© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Städtische Nomadenlandschaften
Richard W. Eichler: Baukultur gegen Formzerstörung
Claus M. Wolfschlag

Die moderne Architektur und ihre Monstrositäten sind ein in der Bundesrepublik trotz Wolf Jobst Siedlers Philippika ("Die gemordete Stadt") vernachlässigter Bereich konservativer Kulturkritik. Wenige Studien aus diesem Spektrum setzten sich bisher skeptisch mit der Baukunst der Gegenwart auseinander. Das sah in der Weimarer Republik noch ganz anders aus.

Der verdiente Kunstkritiker Richard W. Eichler hat sich nun dieses Themas in seinem neuesten Buch ausführlich angenommen. Nicht ohne Grund, denn schließlich – so Eichler – ist von allen Künsten die Architektur diejenige, die jedem Bürger Tag für Tag auf Schritt und Tritt begegnet, ohne daß er ihr entgehen könnte. Sie überdauert die Generationen, prägt die Landschaft und das Verhältnis der Menschen zu dieser. Sie belästigt in ihren Irrungen und erhebt in ihren Meisterwerken das menschliche Verhalten: "Das Entlanglaufen an nichtssagenden Fassaden kann zur Qual werden. Ein in der Ferne auftauchender schöner Bau wird uns anziehen."

Eichler spart nicht mit Kritik an der Baupolitik der BRD. Zerklüftete, ausufernde Stadtlandschaften, von Großmärkten durchsetzte Vororte und monotone Wohnsiedlungen bestimmen die Gegenwart. Man zehrt nur noch von den Künsten vergangener Jahrhunderte in herausgeputzten Altstädten, während ansonsten eine weitreichende Entfremdung von Kultur und Natur zugunsten rein ökonomischer Mechanismen um sich greift. Die "Globalisierung der Probleme und Unarten" durch das marktwirtschaftliche System habe zum weltweiten Anwachsen der "häßlichen Riesenflachbuden auf der grünen Wiese" geführt. Originalitätssucht statt solide Weiterentwicklung der Tradition treibe die jungen Architekten an. Kurzlebige Moden, wie beispielsweise der "Dekonstruktivismus", führten zu immer wahnwitzigeren Ergebnissen, unter denen der Normalbürger zu leiden habe.

Eine Ursache für die Misere erkennt Eichler im Konflikt zwischen dem Schönheitssinn aristokratischer Herrschaft und einem tendenziell mangelnden Bewußtsein für (Bau-)Hierarchien in demokratischen Gesellschaften. Als Kontrapunkt zur futuristisch-gläsernen Nomadenarchitektur solle wieder auf landschaftsbezogenes Bauen geachtet werden. Eichler setzt sich also für ein Bauen aus den regionalen Traditionen und im Einklang mit der Natur ein. Erkennbare Funktionen und Bauhierarchien sollten sich an den Gebäuden der Dörfer und Städte widerspiegeln.

Eichlers Buch ist als erster Ansatz zur Entwicklung der Thematik zu werten. Dabei sollen Schwächen nicht übersehen werden. Wie ein monumentaler Essay angelegt, präsentiert sich das Werk recht unstrukturiert und systematisch ungegliedert. Nur selten erwähnt Eichler konkrete Maßnahmen, die zu ergreifen wären, zum Beispiel die Verlegung innerstädtischer Gleisanlagen unter die Erde zur "Neulandgewinnung" oder die Rekultivierung ehemaliger Truppenübungsplätze. Statt dessen schweift er hin- und her, von der Romanik zur Gotik, von Atlantis bis zur ausgiebig erörterten Baukunst der NS-Zeit, aber auch zu politischen Fragen, wie dem Euro oder globalen Konzernkonzentrationen. Dennoch, trotz aller konzeptionellen Schwächen, ist Eichlers Buch kurzweilig zu lesen und als ein aus dem Geist konservativer Kulturkritik formuliertes, gut begründetes Plädoyer für eine neue Baukultur zu verstehen.

 

Richard W. Eichler: Baukultur gegen Formzerstörung. Für eine menschenfreundliche Architektur, Grabert Verlag, Tübingen 1999, 432 Seiten, Abb., 49,80 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen