition weit zurück
Bernd-Thomas Ramb

Die Regierung hat allen Grund zum Jubel. Obwohl SPD und Grüne keinen mehrheitlichen Stimmenrückhalt im Bundesrat genießen, ist es Schröder und Eichel gelungen, den CDU-Einfluß in der Länderkammer nicht nur zu neutralisieren, sondern sogar in eine Zustimmung zur grün-sozialen Steuerreform umzuwandeln. Die Bundesländer Berlin, Brandenburg und Bremen, allesamt mit SPD-CDU-Regierungen ausgestattet, haben sich ihre Zustimmung durch teilweise massive finanzielle Zugeständnisse erkaufen lassen. Die zu kurz gekommenen CDU/CSU-Länder sind entsetzt und empört, Kanzlerkandidatenaspirant Stoiber fassungslos und die Bundesunion, genauer ihre jungen Führungskräfte Merz und Merkel am Boden zerstört. Sieg auf der ganzen Linie für Schröder und Co. über einen politischen Konkurrenten, der nun nicht nur durch das Erbe Kohls, sondern auch durch die politische Unfähigkeit der Erben gezeichnet ist. Die momentane politische Stimmungslage wird nur kurz die tatsächlichen Auswirkungen der nunmehr gesetzeswirksam abgeschlossenen Steuerreform überdecken. Dabei dürfte der Inhalt bedeutsamer sein als der Verfahrensablauf, obwohl dieser an sich schon von enormer politischer Sprengkraft ist.

Nicht ohne Grund hatte sich die Bundesunion so vehement gegen die Gesetzesvorlage der Regierung gewandt. Die Lust auf Revanche für die Blockadepolitik der SPD zu Zeiten einer CDU-geführten Bundesregierung mag eine gewisse Rolle gespielt, die allgemein als selbstverständlich angesehene, grundsätzlich oppositionelle Position zu Regierungsvorhaben eine weitere Widerstandskomponente hinzugefügt haben. An konkret inhaltlichen Einwänden aber hatte es seit Beginn der Steuerreformdiskussion nie gefehlt. Die Senkung des Spitzensteuersatzes empfand die CDU/CSU unzureichend, der Mittelstand sollte stärker entlastet und die Kapitalbesteuerung gleichmäßiger geregelt werden. Der Regierungsentwurf war der Opposition zwar in den einzelnen Punkten immer mehr entgegenkommen, ohne jedoch letztlich die zahlenmäßigen Wünsche voll zu übernehmen. Nun ist in der Endphase des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal von der Regierung – auf Druck der unionsmitregierten Länder – nachgebessert worden. Die Reizgröße Spitzensteuersatz wird auf 42 Prozent abgesenkt, womit dem Wunsch der Union nach einem Steuersatz von 40 Prozent weitgehend Rechnung getragen wird. In der Tendenz hat die Regierung damit diesen und andere von der Bundestagsopposition monierte Punkte weitgehend erfüllt. Nur erfolgte dies zum Schluß auf Betreiben der Länder und nicht, weil die Oppositionsarbeit im Bundestag so zwingend war.

Die CDU/CSU kann deshalb kaum noch inhaltlich klagen. Ihr strategischer Fehler war es von Anfang an, das Spiel der Regierung mitzuspielen, bei dem es um mehr oder weniger weite Drehungen an den Schrauben des bestehenden Steuersystems ging, anstatt den steuerpolitischen Paradigmenwechsel zu fordern. Von der Einhaltung einer stringenten ordnungspolitischen Linie kann bei der Union in der Diskussion der Steuergesetzgebung, aber auch bei anderen politischen Reformbrennpunkten sowieso kaum noch die Rede sein. Wenn es aber nicht mehr um tragende Zukunftsentwürfe geht, sondern nur noch um das Überleben der laufenden Legislaturperiode, sind die Regierungsparteien, vor allem aber die SPD, nicht nur in der besseren Position, sondern auch mittlerweile wesentlich cleverer als die Unionsparteien. Mit ihrem System der faktischen Selbstaufgabe parteipolitischer Grundsätze muß die SPD zur Zeit einfach als die bessere CDU angesehen werden. Und der Industrie und den Wirtschaftsführern, soweit sie in der Großklasse spielen, gefällt eine Regierung, die erfolgreich CDU-nahe Politik betreibt. Tatsächlich nutzt der Wirtschaft ein Ende des Hickhacks um die Steuerreform, noch dazu mit einem avisierten Entlastungsvolumen von etwa 60 Milliarden Mark vorübergehend mehr, als die ordnungspolitisch richtige Taube auf dem Dach. Langfristig, das heißt spätestens in zehn Jahren, ist eine erneute Steuerreform jedoch unumgänglich, da der jetzigen jegliche Nachhaltigkeit fehlt. Allein die dringlichsten Verbesserungen wurden notdürftig erzielt, das Risiko der – vielleicht schon mittelfristigen – Unwirksamkeit in Kauf genommen.

Die Nebenwirkung der aus Unionssicht desaströsen Steuerreformverordnung liegt in der nachhaltigen Beschädigung ihres bundespolitischen Ansehens. Es verstärkt sich bei CDU und CSU die Einschätzung, daß sich der Bundestagsfraktionsvorsitzende und die Bundesparteivorsitzende, beide sowieso mehr Ergebnis von Verlegenheitswahlen und eher als parteipolitische Leichtgewichte eingestuft, nicht nur die Finger, sondern mehr noch sich selbst verbrannt haben. Den abtrünnigen Unionsführern in den Bundesländern daraus einen Vorwurf zu machen, greift nicht. Deren Käuflichkeit entspricht einem rationalem Politikverhalten, denn es wäre unsinnig gewesen, an einem unhaltbaren Widerstand nutzlos festzuhalten, anstatt dem außerordentlichen Mittelzufluß zum Wohle des eigenen Bundeslandes zuzustimmen. Noch dazu, wo in den Augen zahlreicher CDU-Provinzfürsten die Kohl-korrumpierte Bundesunion keinen Unterstützungspfifferling wert ist. Das Abweichen der Landesparteiführer von der Bundeslinie kann daher kaum als Fehler angesehen werden. Das entscheidende Versagen der CDU erfolgte bereits vor Jahren, noch zu Zeiten der Kohl-Regentschaft.

Es war ein Jahrhundertfehler, als die CDU Mitte der neunziger Jahre den Aufbau einer zweiten bürgerlichen Partei um Manfred Brunner und seine Mitstreiter mit ebenso subtiler wie brachialer Gewalt verhinderte, nachdem sie vorher bereits die konservativen Republikaner ins politische Abseits gedrängt hatte. Das eherne Dogma der Union, es dürfe nur eine bürgerliche Partei geben, erweist sich zusehends als entscheidender Schritt in den eigenen Untergang. Entsprechende Warnungen, die es gerade aus dem Lager der unzufriedenen Bürgerlichen gegeben hatte, wurden stur ignoriert. Nun steht die CDU mit der sich ebenso stur auf Bayern beschränkenden CSU isoliert da. Auf die FDP, den SPD-Koalitionisten in Wartestellung, kann sie nun mit ihrem Verlierer-Image noch weniger hoffen. Die Wiedererlangung der Bundesregierungsgewalt verschiebt sich damit in unabsehbare Ferne, vielleicht in eine Zeit, in der die Bundesgewalt bereits von einer europäischen Gewalt abgelöst ist. Zur Schadenfreude der Linken gesellt sich jetzt die Schadenfreude der Rechten. Wenigstens damit hat die CDU ihre fanatisch verfolgte politische Mitte erreicht.


 
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