© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/00 18. August 2000

 
Druck auf Konservative
Kampf gegen den Rechtsextremismus: Worum es eigentlich geht
Michael Wiesberg

Seit dem Tag des bisher unaufgeklärten Anschlages an der Düsseldorfer S-Bahn-Station Wehrhahn, am 27. Juli vergeht kein Tag, an dem sich nicht irgendein Politiker darüber räsoniert, welche Maßnahmen im "Kampf gegen den Rechtsextremismus" zu ergreifen sind. Es findet ein regelrechter Überbietungswettlauf statt, an dem auch Politiker wie zum Beispiel Bundesaußenminister Fischer teilnehmen, die sich in den siebziger und achtziger Jahren nicht genug darüber auslassen konnten, wie "repressiv" doch der bundesdeutsche Staat sei. Jetzt, wo es gegen "Rechts" geht, stehen sie als Claqueure in der ersten Reihe, um das zu begrüßen, was sie jahrzehntelang als "faschistoid" bekämpften: einen starken Staat. Eine erstaunliche Koalition quer durch alle Parteien, die sich hier unter dem Schild des antifaschistischen Widerstandes zusammengefunden hat. Alle sind sich einig, daß mit der Toleranz gegen Rechts jetzt Schluß sein müsse.

Der Maßnahmenkatalog, den die öffentlichen Verfechter der "parteiischen Toleranz" in den letzten Wochen vorgelegt haben, liest sich in der Tat beeindruckend. Lassen wir die wesentlichsten Forderungen an dieser Stelle einmal Revue passieren: NPD-Verbot, Schnellgerichte, Einschränkung des Demonstrationssrechtes, Bekämpfung "rechtsextremistischer" Internetadressen, Bündnisse gegen Rechts, Sanktionen gegen "rechtsextremistische" Arbeitnehmer, Einsatz des Bundesgrenzschutzes gegen rechtsradikale Gewalttäter, Schaffung staatsanwaltlicher "Spezialabteilungen zur Verfolgung kollektiver Gewalttaten mit rassistischem und fremdenfeindlichen Hintergrund", Videoüberwachung gefährlicher Orte, die häufig Schauplatz "rechter Gewalttaten" gewesen sein sollen oder tatsächlich waren, Streichung der Wahlkampfkostenrückerstattung für rechte Parteien, sowie die Schaffung einer Datenbank für "rechtsextremistische Gewalttäter".

Daß der Staat gegen extremistische Gewalttäter mit aller Härte vorgehen muß, steht außer Frage. Gleiches gilt auch im Hinblick auf politische Organisationen, denen nachgewiesen werden kann, daß sie zum Sammelbecken von gewaltbereiten Extremisten geworden sind. Hier ist unter Umständen auch ein Verbotsantrag legitim, sollte der entsprechenden Organisation eine "aktiv-kämpferische Haltung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" nachgewiesen werden können. Dies alles sind legitime Maßnahmen, mit denen sich der Staat gegen Extremisten von links- oder rechtsaußen schützen muß. Andererseits betrifft die Unverfrorenheit, mit der Politiker quer durch alle Lager auch Grundrechtseingriffe einfordern. So erklärte ausgerechnet die Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin (SPD): "Wir brauchen mehr Einmischung für Toleranz und die vollständige Ächtung rechtsextremistischer Töne und Attitüden in unserer Gesellschaft." Die pauschale Kriminalisierung der von Däubler-Gmelin nicht näher präzisierten "rechtsextremistischen Töne und Attitüden" verläßt den Boden des demokratischen Diskurses, weil sie bestimmte Meinungen und politische Positionen als illegal oder demokratisch illegitim disqualifiziert. Die auf diese Weise tabuisierten Positionen sollen aus dem demokratischen Willensbildungsprozeß verdrängt werden.

Dafür ein konkretes Beispiel aus der laufenden Debatte: Die im Grunde längst überfällige Forderung des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber nach einer "nationalen Bevölkerungspolitik" nannte die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, Kerstin Müller, "unverantwortliche Deutschtümelei". Der Vorsitzende der bayerischen SPD-Landesgruppe, Ludwig Stiegler, warf Stoiber sogar vor, er gehöre zu den "geistigen Wegbereitern und Stichwortgebern der rechtsextremistischen Täter". Der Unionspolitiker und Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, sprach davon, daß immer noch nicht verstanden werde, "daß Deutschlands Zukunft nicht davon abhängt, daß deutsche Eltern deutsche Kinder bekommen".

Die Reaktionen auf den Vorstoß von Stoiber zeigen ganz deutlich, daß die gegenwärtige Debatte zu einer vollständigen Ausgrenzung rechter (besser: konservativer) Positionen, deren nähere Bestimmung der derzeit regierenden classe politique überlassen bleibt, aus dem Willensbildungsprozeß führen kann. Natürlich läßt es das Grundgesetz zu, daß Gruppierungen aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt werden können, die dessen Grundlagen zu beseitigen trachten. Die Ausgrenzung wirklicher Extremisten dient der Demokratie. Die Ausgrenzung von Personen, Organisationen und Meinungen aber, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sind, würde die Grundlagen unserer Demokratie in Frage stellen. Genau an diesem Wendepunkt ist die öffentliche Debatte zum Thema "Rechtsextremismus" angelangt. Es dürfte in Zukunft immer riskanter werden, zu den existenziellen Themen der deutschen Gesellschaft (Stichworte: Demographie oder Zu- bzw. Einwanderung) öffentlich eine kritische Haltung einzunehmen. Daß die Unionsparteien diese Gefahr nicht nur nicht erkennen, sondern sich zu antifaschistischen Stichwortgebern herabwürdigen, stellt die bedenklichste Konsequenz der laufenden Debatte dar. Die Unionsparteien fallen damit als Korrektiv gegen die rot-grüne Gesellschaftsveränderung aus.

Auf diese Art und Weise wird die "Klassenabschließung", ein Begriff, den der deutsche Soziologe Helmut Schelsky prägte, perfekt. "Klassenabschließung" meint dieHerausbildung und Bewahrung einer eigenen, gruppenhaften Sprache, die gegen nicht genehme Fragestellungen ("Tabuthemen") abschirmt. Sie stärkt die Autorität derer, die sich der entsprechenden Sprachformeln bedienen, und vermittelt ihnen ein legitimes Herrschaftsbewußtsein. Diese Sprachformeln kennen keinen Standpunkt der Neutralität, wie das Beispiel Stoiber zeigt. Immer mehr entscheidet die sprachliche Artikulation darüber, ob man zur Klasse der politisch Korrekten zählt oder zu denen, die politisch immer ohnmächtiger werden.

Da eine sprachliche Zensur von staatlicher Seite ausgeschlossen ist, hängt der Sprach- und Verständigungskonsens in einer pluralistischen Demokratie an den sozialen und politischen Kräften, die die Sprachgewalt ausüben. Zu diesen Kräften, die die Sprachgewalt in Deutschland prägen, werden die Unionsparteien in Zukunft immer weniger gehören. Diese haben nicht begriffen, daß rotgrüne Politik darauf hinausläuft, "rückschrittlichen (rechten oder konservativen) Bewegungen" die Toleranz zu entziehen, ehe diese selber aktiv werden können. Intoleranz gegenüber der Meinung, dem Denken und dem Wort gehört ausdrücklich zum Instrumentarium der "parteiischen Toleranz". Dadurch, daß sich die Unionsparteien zu deren Anwalt machen, spielen sie das Spiel der rotgrünen Gesellschaftsveränderer als "nützliche Idioten" mit. Hierin liegt die eigentliche Tragik der laufenden Debatte zum Thema "Rechtsextremismus


 
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