© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
Pankraz,
Kaiser Franz Joseph und das gute Regieren

An der Hamburger Uni wurde kürzlich zu Eh ren eines journalistischen Alt-Kämpen, der sich in seinen politischen Prognosen immer geirrt hat und darüber zu Ruhm kam, ein Symposion über "Good Governance", wie es neudeutsch hieß, abgehalten. Es gab eine Menge feierlicher Phrasen, doch der Kernsatz guten Regierens fiel keinem der Teilnehmer ein. Dieser Satz stammt bekanntlich vom österreichischen Kaiser Franz Joseph und lautet: "Gutes Regieren zeigt sich darin, daß alle Völker und Schichten gleichmäßig unzufrieden sind".

Pankraz hat den Satz stets als einen der genialsten überhaupt bewundert. Er zeugt von tiefer Menschenkenntnis, aber auch von genauer Einsicht in die Mechanismen politischen Handelns, er ist völlig frei von Illusionen und trotzdem nicht zynisch, er paßt auf alle nur denkbaren politischen Lagen, in alle Zeiten, in alle Weltgegenden. Und ihm eignet noch der spezifische Charme, daß er nicht zur politischen Kurrentmünze absinken kann, daß er immer elitär bleibt, weil man ihn ungern ausspricht, weil sich mit ihm weder in Kabinettsrunden noch bei Volksreden offen operieren läßt.

Der Kaiser des habsburgischen Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn wußte nur allzu gut, daß man es nie allen recht machen kann. Noch besser wußte er allerdings, daß man es im Grunde auch einem einzelnen nie recht machen kann, sei dieser einzelne nun eine Person, ein Berufsstand, eine Klasse, ein Volk oder eine internationale Institution.

Unzufriedenheit bleibt immer, zumal in der Politik, die ihre Entscheidungen ja stets aus der konkreten Situation heraus fällen muß. Was zum Zeitpunkt der Entscheidung im rosigsten Licht liegen mag, sieht am nächsten Morgen schon wieder ganz anders aus. "Wer letzten Endes Recht behält", sagt der Philosoph Jean-Paul Sartre, "wird übernächsten Endes mit Sicherheit Unrecht behalten". Dasselbe gilt für das Rechtbe-
kommen.

Hinzu kommt, daß der Mensch, ob einzelner, ob Kollektiv, mit wirklicher Zufriedenheit gar nichts anfangen kann. Seine Natur ist zum Mäkeln geneigt, zum Herummosern, wie es in Berlin heißt, zum Granteln, wie es die Wiener ausdrücken. Er hält es nicht bei sich aus, er schaut über den Gartenzaun zum Nachbarn hinüber, und seine Laune verbessert sich umgehend, wenn es dem schlechter geht als ihm selbst. Daß Maß des Aushaltbaren, des Ertragbaren bestimmt sich erst im Vergleich mit der Lage des Nachbarn.

Politiker sind gut beraten, wenn sie die eine Klientel vorsichtig gegen die andere ausspielen; das gilt sogar für ausgesprochene Lobbyisten, erklärte Interessenvertreter, denen eigentlich niemand zürnen sollte, wenn sie sich energisch für ihre spezielle Klientel einsetzen. Führende Staatsmänner nun gar, Kaiser, Präsidenten, Kanzler, die ausdrücklich für das Ganze stehen, leben geradezu davon, daß sie mal den einen, mal den anderen nach dem Mund reden und trotzdem keinen jemals voll auf seine Kosten kommen lassen. Hier setzt Kaiser Franz Josephs Kalkül mit der "gleichmäßigen" Unzufriedenheit an. Nicht die Zufriedenheit, sondern die Unzufriedenheit gilt es im Gleichmaß zu halten. Das ist das Gegenteil der berüchtigten Gleichmacherei, und es ist der Ausweis wirklicher Staatskunst.

Zufriedenheit (so sie denn einmal als momentane Illusion sich einstellt) führt ins Stockige, mäßige Unzufriedenheit setzt Energien frei, befeuert den Geist. Wem es gelingt, die von ihm Regierten in einem gleichmäßigen Zustand mäßiger Unzufriedenheit zu halten, der wird ein geschäftig und produktiv vor sich hinbrodelndes Staatswesen schaffen, eine "Zivilgesellschaft", die ihren Namen verdient.

Natürlich setzt das Rezept halbwegs zivile, halbwegs friedliche und gedeihliche Gesamtzustände voraus, wie sie zur Zeit Kaiser Franz Josephs ja auch herrschten, bis dann der Erste Weltkrieg, Mutter allen Unheils im zwanzigsten Jahrhundert, die Szene jäh beendete. Noch heute kann man darüber trauern, daß es Wien damals nicht gelang, die Serben Bosnien-Herzegowinas, bzw. die jenseits der Grenze operierenden Sezessionskräfte, in die gleichmäßige politische Unzufriedenheit einzubinden.

Oder gehört vielleicht zu "Good Governance", daß die Gleichmäßigkeit, selbst die Gleichmäßigkeit in der Unzufriedenheit, manchmal ausdrücklich außer Kraft gesetzt werden muß, um das Schlimmste zu verhüten? Der Gedanke ist ungemütlich, liegt aber im Hinblick auf die Abgründigkeit der Menschenatur nicht völlig außer Reichweite. Es gibt offenbar (massen-)psychologische Konstellationen, wo das "zoon politikon" regelrecht außer Rand und Band gerät, wo es, etwa im Namen von Ideologien oder aus purer Langeweile, jedes Maß verliert und über die Stränge schlagen will, auch wenn es sich dabei selber am meisten schadet.

Dann bringt auch der Satz des Kaisers Franz Joseph nichts mehr. Wahrscheinlich wäre dieser Satz zu ergänzen um die Einsicht, daß in bestimmten Krisensituationen alle Merksätze und Politologien außer Kurs geraten, wenn nämlich gegen einen monströs groben Klotz nur noch ein entsprechend grober Keil hilft. Über den Grad der Grobheit entscheidet dann allein die Intuition, das spontane Gespür für das Notwendigste und Machbare, über das jeder wirklich gute Politiker verfügen können muß.

In der erwähnten Hamburger Runde umriß der gefeierte Großirrtümler am Ende seinen eigenen Begriff von politischer Führung, indem er einen Ausspruch des früheren US-Präsidenten Truman paraphrasierte: "Man muß die Leute dazu bringen, das zu tun, was ihnen zutiefst gegen den Strich geht - und man muß es so anstellen, daß sie hinterher glauben, sie hätten nie etwas anderes gewollt." Das war also ein ziemlich grober Keil. Aber es war nicht "Good Governance". Kaiser Franz Joseph hätte hinzutreten müssen.


 
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