© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Heimische Brunnen werden verkauft
Interview: Umweltmediziner Wolfgang Ritter über die Privatisierung und Pestizidbelastung der deutschen Trinkwasserversorgung
Martina Zippe

Herr Dr. Ritter, es gibt Pläne, die deutsche Wasserversorgung zu privatisieren. In Deutschland drängen britische, französische und amerikanische Konzerne auf die Privatisierung der deutschen Wasserwirtschaft. Energieversorger wie RWE versuchen, sich die Wasserbranche einzuverleiben. Eine öffentliche Diskussion hierüber ist bisher völlig ausgeblieben – obwohl die ersten großen Privatisierungen längst unter Dach und Fach sind. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ritter: Äußerst bedrohlich.

Sinkt auch die Wasserqualität?

Ritter: Ja. Hier werden in Zukunft Grenzwerte und Reinheitskriterien über eine lobbyistische Konzernpolitik geändert, so daß auch nicht einwandfreies Trinkwasser per Verordnung in den Zustand der Trinkfähigkeit rückt.Wichtig für die Konzerne wäre beispielsweise eine Lockerung der Grenzwerte für Pestizidrückstände.

Die Privatisierung der Wasserversorgung wird den Einfluß von Politik und Bürgern auf die Wasserpolitik stark einschränken. Müßten dann Schutzklauseln für Wasserqualität in die Verträge mit den künftigen privatwirtschaftlichen Betreibern aufgenommen werden?

Ritter: Wer die Konzernmacht hat, kann auch Klauseln ändern. Der Einfluß der Kommunen wird angesichts der Konzerne zur Bedeutungslosigkeit herabsinken. Die Konzerne kaufen sich folgendermaßen bei den städtischen Werken ein: Sie bieten zunächst "Yello Strom" an. Der ist subventioniert, und diese Subventionierung wird auch eine Zeitlang durchgehalten. Dadurch machen die Stadtwerke keine Geschäfte mehr und bieten sich an, von Strompartnern anteilsmäßig gekauft zu werden. Die Konzerne streben natürlich auch an, das Abwassergeschäft in den Griff zu kriegen. Wer nämlich Abwasseranlagen hat, der produziert auch Klärschlamm. Den auf die Felder auszubringen, wird immer problematischer, weil die Grenzwerte verschärft werden und die Qualität des Klärschlammes mit zunehmender Chemisierung der Umwelt geringer wird. Und als Ausweg bietet sich da an, den Klärschlamm zu verbrennen. Die Stromunternehmer streben nicht nur das Abwassergeschäft an, sondern haben bereits das Geschäft mit den Müllverbrennungsanlagen unter sich. Und wenn man natürlich das Geschäft mit den Abwasseranlagen auch noch hat, hat man sichere Kunden und kann die monopolistisch ausnehmen, also Preise diktieren.Eine runde Sache für Konzernbetreiber. Die Strombetreiber wiederum fusionieren mit ausländischen Konzernen. Die Energieversorgung von Baden-Württemberg hat bereits eine Fusion mit einem französischen Konzern vollzogen. Primär wollen die Stromunternehmer das Strom-und Gasgeschäft der Stadtwerke mitbestimmen. Dann haben sie auch den Fuß in der Tür zum Trinkwasser- und Abwassergeschäft, weil das meistens in Händen der Stadtwerke ist.

Bei 87 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Europas ist das Grundwasser mit mehr als 25 Milligramm Nitrat pro Liter belastet, bei einem Viertel der Fläche liegt der Wert sogar über dem Trinkwassergrenzwert von 50 Milligramm. Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat dies?

Ritter: Nitrathaltiges Trinkwasser, auch nitrathaltige Lebensmittel, sind ein idealer Nährboden für nitrifizierende Bakterien im Darm. Diese sind bei jedem Gesunden vorhanden, aber wenn ich ihnen nitrathaltiges Essen oder nitrathaltiges Trinkwasser anbiete, können sie sich sehr stark vermehren. Sie wandeln Nitrat um in Nitrosamin. Dies ist ein extremes Zellgift, zu dessen Abbau der Organismus große Mengen an Vitamin C benötigt. Dieser erhöhte Vitamin C-Bedarf ist mit der natürlichen Nahrungsaufnahme gar nicht mehr zu decken.

Treten in der biologischen Landwirtschaft keine Probleme mit Nitrat auf?

Ritter: Eine biologisch angebaute Kartoffel hat einen natürlichen Nitratwert zwischen 5 und 15 Milligramm pro Kilo je nach Boden. Kartoffeln aus der Intensivlandwirtschaft haben Nitratgehalte von 30 bis 40 Milligramm. Extrem ist es bei Radieschen. In der biologischen Landwirtschaft haben sie einen natürlichen Nitratgehalt von 5 bis 15 Milligramm, bei Intensivanbau weit über 100, im Treibhausanbau bis zu 3.000 Milligramm pro Kilogramm.

Die zu hohen Nitratwerte im Trinkwasser bringen Politiker vielfach auf die Idee, die heimischen Brunnen ganz aufzugeben. Wieviel Prozent der Brunnen wurden in den letzten 20 Jahren aufgegeben?

Ritter: 50 Prozent bundesweit.

Aufgrund der belasteten heimischen Brunnen suchen Politiker die Lösung mitunter in Fernwasseranschlüssen. Warum haben Sie zusammen mit einer Bürgerinitiative den Anschluß von Wertheim am Main an das ca. 200 km weit entfernte Bodenseewasser verhindert?

Ritter: Durch Fernwasseranschlüsse entfällt das Interesse der Kommune an Brunnensanierungen vor Ort.

Der Fernwasseranschluß wäre auch teurer geworden, und man wäre anfällig geworden gegen Krisenfälle?

Ritter: Ja, total abhängig. Vor zirka acht Jahren ist in den Bodensee ein Sportflugzeug abgestürzt. Da hieß es gerüchteweise, es hätte geschmuggeltes Plutonium an Bord gehabt. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn die Befürchtung wahr gewesen wäre.

Statt des Fernwasseranschlusses werden jetzt Schutzgebiete ausgewiesen, um das Trinkwasser zu sanieren. Ein Ausweg?

Ritter: In Schutzgebieten wird die konventionelle Landwirtschaft eingeschränkt. Das ist der positive Teil der Maßnahme. Es sind aber nach wie vor Pestizide erlaubt, deren Einsatz die natürlichen Bodenbakterien im Nebeneffekt mit schädigen, ein unerwünschter Begleiteffekt.

München und Leipzig bestehen in den Wassereinzugsgebieten auf ökologischem Landbau. Ist dies der richtige Weg?

Ritter: Der einzig mögliche. Jede Zwischenlösung hat sich als leider vergeblich herausgestellt.

Das heißt, wie die Wasserqualität in Zukunft sein wird, kann auch der Bürger mitbestimmen, je nachdem, ob er Produkte aus der industriellen Landwirtschaft mit ihren chemischen Keulen und ihrer Überdüngung kauft oder Produkte aus der natürlich wirtschaftenden ökologischen Landwirtschaft bevorzugt?

Ritter: Ja, das ist das Entscheidende.

Wenn Mineralwasser statt Leitungswasser getrunken wird, ist dies auch nicht unproblematisch.

Ritter: Mineralwasser ist für die menschliche Ernährung grundsätzlich abzulehnen. Es ist ein Genußmittel, aber kein Basismittel. Das Wasser der Mineralbrunnen stammt aus großer Tiefe, und die natürliche Radioaktivität mit Radium ist grundsätzlich in großen Tiefen immer gegeben. Diese Wässer sind durchaus als Heilwässer geeignet, sowohl für äußere Anwendungen als auch für innere.

Also für bestimmte Krankheiten, aber nicht zum allgemeinen Gebrauch?

Ritter: Ja.

 

Dr. Wolfgang Ritter, Arzt für Allgemeinmedizin und Umweltmedizin sowie CDU-Stadtrat in Wertheim am Main, ist erster Vorsitzender der Interessengemeinschaft Kommunale Trinkwasserversorgung (IKT) des Landesverbandes Baden-Württemberg. Die IKT setzt sich für den Erhalt kommunaler Brunnen und für sauberes Trinkwasser ein. Mitglieder sind Gemeinden, Wasserwerke, Bürgerinitiativen, Verbände, Firmen, interessierte Bürger und Zusammenschlüsse von Hausbrunnen- und Kleinkläranlagenbesitzern. Für sein Eintreten gegen den Bodensee-Fernwasseranschluß in Wertheim und für das Sanieren der heimischen Brunnen wurde Ritter 1990 der Europäische Umweltpreis verliehen.

 

Sauberes Trinkwasser

ist knapp in Deutschland. Der Giftcocktail aus jährlich 30.000 Tonnen Unkraut- und Insektenvernichtungsmitteln auf unseren Feldern findet sich im Trinkwasser wieder. Das ist teuer. Um ein Kilogramm dieser Pestizide aus dem Trinkwasser zu entfernen, entstehen Kosten von 100.000 Mark, die der Verbraucher oder die Allgemeinheit zu tragen haben. Die Agrarchemie verdient dabei weiterhin Milliarden.

Auch die Nitratbelastung des Trinkwassers verleitet dazu, das Heil in teuren Anschlüssen von unbelastetem Fernwasser zu suchen. Angestrebt wird seit wenigen Jahren von der EU, daß Österreich Wasser in regenärmere EU-Länder liefert. Das immer häufigere Anzapfen von Wasserreservoirs aus großen Tiefen ist nicht unproblematisch, da die Gefahr besteht, diese in Jahrhunderten oder Jahrtausenden gebildeten Vorkommen beim Förden mit Schadstoffen zu verschmutzen.


 
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