© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
Das verschluderte Vermächtnis
Dieter Stein

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat an läßlich der Gedenkveranstaltung zum 20. Juli 1944 im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin eine ärgerliche, eine empörende Rede gehalten. Thierses Rede signalisiert schlaglichtartig, in welchem erbarmungswürdigen Zustand die geistige Verfassung der Deutschland tragenden politischen Klasse ist. Kleinkarierter kann man sich kaum seiner großartigsten Traditionen erinnern, als es hier geschah.

20. Juli 1944. Schicksaltag der Deutschen. Es ist der Kulminationspunkt der größten Verschwörung, die es im Dritten Reich gegen Hitler gegeben hat. "Der enge Kreis derjenigen, die in die Planung des Staatsstreiches eingeweiht waren, die die Termine und Methoden kannten, umfaßte etwa 160 Personen. Davon waren die Hälfte Offiziere der Wehrmacht. Keine Armee der Welt hat so etwas vorzuweisen. Drei Generalfeldmarschälle, drei Generalobersten, 13 Generäle und 21 hohe Generalstabsoffiziere mußten im Konflikt zwischen Treue und Verantwortung ihr Leben lassen." (Wolfgang Venohr, Patrioten gegen Hitler - Der Weg zum 20. Juli 1944)

Wolfgang Thierse hat vom 20. Juli 1944 nichts begriffen. Der Kopf des Widerstandes, Claus Graf Schenk von Stauffenberg sei in Westdeutschland "ausdrücklich und ausschließlich zu(m) Repräsentanten des anderen, besseren Deutschland" erklärt worden, meint Thierse. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundeswehr hat sich bis in die achtziger Jahre äußerst schwer mit dem Andenken an die Offiziere um Stauffenberg getan, seit 1968 gerieten die zumeist adligen Widerstandskämpfer als angebliche "Antidemokraten" ins Visier einer linksliberalen Historikerklasse. Bis heute ist die Erinnerung an diese Männer, die handelten, "um Deutschland vor einem namenlosen Elend zu bewahren" (Fritz-Dietlof von der Schulenburg vor dem Volksgerichtshof), beschämend schwach.

"Nur der 20. Juli" werde gewürdigt, mutmaßt Thierse. Der "alltägliche Widerstand" verschwimme. Und schlägt einen skandalösen Bogen zu Problemen mit politischem Extremismus heute. "Noch gefährlicher als die rechtsextremistischen Gewalttäter sind allerdings jene rechtspopulistischen Rattenfänger", weiß Thierse.

"Was uns heute und morgen untrennbar mit dem 20. Juli verbindet: die radikale Ablehnung von Totalitarismus und Unrecht." Sagt Thierse. Daß die Männer des 20. Juli 1944 in erster Linie Patrioten waren, verschweigt er. Das nationale Motiv des 20. Juli 1944 bleibt unerwähnt. Stauffenberg starb aber nicht mit dem Ruf "Lang lebe die Zivilgesellschaft" auf den Lippen, sondern er rief "Es lebe Deutschland!". Am 21. Mai 1944 hatte Stauffenberg postuliert: "Es geht um Deutschland. Und um sonst nichts."

Der 20. Juli 1944 ist aber ein Fanal des deutschen Patriotismus. Thierse degradiert dieses Fanal zu einem läppischen Allerweltssymbol für Zivilcourage. Statt von "Anfängen wehren" und "Auftreten gegen" sollte die Botschaft des 20. Juli 1944 lauten: Für die deutsche Einheit, für das Fortbestehen der deutschen Nation im Zeichen der Herrschaft des Rechts.


 
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