© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
Kolumne
Ursachen
von Klaus Motschmann

Seit der Wende im Jahre 1989 zeigen sich maßgebende Repräsentanten des gesellschaftlichen und politischen Lebens beunruhigt über die Zunahme des Rechtsradikalismus im vereinten Deutschland, vor allem unter den Jugendlichen in den neuen Ländern. Dem soll auch nicht widersprochen werden, sofern man nur bedenkt, was inzwischen alles als Beweis oder Indiz für diese Feststellung herhalten muß. Doch wie dem auch sei: die These vom zunehmenden Rechtsradikalismus sollte Anlaß zu intensivem Nachdenken über die Ursachen dieser Entwicklung sein.

Dabei wird man auf die Dauer nicht um die Feststellung herumkommen, daß eine der wesentlichen Ursachen sowohl im Bildungssystem der früheren DDR als auch dem der alten Bundesrepublik liegt. Beide Bildungssysteme wurden - in der DDR ausschließlich, in der alten Bundesrepublik vornehmlich - von der intellektuellen und politischen Linken geprägt. Bei allen, teilweise gravierenden Unterschieden in den Auffassungen stimmten sie in ihrer antifaschistischen Grundeinstellung überein. Was immer auch am DDR-Sozialismus vor und nach 1989 scharf kritisiert und verurteilt wurde: anerkannt wurde die konsequente Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus samt allen Wurzeln und Ablegern. Die Jugend in der DDR konnte deshalb seit 1949 in einer "dem Frieden und dem Sozialismus, dem Humanismus und der Völkerfreundschaft verpflichteten Staats- und Gesellschaftsordnung" aufwachsen, also auch schon die Eltern und teilweise Großeltern der heutigen Jugendlichen. Das beliebte Argument mit dem "Einfluß der Elternhäuser" zur Erklärung des zunehmenden Rechtsradikalismus in den neuen Ländern überzeugt deshalb nicht.

Das marxistisch-antifaschistisch geprägte Bildungssystem der Kulturrevolution von 1968ff. entwickelte zwar deutlich andere Grundsätze progressiv-emanzipatorischer Erziehung, die in der antifaschistischen Grundtendenz denen der DDR jedoch in keiner Weise nachstanden. Sie prägten die Jugendlichen vom antiautoritären Kinderladen über die allgemeinbildenden Schulen bis hin zur Berufsausbildung bzw. dem weithin selbstbestimmten Universitätsstudium.

Weder die eine noch die andere Variante linker "Bildungspolitik" hat die Jugendlichen hinreichend gegen die "braunen Rattenfänger" immunisiert. Läßt sich das Scheitern eines jahrzehntelangen Experiments an und mit unserem Jugendlichen noch überzeugender belegen? Wer über die Zunahme des Rechtsradikalismus beunruhigt ist, sollte dazu nicht schweigen - oder aber ein für allemal.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin


 
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