© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
Mit der Punkt-Truppe ins 21. Jahrhundert
G7/8-Gipfel auf Okinawa: Weiterer Schuldenerlaß für Rußland / "Digitale Kluft" zwischen Nord und Süd soll beseitigt werden
Ronald Gläser

Zehn Hotels und 4.000 Zimmer wa ren belegt - meist von Journalisten. 20.000 Polizisten sicherten das Gelände. Acht Kriegsschiffe patrouillierten in der speziellen Ein-Meilen-Zone rund um Okinawa. Angeblich kostete der G7 (oder G8, je nach Sichtweise)-Gipfel am vergangenen Wochenende anderthalb Milliarden Mark. Trotzdem wird der jüngste Gipfel kaum in die Geschichte eingehen - es gab keine spektakulären Beschlüsse, keine herausragenden Vorgaben, keine nennenswerten Abschlußerklärungen.

Die Staats- oder Regierungschefs von Japan, Deutschland, den USA, Kanada, Italien, Großbritannien und Frankreich sprachen über den Friedensprozeß im Nahen Osten, über Korea, über die Schulden der Dritten Welt und die Rolle des Internets.

Die Ankündigung von US-Präsident Clinton, seinen Aufenthalt wegen der Nah-Ost-Verhandlungen vorzeitig zu beenden, trug auch nicht zur zeremoniellen Würde bei. Trotzdem fand der bald aus dem Amt scheidende Clinton Zeit zum Truppenbesuch auf dem größten US-Luftwaffenstützpunkt außerhalb der USA. Die Bilder wütend protestierender Japaner vor der Militärbasis gingen um die Welt. Andere Demonstranten brachten ihre Verärgerung über die "Ausbeutung der Dritten Welt" zum Ausdruck.

Der achte Gipfelteilnehmer war der wie üblich später anreisende russische Präsident, durch den die Runde zum G8-Gipfel mutierte. Putins Schachzug: Seine Reiseroute führte ihn zunächst nach Peking und Pjöngjang, um sich anschließend kooperativ zu zeigen: Er ließ sich gegen Serbien in Stellung bringen. Die anderen Sieben erklärten, sie wollten die anstehende Wiederwahl des mißliebigen Slobodan Milosevic in Serbien nicht anerkennen, ohne daß Putin dagegen protestiert hätte.

Diese Zurückhaltung des Russen kostet alleine Deutschland acht Milliarden Mark, da die Rückzahlungsfrist für Kredite ins Jahr 2016 verlängert wurde. Diese Kredite waren in diesem und im vergangenen Jahr fällig! Offenbar glaubt ohnehin niemand, daß diese Schulden jemals beglichen werden. Bundeskanzler Schröder hatte allerdings vor seiner Abreise nach Okinawa zugesichert, daß es keinen Schuldenerlaß für den maroden russischen Staat geben werde: "Rußland ist eine Weltmacht und kein Land der Dritten Welt." Obendrein scheint Putin im Austausch für sein Entgegenkommen in der Serbienfrage die baldige Anerkennung Nordkoreas in Aussicht gestellt worden zu sein. Der Ukraine sicherten die G7 Finanzhilfen von anderthalb Milliarden Mark zu, um den letzten Reaktor in Tschernobyl endlich außer Betrieb nehmen zu können. Auch die Schulden anderer Länder standen auf der Tagesordnung. Einmal mehr wurde die Entschuldung der "Ärmsten dieser Welt" gefordert, was in der Regel bedeutet, daß diese Staaten ihre Schulden erlassen bekommen, um sogleich neue Schulden bei den Industrienationen machen zu können. Allerdings mauert hier insbesondere der US-Kongreß, und ein Einlenken der Volksvertreter ist vor den nächsten Wahlen im November wohl nicht zu erwarten.

Die "digitale Kluft" zwischen Nord und Süd soll beseitigt werden: 90 Prozent aller Internetzugänge befinden sich in den reichen Industrienationen. Eine "Punkt-Truppe" (dot-force) soll die entsprechenden Aktivitäten koordinieren. Allein Japan kündigte die Bereitstellung von 31 Milliarden Mark zur Unterstützung der "digitalen Infrastruktur" in den Entwicklungsländern an. Dabei leidet Japan selbst seit Jahren am Niedergang der eigenen Wirtschaftskraft. Die Wirtschaft keines anderen G7-Landes wächst so langsam, wenn sie es überhaupt tut. Auch der politische Einfluß Nippons in Asien geht angesichts des Aufstieg Chinas zurück. Die zehnjährige Baisse am japanischen Aktienmarkt spricht für sich.

Das Abschlußdokument ist voller Sprechblasen. Vor dem Hintergrund der "Greencard" sollen in den Volkswirtschaften verstärkt Arbeitskräfte für den IT-Markt ausgebildet werden. Die IT wird als wichtiges "Instrument zur Gestaltung des 21. Jahrhunderts" bezeichnet, das die "Wohlfahrt aller fördern" und die "Demokratie stärken" soll. Gleichzeitig fordern die G8, daß jeder überall Zugang zu den neuen Kommunikationsmöglichkeiten haben solle. Dabei hat der französische Staat unlängst genau gegenteilig gehandelt. Ein Gerichtsurteil fordert die Internetfirma Yahoo dazu auf, ihre Auktionsseiten für Franzosen unzugänglich zu machen.

Der Grund: Auf den Seiten der US-Firma werden Ku-Kux-Klan-Kutten und NS-Devotionalien zum Verkauf angeboten. Das verstößt gegen Anti-Rassismus-Gesetze der Franzosen. Geklagt hatte eine jüdische Organisation. Yahoo sieht sich jetzt einer Klagewelle aus allen Ländern dieser Welt gegenüber, will die Auflagen des Urteils aber trotzdem umsetzen. Eine Softwarefirma namens Edelweb wurde unlängst beauftragt eine Art Filter für französische Internetnutzer zu programmieren. Über solcherlei grenzüberschreitende Probleme verloren die Staatsoberhäupter in ihrer von Phrasen geprägten Erklärung kein Wort.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen