© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Die Fahne der Anarchie
Serge Mangin: Bildhauer des "Geheimen Europa"
Werner Bräuninger

Man sollte annehmen, die Wer ke eines Bildhauers, in des sen Kunst sich der Überlebenswille Europas manifestiert, müßten auch in den Metropolen, etwa in der Bundeshauptstadt Berlin, an bevorzugten Plätzen aufgestellt sein. Doch das Europaideal des französischen Bildhauers Serge Mangin scheint nicht das Ideal der Eurokraten zu sein. "Ich würde gerne die schwarze Fahne der Anarchie hissen, in deren Mitte die goldenen Sterne Europas prangen", so lautet das Credo eines "konservativen" Künstlers, der sich ausschließlich der Antike und dem europäischen Erbe verpflichtet fühlt.

Mangin verkörpert den Typus jener schwer einzuordnenden Klasse "konservativer Clochard-Franzosen", welche zwar von einer spießbürgerlichen Ordnung gelangweilt sind, die aber in drei entscheidenden Punkten nicht mit sich spaßen lassen: Kindererziehung, gesunde Lebensführung, Verteidigung des Staatsgebietes. Ein Typus, der sich in einer Traditionslinie von Villon bis Céline offenbarte.

Mangin, 1947 in Paris geboren, seit Jahrzehnten in München lebend, hat in den letzten Jahren zahlreiche beeindruckende Zeugnisse seines Schaffens vorgelegt. Jede seiner Skulpturen ist ein Symbol des Widerstandes, ein Aufruf zur Verteidigung des Individuums. So schuf Mangin seinen "Karl Martell", den "Archilokos von Paros", seinen "Sitzenden Buddha", das Denkmal für Dresden, die "gemordete Stadt", die Bronze "Freies Europa" oder die "Freiheitsstatue" für die Stadt Leipzig, welche die verbrieften Freiheitsrechte in der Hand hält und sich sanft lächelnd über die Schandmauer erhebt. Es mutet geradezu wie Hohn an, daß – nach vielfachem Hin und Her – Mangins Entwurf von der Stadt Leipzig abgelehnt wurde.

Auch Mangins Porträts sind von erstaunlicher Tiefgründigkeit und Konzentrik und zeugen von immensem Können. Es entstanden Büsten von Ernst Jünger, Brahms, Nietzsche, Arno Breker und Henry Miller. Auch die Schauspielerin Ruth-Maria Kubitschek, der Verleger Herbert Fleissner und der Opernsänger Luciano Pavarotti ließen ihr Antlitz von dem Bildhauer in Bronze meißeln. Erstaunlich, wie Serge Mangin die Ambivalenzen aushält und ordnet, in die ihn die Beschäftigung mit vielen der Genannten unausweichlich führt. So, wie es der Dichter Rolf Schilling über einen anderen Meister schrieb: "(Er) zog sich nicht ins Unverbindliche zurück, in eine Nische, die noch nicht besetzt war (…) Welch ein Lichtblick zu sehen, daß einer hier nicht capituliert, sondern durchhält, daß einer nicht ausweicht, sondern den Stier bei den Hörnern packt" ("Eros und Ares").

Am deutlichsten kommt diese Haltung in Mangins "Karl Martell" zum Ausdruck, entstanden auf der Suche nach sich selbst. Sein Martell fasziniert mit seinem unvollendeten Helm und den zahlreichen Amputationen, denn "er verteidigt eine lebenswichtige Sache und ist doch ein nicht einzuordnender Anarchist". Seine umgehängten Patronengürtel stehen für den Kampf der Kulturen, welch ein Gegensatz zu den zarten Aquarellen Mangins.

Im Gegensatz zu den meisten zeitgenössischen Künstlern ist Mangin jederzeit dazu in der Lage, auf das "Warum?" seiner Kunst eine klare Antwort zu geben. Diese Antwort hat er in verschiedenen Texten formuliert, die er zu seinen Werken verfaßt hat. Ein Beispiel hierfür ist sein Buch "Annäherungen an Ernst Jünger" (Langen Müller), einer Schilderung der Porträtsitzungen mit dem greisen "Anarchen". In einigen Monaten wird wohl ein neues Buch Mangins erscheinen, ein Werk, welches einen Querschnitt seines Schaffens beinhalten soll und für das der Publizist und Jünger-Biograph Heimo Schwilk ein Geleitwort verfaßte. Man spürt, Mangin ist in der europäischen Philosophie zu Hause und viele seiner Werke erfahren ihre Inspiration und Interpretation durch Nietzsche, Spengler, Friedell.

Vehement widerspricht der Künstler der verbreiteten Auffassung, Kunst habe keine Heimat. Die "Moderne" sei in ihrer fortwährenden Verneinung erschöpft und habe aus der Kunst eine Börse gemacht – und nichts als das ("verrostete Eisenstücke, Badewannen, Tintenkleckse, einbalsamierte Ratten und Gipsreste haben eben keine Heimat"). Dieser Form eines nihilistischen Kunstdiktats hat Mangin den Kampf angesagt. Das "Revolutionäre" dieser Kunst sei seit über 90 Jahren zu reinstem Akademismus degradiert; an der Münchner Kunstakademie etwa gebe es keine einzige Klasse mehr für gegenständliche Kunst.

Bereits als sehr junger Bildhauer hat sich Mangin nicht mit dem gesteuerten Kunstverfall abfinden wollen. So hat er sich seine Gegenwelt geschaffen. "In dieser körperlosen, chaotischen Plastikwelt bin ich der wahre Revolutionär!" lautet sein Aufschrei. Heute gehört wahrhaft Mut dazu, derartige Aussagen zu machen. Die entscheidenden Impulse findet er nicht bei den Meistern vom Rang eines Rodin oder Maillol, sondern in der Antike. Hellas als die geistige Mutter. So läßt sich auch das Faible des Bildhauers für die Geschichte Spartas und seines Opfergangs bei den Thermopylen erklären. Immer wieder taucht dieses Motiv gleichnishaft in Mangins Gedankenwelt auf. Die Darstellung des nackten Mannes oder des weiblichen Körpers bleibt Mangins Domäne, doch ist er nicht auf diese fixiert. Vielmehr ist Mangin auf allen Ebenen des Bildhauerischen zu Hause. Besucher seiner Homepage (www.mangin.de) können sich ein Bild davon machen.

Serge Mangins Skulpturen und Porträts bezeichnen den Sinn des Wortes "sculptor", des "Herausholens". Die Erfüllung dieses Wortsinnes fehlt heute bei der Mehrzahl der Kulturschaffenden. Es hieße aber sein Werk zu verkennen, wenn man ihm unterstellen wollte, lediglich die antike Mythologie neu zu beleben oder schöne Menschen um des sinnlichen Reizes willen darzustellen. Mangin sucht etwas anderes: Schicksale, Seelenzustände des Menschen in gültiger Form sichtbar zu machen. Wenn einige seiner Statuen auch eher als Typen angesehen werden können denn als Individuen, so haben diese doch alle ein "Schicksal", nach dem wir fragen und das wir an ihren Köpfen und Gesten ablesen können.

Das plastische Porträt kann den Menschen faszinieren, da der Mensch vom Menschen schon an sich fasziniert ist, schreibt Mangin im März 1989 und fügt hinzu: "Das menschliche Antlitz birgt den Schlüssel zu einer zerstörerischen Kraft ohnegleichen, einer Grausamkeit, für die es im Tierreich keine Entsprechung gibt; es enthält aber auch den Schlüssel zu der unübertroffenen Anmut eines Mädchengesichtes."

Noch klarer wird Mangin, wenn er sinngemäß Hölderin mit den Worten zitiert, daß jedes menschliche Antlitz in seiner Einmaligkeit an dem psychologischen, philosophischen und auch physiologischen Gepräge seines Landes teilnehme. Aus dieser Perspektive wird auch klar, daß Mangin den umstrittenen Aphorismus Protagoras’ aufnimmt, wonach der Mensch das Maß aller Dinge sei. Ob Mangin/Protagoras damit den verflachten Humanismus der Moderne meint, das heißt einen Humanismus, der den Menschen nur in seiner physischen Dimension anerkennt und damit seine metaphysische Existenz leugnet, wird man bezweifeln können.

"Vom Glück und Unglück der Kunst in Deutschland nach 1945" (Syberberg), auch Mangin hat diese schmerzliche Erfahrung als französischer Bildhauer in Deutschland machen müssen. Spät, aber nicht zu spät, können wir durch ihn unseren alten Erdteil entdecken. Mangins Skulpturen stellen die Frage nach dem künftigen Schicksal des europäischen Abendlandes ganz unmittelbar. Mitten unter uns lebt ein wahrer Meister, dem es zwar an öffentlichen Ehrungen nie gemangelt hat – so verlieh ihm erst kürzlich der französische Botschafter in Deutschland den Orden "Chevalier de l‘Ordre des Arts et des Lettres" –, der aber von den Mediennetzwerken des etablierten Kulturbetriebs geflissentlich ignoriert wird.

In der Bildhauerei hat Mangin bewiesen, daß es auch im 21. Jahrhundert noch eine Kunst jenseits der Moderne geben kann. Und wenn der Kreis um Stefan George die Formel vom "Geheimen Deutschland" schuf, dann kann man Serge Mangin getrost den Bildhauer des "Geheimen Europa" nennen, weil er das Erbe dieses Kontinents aufnimmt, anerkennt und einordnet. Serge Mangins Kunst enthält sich strikt allen Streites und Spottes über die Schöpfung und das Leben, bei dem – wie Goethe meint – nicht viel herauskommt. Seine Kunst läßt hoffen, denn, so sagte er im Hinblick auf die erwähnten "verrosteten Eisenstücke": "Eines – und zwar nicht mehr sehr fernen – Tages wird man sich wundern, daß die Welt sich mit derartigem umgeben hat."


 
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