© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Iris Radisch
Streitbare Ästhetin
von Silke Lührmann

Gerade schien es, als habe sich das "Literarische Quartett" den Zeitgeist zu Herzen genommen und zu einem zuschauerfreundlichen und daher wettbewerbsfähigen Format gefunden – "Big Brother" für Anspruchsvolle –, da wählt Sigrid Löffler sich nach über 600 Wochen selbst aus dem ZDF-Container, just als es zwischen ihr und Marcel (80, Literaturpapst) zu prickeln begann. Dem von den mittlerweile obligaten verbalen Tiefschlägen der vor- wie nachmittäglichen Talkshows voyeuristsich verwöhnten Normalverbraucher stellt sich jetzt erst recht die Frage, wieso er seine Freitag-abende dafür hergeben soll, den rückläufigen Einschaltquoten abzuhelfen.

Iris Radisch, designierte Nachfolgerin der "beleidigten Leberwurscht mit Föhnfrisur", weiß darauf nur eine dürftige Antwort: Sie möchte "zur Literatur zurückkehren", die ihr eine "Herzensangelegenheit" ist. Wer ob soviel schöngeistiger Beflissenheit den Kopf schüttelt, muß dennoch konzedieren, daß dieselbe intellektuelle Verblendung dem Zeit-Feuilleton seit Jahren zum Erfolg gereicht. Ihre dortige Tätigkeit als Literaturkritikerin verwirklicht einen Traum, den die 41jährige schon als Studentin der Germanistik und Romanistik in Tübingen und Frankfurt/Main hegte.

Nun ist Reich-Ranicki, der Löffler "Inhaltismus" vorwarf, ebenfalls nicht für seine Zurückhaltung bekannt, was politisch geleitete Vor- und Unlieben anbetrifft. Von Radisch wäre das eher zu erwarten. Die Jurorin des Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preises befand im Streit um dessen Umbenennung, einzig der Rückzug Haiders sei "uneingeschränkt zu begrüßen", fügte aber hinzu, die österreichische Literatur sei "durch ihre nachgerade kindliche Haßliebe zum Vater Staat (...) ein wenig wunderlich und weltverloren geworden".

Telegen ist die gebürtige Berlinerin allemal. Selbst in puncto Streitbarkeit braucht sie sich hinter ihren beiden männlichen Kollegen nicht zu verstecken – zumal nicht hinter Hellmuth Karasek, der in der Neubesetzung immer mehr zum "geborenen Dritten" avancieren dürfte. Und ob auch sie immer schon größte Schwierigkeiten mit erotischen Büchern hatte, mag der geneigte Leser anhand ihrer Zeit-Rezensionen selber entscheiden. Oder muß man dieses Urteil letztlich doch dem Literaturverweser überlassen? Immerhin setzt die Mutter zweier Kinder Reich-Ranickis didaktischem Eifer ein hedonistisches Anliegen entgegen: Während jener der Nation die Bücher verschreiben will, die sie braucht, möchte Radisch Bücher, "die ich liebe unters Volk bringen".

Im Gegensatz zu den Privaten – und aller Empirie zum Trotz – scheinen die öffentlich-rechtlichen Sender nach wie vor überzeugt zu sein, der Bundesbürger lebe nicht von Brot und Spielen allein. Nein, auch Infotainment auf gehobenerem Niveau muß sein. So soll das "Literarische Quartett" dem Kulturstandort Deutschland noch mindestens bis zum Sommer 2001 erhalten bleiben.


 
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