© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Vom Literaturstreit zur Schlammschlacht
Die Auseinandersetzung zwischen Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler nimmt seltsame Formen an
Richard Stoltz

Marcel Reich-Ranicki ist dafür bekannt, daß er kein Blatt vor den Mund nimmt. Mit vernichtender Schärfe oder enthusiastischem Wohlwollen hat er jungen Autoren den Weg geebnet oder ihnen Knüppel zwischen die Beine geworfen. Doch was am 30. Juni im "Literarischen Quartett" vor sich ging, hatte nur noch am Rande etwas mit dem schöngeistigen Diskurs über Literatur zu tun.

Zur Debatte stand Haruki Murakamis Roman "Gefährliche Geliebte", der für die Quartett-Kombattantin Sigrid Löffler "bestenfalls literarisches Fastfood" darstellt. Daraufhin polterte der Literaturpapst los: "Frau Löffler, jedes hocherotische Buch wird von Ihnen abgelehnt." Der Unfehlbare unterstellte seiner Kollegin, sie könne "Liebe im Roman" nicht ertragen. Mit pochender Halsschlagader und nur mühsam beherrscht keilte Frau Löffler zurück: "Verstehen Sie mich richtig, ich will überhaupt keinen Einspruch gegen das erheben, woran Sie sich ergötzen. Aber das ist wahrscheinlich eine Altersfrage."

Zwei Wochen später ging dieser seltsame Streit in die nächste Runde – ausgerechnet in der nicht unbedingt als Forum hoher Literatur ausgewiesenen Bunten. In der Münchner Illustrierten war zwischen dem Prügelknaben Ernst-August und Popstar Liam Gallagher noch eine Seite frei für ein Interview mit Marcel Reich-Ranicki, in dem er sich ereiferte: "Die Zusammenarbeit mit Frau Löffler ist eine Qual." Deswegen wolle er das "Quartett" auch gar nicht mehr so lange machen.

Drei Tage nach dem Erscheinen der Bunten erklärte der Großkritiker dann gegenüber den bisher ebenfalls nicht als Literaturzeitschrift hervorgetretenen Lübecker Nachrichten, er wolle nie wieder etwas mit dem Blatt zu tun haben, und warf der Bunten eine "haarsträubende Entstellung" des Gespräches vor.

Wahrheit oder Dichtung? Ist die Schlammschlacht vielleicht am Ende nur eine geschickte Inszenierung, um die bescheidene Zuschauerquote in die Höhe zu treiben? Diesmal ist es der Literaturpapst selbst, der uns von offenen Fragen betroffen vor dem Vorhang stehenläßt.


 
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