© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
Krankheit als Therapie
Ein teures Beschäftigungsprogramm für arbeitslose EU-Politiker
Carl Gustaf Ströhm

Mit parteiübergreifender Ehrer bietung sind die drei "Weisen" nicht von der österreichischen wie der Weltöffentlichkeit begrüßt und akzeptiert worden - jene ungleichen "Heiligen", welche die österreichische Innenpolitik und das "Wesen" der FPÖ erforschen sollen.

Nur vereinzelte Stimmen warnten davor, daß es sich hier um einen rechtlich wie politisch bedenklichen, ja sogar ungeheuerlichen Präzedenzfall handelte. Wenn es schon in höchstem Maße fragwürdig (und rechtlich nicht gedeckt) ist, daß 14 EU-Mitglieder einseitig das 15. Mitglied unter Kuratel stellen, so könnte man natürlich auch einen Schritt weitergehen und sagen: die Bestellung dreier Persönlichkeiten (warum nicht fünf oder fünfzehn?), die über die Demokratie in Österreich und über den Charakter einer Regierungspartei befinden sollen, ist gleichfalls eine Ungeheuerlichkeit, selbst wenn man unterstellt (was der Verfasser dieser Zeilen zu tun geneigt ist), daß es sich um untadelige, um Objektivität bemühte, dazu noch intelligente und erfahrene Leute handelt.

Aber selbst die größte Erfahrung berechtigt keinen Menschen dazu, "unfehlbare" Urteile über Dritte zu fällen: seien es nun einzelne Personen oder ganze Länder. Es muß einmal "hinterfragt" werden: Was verstehen ein spanischer Ex-EU-Kommissar, ein finnischer Ex-Präsident (der innenpolitisch Schiffbruch erlitten hat) und ein deutscher Institutsdirektor von Österreich?

Keiner von ihnen hat je längere Zeit in Österreich zugebracht. Der deutsche Professor kann wenigstens anführen, daß er und seine Gesprächspartner (oder Beurteilungsobjekte) die deutsche Muttersprache gemeinsam haben. Aber gerade diese Sprachgleichheit hat bei den Deutschen oft zu verhängnisvollen Fehleinschätzungen der "österreichischen Brüder" geführt, die im ersten Weltkrieg herablassend als "Kamerad Schnürschuh" tituliert wurden (weil sie zur Uniform statt preußischer Knobelbecher geschnürte Stiefel trugen).

Vermeintliche Nähe kann sich also in große Ferne verwandeln. Zum andern muß die Frage erlaubt sein, wie sich die "Weisen" in kurzer Zeit ein "Bild" von Österreich machen wollen, das sich grundlegend von den Wahrnehmungen eines Touristen unterscheidet? Wie wollen sie das Gewicht dessen beurteilen, was ihnen mal von der einen, mal von der anderen Seite gesagt (oder eingeflüstert) wird? Sollten sie wie seinerzeit Harun al-Raschid unerkannt mit U-Bahn und Straßenbahn durch Wien fahren, werden sie feststellen, daß etwa Kritik und Ablehnung der "Ausländer" in den "roten" Wiener Arbeiterbezirken von Ottakring bis Favoriten viel ausgeprägter ist, als in den Villenvororten. Nicht etwa, weil Wiener Nobelbürger bessere Menschen sind als Wiener Arbeiter, sondern weil man in den Villenvororten einem "anderen" Typ Ausländer begegnet: eleganten und wohlriechenden japanischen oder afrikanischen Diplomatenfrauen im Nerz, mit herzigen kleinen Kindern neben dem Einkaufswagen - während sich anderswo, in den Arbeitervierteln, das bäuerliche Anatolien und die Armut Schwarzafrikas offenbaren - was zu Unmuts- und manchmal Angstreaktionen der "Einheimischen" führt.

Was soll etwa bei einem Besuch in der "Höhle des Löwen" herauskommen, wenn die "Weisen" die komplizierte Geschichte Kärntens nicht kennen, dessen Landeshymne (aus den zwanziger Jahren) davon kündet, daß man hier vor achtzig Jahren "mit Blut die Grenze schrieb"? Wenn selbst viele Wiener Politiker - also Österreicher - sich in Kärnten schwer zurechfinden, wie sollen das drei Ausländer schaffen?

Man könnte sich ferner fragen, ob es nicht eine viel einfachere Wahl gegeben hätte, zwei abgewählte Politiker und ein um sein akademisches "rating" besorgt sein könnender Professor. Unter ehemaligen Botschaftern, die ihre Länder in Wien vertreten haben, gibt es einige, die das Land recht genau studiert haben. Sie hätten, wenn es denn sein muß, viele jener Auskünfte aus dem Ärmel ihrer Erfahrungen schütteln können, um die sich die jetzigen "Weisen" unter beträchtlichem Spesenaufwand erst bemühen müssen.

Leider hat sich eine fragwürdige Praxis in der europäischen Politik eingebürgert: Ex-Politiker, die bei Wahlen unterlegen oder innerparteilichen Intrigen zum Opfer fielen, werden plötzlich zu "Experten" ernannt für Themen und Gebiete, von denen sie bisher keine Ahnung hatten. Der Balkan ist zur Zeit ein Tummelplatz für diese Spezies: angefangen vom (politisch gescheiterten) österreichischen Ex-Vizekanzler und ÖVP-Chef Erhard Busek als Chef der SECI (Südost-Initiative) über den von weit links kommenden Franzosen Bernard Kouchner, der sich als "Erziehungsdiktator" im Kosovo versucht, bis hin zum Deutschen Bodo Hombach, der aus Schröders Kanzleramt plötzlich in die Schluchten des Balkans katapultiert wurde und dort den "Stabilitätspakt" überwacht. Böse Zungen sprechen bereits von einem "Beschäftigungsprogramm für arbeitslose EU-Politiker mit nicht geringen Kosten". Allein was da auf europäischen Strecken an Geld verflogen oder in Nobelhotels verwohnt wird, ist beträchtlich. Am Ende bleibt die Frage: Ginge es ohne diese Weisen und ohne die vielen (Pseudo-)Experten nicht vielleicht gar besser als mit ihnen? Vielleicht trifft auf sie alle das bonmot zu, das einst der Schriftsteller Egon Friedell (übrigens auch Österreicher und Opfer Hitlers) über die Psychoanalyse prägte: Sie sei, so sagte er, jene Krankheit, welche sich für ihre eigene Therapie halte.


 
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