© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Ausgewählte Raritäten
Oper: Rossini-Festspiele in Bad Wildbad
Julia Poser

Seit zwölf Jahren ziehen die Rossi ni-Festspiele in Bad Wildbad mit ausgewählten Raritäten eine steigende Zahl von Gästen aus dem In- und Ausland in das freundliche Städtchen im Nord-Schwarzwald. So viele große Projekte wie in diesem Jahr gab es noch nie; denn Rossinis 50. Geburtstag – er wurde am Schalttag des Jahres 1792 geboren – sollte festlich gestaltet werden. Neben der Kreuzritter-Oper "Armida", die den Konflikt zwischen Morgenland und Abendland, zwischen Pflicht und Liebe behandelt, wurde auch die reizvolle Opera buffa "L‘Equivoco stravagante" aufgeführt. Dieser Titel ist schwer zu übersetzen. Der bekannte Rossini-Kenner und -Forscher Reto Müller gibt mehrere Deutungen dieser so lange vernachlässigten Buffa: "Ein kurioses Mißverständnis", "Eine anrüchige Finte" oder "Eine verschrobene Zweideutigkeit". Tatsächlich wurde das Werk des jungen Komponisten nur dreimal in Bologna aufgeführt. Dann schritt die strenge Zensur ein und verbot das "anzügliche" Werk.

Festspielleiter Jochen Schönleber brachte diese komische Oper in einer halbszenischen Aufführung auf die Bühne. Altmeister Alberto Zedda, ein Rossinispezialist par excellence, dirigierte die Tschechischen Kammersolisten mit bravourösem Elan und graziöser Leichtigkeit. Ein glanzvoller Abend, an dem auch die jungen Sänger überzeugten. Den neureichen Vater gab Marco di Felice mit vollem Baßbariton und viel Gespür für Komik. Petia Petrova war sein charmant singendes Töchterchen, die sich in den verarmten Ermanno verliebt. Ihn brachte mit lyrisch schmelzendem Tenor Dario Schmunk. Für den eitlen Verehrer Buralicchio fehlte dem jungen Marco Vinco noch der letzte Schliff, obwohl er einen markanten Baß hat. Monica Minarelli bezauberte mit ihrem klaren strahlenden Mezzo als kokette Zofe und erhielt für ihre kecke Arie "Quel furbanel d‘amore" (Dieser Lausejunge Amor) viel Beifall. Auch Eduardo Santamarias Tenor fügte sich bestens in das vielversprechende Ensemble.

Das Festkonzert zu Rossinis Geburtstag brachte zwar herrliche Stimmen, aber leider auch ein selten schlampig spielendes Orchester. Die Stuttgarter Philharmoniker verpatzten nicht nur ihre Einsätze bei der Kantate, so daß Dirigent Herbert Handt verärgert abklopfen mußte, als der Tenor seine große schwierige Arie beginnen wollte. Auch die vorangegangenen Mozart-Ouvertüren wurden derb und lieblos heruntergefiedelt. Peinlich!

Zum Glück machten die Sänger durch ihre Leistung das Versagen des Orchesters wieder wett. Den größten Eindruck hinterließ Barbara di Castri. Ihr Mezzo besitzt strahlende Fülle, ihre Koloraturen gleichen edlen Perlen, ebenmäßig und von großer Schönheit. Die unglaublich hohe Tessitura in Rossinis Kantate "La Riconosczenza" (Die Dankbarkeit), die heute kaum noch ein Tenor singen kann, meisterte Willian Matteuzzi mit Leichtigkeit. Er hat zwar seine lange Karriere als Opernsänger beendet, wirkt jetzt aber als weltweit anerkannter Gesangslehrer. Für diese Huldigungskantate an die Herzogin Maria Luisa von Lucca kam Matteuzzi jedoch nach Wildbad zurück, um seine vielen Verehrer mit der nach wie vor einmaligen Stimme zu erfreuen. Dagegen hatten Akie Amou (Sopran), Antonis Koroneos (Tenor) und Mathew Hargreaves (Bariton) einen schweren Stand.

Daß die Stuttgarter Philharmoniker es auch besser können, bewiesen sie unter dem energischen Dirigat von Nicoletta Conti, die Opernszene von "Rossini und Co." zur Aufführung brachte. Wer ist "und Co."? Es waren Ausschnitte aus Opern von Ferdinande Paer und Peter von Winter, Zeitgenossen Mozarts und Rossinis. Diese Werke haben Reto Müller und der Festspielleiter nach langem Suchen wiedergefunden. Zweifellos hat sich Rossini an von Winters Oper "Maometto" erinnert, als er fünf Jahre später seinen "Maometto II" komponierte.

Die meisten der jungen Sänger dieser Opernszenen kamen aus den Meisterklassen von William Matteuzzi, die in den letzten Jahren mit Förderpreisen belohnt wurden. Jedem Opernfreund kann man nur empfehlen, einmal eine Probe einer Meisterklasse zu besuchen. So war in Wildbad täglich Gelegenheit, den öffentlichen Schulungsstunden zuzuhören. Mit Engelsgeduld erarbeitete Matteuzzi mit seinen Schülern die Arien für das Abschlußkonzert, unterstützt vom unermüdlich wiederholenden Pianisten Scott Curry. Aus Matteuzzis Schule sind schon Berühmtheiten hervorgegangen wir zum Beispiel der Altus Matthias Rexroth, den man kürzlich in Bachs H-Moll-Messe aus der Leipziger Thomaskirche im Fernsehen erleben konnte. In Wildbad zeigte Rexroth sein großes Können in den "Orfeo-Szenen". Er begann mit einer Arie aus Peris "Euridice", der allerersten Oper aus dem Jahr 1600.

Der ausdrucksstarke Altus brachte die Leiden des thrakischen Sängers Orpheus mit Arien von Monteverdi und Purcell bis zu Gluck mit facettenreicher Stimme. Auf alten Instrumenten begleitete ihn das Stuttgarter Ensemble "Jommelli".

Rossini hat auch Großes auf dem Gebiet der Kirchenmusik geschaffen, wie ein Konzert "Geistlicher Werke" in einer Wildbader Kirche zeigte. Die Deutschrumänin Cosmina Cordun-Stitzl, eine der Preisträgerinnen aus Matteuzzis Meisterklasse, sang Marienlieder aus den "Alterssünden", und der tschechische Frauenchor entzückte mit "Glaube, Liebe, Hoffnung" durch ergreifenden Gesang.

Vor allen Veranstaltungen werden aufschlußreiche Einführungsvorträge gehalten. Eine Reise zu den jährlichen Festspielen in Wildbad lohnt sich – nicht nur für den Musikfreund.


 
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