© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Schutz von Lebensgemeinschaften mit Kindern
Interview: Der Vorsitzende der Familien-Partei über das Leben mit Kindern in Deutschland und seine Forderung: Stellvertreterwahlrecht für Kinder
Jörg Fischer

In Deutschland gelten Kinder als "Armutsrisiko". Staatliche Anreize in Form von Erziehungsgeld und Kindergeld konnten daran nichts ändern – immer mehr Kinder werden Sozialhilfeempfänger, die Schere zwischen Kinderlosen und Kinderreichen klafft immer weiter auseinander. Wie kann man dies ändern?

Breyer: Erziehungs- und Kindergeld sind keine Anreize, sondern nur Augenwischerei und Almosen. Es muß die in Deutschland bestehende soziale Ungerechtigkeit beseitigt werden, die dadurch gegeben ist, daß die Kinderaufzucht weitestgehend privatisiert und der Gewinn sozialisiert ist, was eine materielle Privilegisierung der Kinderlosigkeit bewirkt. Dies kann nur dadurch geschehen, daß man die Hälfte der materiellen Kinderkosten und die Kosten der Kinderbetreuung erstattet.

Bis heute gibt es keine echte Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie. Zum einen wird die Familienarbeit nach wie vor sehr geringgeschätzt, viele Frauen suchen daher eine Verwirklichung im Berufsleben. Andererseits sind viele Mütter aufgrund ihrer finanziellen Situation zu Lasten der Kindererziehung darauf angewiesen, zum Familieneinkommen beizutragen. Gibt es einen Weg zu echter Wahlfreiheit?

Breyer: Echte Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie läßt sich nur durch die Schaffung einer Kindergeldkasse, in die alle einzahlen, herstellen. Aus dieser Kasse muß en Erziehungsgehalt, das renten- und sozialversicherungspflichtig ist, gezahlt werden, mit dem die Eltern auch Fremdbetreuung finanzieren können.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht bis heute eigentlich nur auf dem Papier, denn bezahlbare Kinderbetreuung ist Mangelware. Welche Konzepte gibt es, um eine Vereinbarkeit zu schaffen?

Breyer: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird durch die Schaffung einer Kindergeldkasse ermöglicht. Darüber hinaus sollten flexible Arbeitszeiten stärker gefördert werden. Kollektiv- und Fremdbetreuung sollten im Ermessen der Eltern liegen.

In Deutschland bleiben heute etwa 40 Prozent aller Ehen dauerhaft kinderlos. Wie ist der besondere Schutz der Ehe, die offenbar nicht mehr immer auf Reproduktion angelegt ist, noch zu rechtfertigen? Müßte an die Stelle des grundgesetzlichen Schutzes von Ehe und Familie nicht der von Familien und Alleinstehenden mit Kindern treten?

Breyer: Der besondere Schutz der Ehe allein ist nicht zu rechtfertigen. Schutzbedürftig sind nur Lebensgemeinschaften mit Kindern.

Das Ehegattensplitting war als Steuervorteil zur Familienförderung gedacht. Ist es angesichts der vielen kinderlosen Ehen und der vielen berufstätigen Mütter noch zeitgemäß? Wäre es gerechter, das Ehegattensplitting durch ein Familiensplitting, wie es beispielsweise in Frankreich gehandhabt wird, zu ersetzen?

Breyer: Das Ehegattensplitting ist nicht mehr zeitgemäß. Deshalb ist ein Familiensplitting für die Familie mit Kindern einzuführen.

Der Generationenvertrag gilt als das Fundament unseres Sozialsystems. Wie muß er angesichts der demographischen Entwicklung modifiziert werden?

Breyer: Der Generationenvertrag ist auf die Eltern-Kind-Beziehung zu beschränken, falls die oben angeführten Änderungen nicht zustande kommen.

Das Rentenrecht benachteiligt eindeutig jene Frauen, die zugunsten der Kindererziehung auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet haben. Zwar werden nun Kindererziehungszeiten angerechnet, doch summieren sich diese zu kaum mehr als einem Taschengeld. Auch im Alter wird der Kinderreichtum für diese Frauen wieder zu einer Armutsfalle. Welche Änderungen wären hier wünschenswert?

Breyer: Sozial- und rentenversicherungspflichtiges Erziehungsgehalt bis zum 18. Lebensjahr des Kindes verhindern die Altersarmut der Frauen.

Bei der Diskussion um die Reform des Rentenrechtes geht es darum, die Renten auch in Zukunft – wenn auch auf einem erheblich niedrigeren Niveau – zu sichern und eine private Vorsorge einzuführen. Sollte hier ein Kinderfaktor Eingang finden? Sollten Erziehende hier entlastet werden?

Breyer: Die Familienkasse sichert im Rentenrecht die Gerechtigkeit für Eltern und Nichteltern. Dadurch erübrigt sich ein "Kinderfaktor".

Das Kindergeld ist zu Beginn des Jahres 2000 auf 270 DM erhöht worden, gleichzeitig gibt es erstmals für alle Familien einen Erziehungsfreibetrag in Höhe von 3.000 Mark. Beide Änderungen gehen auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 1998 zurück, das u.a. entschied, daß auch Kindern ein Existenzminimum zugestanden werden müsse. Wie erklärt es sich, daß keine andere staatliche Institution vorher auf die Idee kam, daß auch Kindern ein Existenzminimum zugestanden werden müßte?

Breyer: Die Frage ist sachlich falsch. Das Existenzminimum gibt es seit dem 1. Januar 1996, den Erziehungsfreibetrag seit 1. Januar 2000. Beide Beträge sind in der Regel bereits mit dem Kindergeld abgegolten. Genau gesagt: vor 1996 gab es auch für Erwachsene keine Freistellung des Existenzminimums. Der Grund dafür, daß niemand auf die Idee kam, den Kindern ein Existenzminimum zuzugestehen, liegt darin, daß Kinder keine Wählerstimme haben und dadurch politisch nicht vertreten werden können. Daher fordert die Familien-Partei Deutschlands (siehe Parteiprogramm) die Einführung eines indirekten Wahlrechts für Kinder, das heißt eines Stellvertreterwahlrechts, ausgeübt durch die Eltern.

Noch vor der parlamentarischen Sommerpause wird der Gesetzentwurf zu eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft im Bundestag beraten werden. Wenn der Gesetzentwurf der Regierung Bundestag und Bundesrat passieren sollte, wäre damit ein quasi-eheliches Institut geschaffen. Würde damit der Schutz von Ehe und Familie als einer auf Fortpflanzung gerichteter Institution in Frage gestellt?

Breyer: Nein, staatliche Förderung gebührt nur den Kindern.

In Frankreich und den Niederlanden können sich auch nichtverheiratete heterosexuelle Paare standesamtlich registrieren lassen. Wird eine solche Lösung auch in Deutschland angedacht? Was kann vor diesem Hintergrund der Schutz von Ehe und Familie noch bedeuten?

Breyer: Der in Artikel 6 des Grundgesetzes angelegte Unterschied von Ehe und Familie ist bereits heute weitgehend nicht mehr vorhanden.

Der stellvertretende CSU-Vorsitzende Ingo Friedrich vertrat die Ansicht, gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften dürfe nicht dieselbe rechtliche Stellung eingeräumt werden wie der Ehe zwischen Heterosexuellen. Angesichts der dramatisch sinkenden Geburtenrate in Deutschland müßten Ehe und Familie und damit der Wille zum Kind deutlich gestärkt werden. Zu Recht?

Breyer:Die Ehe hat Anspruch auf staatlichen Schutz und Unterstützung, wenn sie zur "Kind-Familie" wird.

In der DDR gab es, aber auch in Österreich – hier etwa der Kinderscheck der FPÖ – gibt es spezielle finanzielle Anreize zur Familienförderung. In Sachsen etwa soll hingegen aus Haushaltsgründen das Landeserziehungsgeld auf ein halbes Jahr reduziert werden. Sollten Kinder und Familien nicht Vorrang haben vor anderen Ausgaben wie Diäten, Beamtenpensionen u.ä.?

Breyer:Nur Kinder sichern den Fortbestand der Diäten und der Beamtenpensionen. Daher Vorfahrt für die Förderung von Kindern.

 

Dr. Franz-Josef Breyer, Kinderarzt, ist Vorsitzender der "Familien-Partei Deutschlands"


 
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