© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Erkundungen in der Unterwelt
Zum 100. Geburtstag des Filmemachers Robert Siodmak
Werner Olles

Robert Siodmak wurde am 8. August 1900 als Sohn einer angesehenen jüdischen Familie in Dresden geboren. Nach anderen Quellen ist er allerdings in Memphis, Tennessee, geboren, und als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland ausgewandert. Er begann als Schnittmeister bei der UFA, wollte jedoch von Anfang an Regisseur werden. 1929 drehte er den Experimentalfilm "Menschen am Sonntag", der – obwohl ein Stummfilm – großes Aufsehen erregte und ihm weitere Filmangebote einbrachte. Bis 1933 drehte er noch drei Filme für die UFA: "Voruntersuchung", "Stürme der Leidenschaft" und mit Hans Albers in der Titelrolle "Quick".

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwang Slodmak zur Emigration. Er ging zunächst nach Frankreich, wo er bis 1938 einige Filme inszenierte, darunter "Le sexe faible", "Vie parisienne" und "Piéges". 1939 reiste er weiter in die USA. In Hollywood machte sich Siodmak rasch einen Namen als Regisseur von Horrorfilmen ("Son of Dracula", 1942) und Thrillern ("Zeuge gesucht", 1943 und "Unter Verdacht", 1944). Der endgültige Durchbruch gelang ihm jedoch erst ein Jahr später mit seinem Meisterwerk "Die Wendeltreppe". In einer Kleinstadt taucht um die Jahrhundertwende ein perverser Mörder auf, der nur junge Frauen mit körperlichen Gebrechen umbringt. Schon der Anfang des Films ist ungewöhnlich suggestiv. Der Zuschauer erlebt eine Kinematographenvorstellung von anno dazumal. Während das Publikum erregt die lebenden Bilder betrachtet, geschieht im selben Haus der erste Mord. Alles ist puritanische Lebensverweigerung. Von innen besteht das Haus aus einem grotesken Wirrwar geheimer Gänge und Treppen in die Unterwelt. Und die Wendeltreppe, die sich gleichsam in den dunklen, unheimlichen Keller hineinbohrt, wird zum Symbol des Films: ein verdrehtes Seelenleben, ein Abstieg in das Unterbewußtsein. Mit raffinierter Geschicklichkeit, die an Alfred Hitchcocks beste Filme erinnert, nutzt Siodmak die Stummheit des Dienstmädchens aus. Wortlos finden Mißtrauen, Angst und Entsetzen ihren stärksten Ausdruck.

Mit der Verfilmung von Ernest Hemingways Kurzgeschichte "Die Killer" landet er 1946 seinen zweiten großen Wurf. In "Rächer der Unterwelt" – so der Filmtitel – wartet der "Schwede" (Burt Lancaster), der einst seine Gangsterfreunde verraten und betrogen hat, lakonisch auf seine Mörder. Weder unternimmt er einen Fluchtversuch, noch versucht er sich zu wehren. Vielmehr erwartet er den Tod, vor dem es doch kein Entrinnen mehr geben kann, wie eine Erlösung. Auch "Der schwarze Spiegel", den Siodmak im gleichen Jahr drehte und die 1948 entstandenen Filme "Schrei der Großstadt" und "Strafsache Thelma Jordan" knüpfen an die Thematik von Schuld und Sühne an. In "Gewagtes Alibi" (1949) bringt er wiederum Burt Lancaster und Eva Gardner, die femme fatale aus "Rächer der Unterwelt", zusammen. Auch diesmal ist den beiden kein Glück beschieden. Lancaster versucht zwar ein anständiges Leben zu beginnen, läßt sich aber dann doch von seinen früheren Kumpanen und der "dunklen Frau" zu einem gefährlichen Coup überreden, der für alle tödlich endet.

Noch im gleichen Jahr verfilmt Siodmak Dostojewskis große Novelle "Der Spieler" mit Gregory Peck in der Hauptrolle. Es folgt "Der rote Korsar" (1952), ein turbulentes Piratenabenteuer mit seinem Lieblingsstar Burt Lancaster und Eva Bartok. 1953 dreht er – nach Europa zurückgekehrt – in Frankreich die Fremdenlegionärs-Romanze "Die letzte Etappe", mit der schönen Gina Lolobrigida. 1955 kehrt er endgültig nach Deutschland zurück. Mit Curd Jürgens und Maria Schell inszeniert er Carl Zuckmeyers Drama "Die Ratten" und ein Jahr später "Mein Vater, der Schauspieler". 1957 folgt "Nachts, wenn der Teufel kommt" mit dem jungen Mario Adorf in der Rolle des debilen Frauenmörders Bruno Lüdcke. Der nach einer während des Zweiten Weltkriegs in Berlin stattgefundenen Serie von Lustmorden gedrehte Film erhält zahlreiche internationale Preise.

In den späten sechziger Jahren zog sich der Regisseur nach einigen Mißerfolgen aus dem Filmgeschäft zurück. Er ließ sich im schweizerischen Locarno nieder, wo er im Jahre 1973 im Alter von zweiundsiebzig Jahren starb.

Neben seinen eigenen Inszenierungen hatte sich Siodmak seit seiner Rückkehr nach Deutschland auch um die Förderung noch unbekannter Regisseure verdient gemacht. Besonders faszinierten ihn Thriller und unheimliche Kriminalfilme. Als er 1956 Peter Pewas beklemmendes Porträt eines an den bundesdeutschen Autobahnen sein Unwesen treibenden Mädchenmörders sah, war er begeistert. Siodmak, nachdem er "Viele kamen vorbei" gesehen hatte, zu Pewas: "Was machen Sie nur für revolutionäre Bilder? Wer sind Sie überhaupt?"


 
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