© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/00 18. August 2000

 
Ein Kampf aller gegen alle
Freie Tankstellen: Kartellamt stoppt Ölmultis / Verbraucher profitieren nicht vom Wettbewerb
Ronald Gläser

"Das ist nur eine Schlacht im Tankstellen-Krieg", äußerte ein Betreiber einer "Freien Tankstelle". Durch die jüngste Entscheidung des Bundeskartellamts sehen sich die Freien gestärkt und hoffen, im Wettbewerb nunmehr bestehen zu können. Die Bonner Behörde hatte die großen Mineralölkonzerne vergangene Woche vor die Alternative gestellt, ihr Benzin entweder günstiger an freie Tankstellen abzugeben oder die Preise an den eigenen Tankstellen deutlich zu erhöhen. Davon betroffen sind Aral, DEA, Deutsche BP, Esso, Elf Oil und Deutsche Shell. Eine Frist zur Umsetzung dieser Maßnahme ist nicht vorgesehen.

Die Multis reagierten empört und legten Widerspruch bei dem verantwortlichen Oberlandesgericht ein. Für sie ist der Beschluß des Kartellamts "ein in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Eingriff in die Marktwirtschaft". Insbesondere der sofortige Vollzug verärgert die Branchenführer.

Von den 16.000 Tankstellen in Deutschland gehört etwa ein Viertel nicht zu den großen Mineralölkonzernen. Sie beziehen derzeit ihren Kraftstoff von den Unternehmen, die gleichzeitig aber über einen eigenen Vertriebskanal in Form von Tankstellen verfügen. Die freien Tankstellenbetreiber hatten sich seit Monaten über eine offenbar gängige Praxis beschwert. Demnach werden den freien Tankstellen Beträge für Benzin in Rechnung gestellt, die höher als die Verkaufspreise bei den Tankstellenketten sind.

Damit waren spätestens seit zwei Monaten die ursprünglichen Verhältnisse auf dem Benzinmarkt in Deutschland auf den Kopf gestellt: Die freien Tankstellen mußten die Preise erhöhen und wurden von den Multis unterboten. Diese fochten zusätzlich einen Preiskampf untereinander aus, der die Branche im Frühjahr Berichten von Marktbeobachtern zufolge eine Milliarde Mark gekostet habe. Aufgrund des niedrigen Euro-Kurses und der Ökosteuer profitieren die Verbraucher aber keineswegs von dem Wettbewerb. Shell bezeichnet diesen seit längerem als "ruinös" und kündigte an, "in nennenswertem Umfang" Tankstellen zu schließen, falls die Gewinnmargen so gering blieben.

Mit dem Preiskampf aller gegen alle ging die Einführung neuer Vermarktungsstrategien einher. Das von der DEA eingeführte Rabattsystem "Payback", das inzwischen auf etliche weitere Branchen ausgeweitet worden ist, belastet unabhängige, kleine Unternehmen zusätzlich. Nicht zuletzt deshalb hat sich DEA den besonderen Unmut der Freien zugezogen. Ihr Bundesverband schaltete Ende Mai nicht nur das Kartellamt ein, sondern appellierte auch an den Wirtschaftsminister, "mäßigend auf DEA einzuwirken".

Die freien Tankstellen fühlen sich jetzt durch den Beschluß bestätigt. Ferner fordern sie Schadenersatz für die entgangenen Gewinne, beziehungsweise für die entstandenen Verluste. In Zukunft wollen sie ihren Kraftstoff aus anderen, ausländischen Quellen beziehen. Nicht alle Multis äußerten sich zu den Vorgängen.

Esso zum Beispiel zieht es vor, auf subtile Art und Weise Mißtrauen gegenüber freien Tankstellen zu erzeugen. Das Unternehmen veröffentlichte eine von ihm beauftragte Studie, die die Qualität des Benzins an Tankstellen untersuchte. Überraschenderweise lautet das Ergebnis der Studie, daß freie Tankstellen verunreinigten und gepanschten Kraftstoff verkaufen. Bei welchem Multi die untersuchten freien Tankstellen diesen Kraftstoff bezogen haben, verschweigt Esso geflissentlich.


 
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