© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/00 18. August 2000

 
Der Kaiser im Zentrum
Japan: Das Land der aufgehenden Sonne bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne
Albrecht Rothacher

Ende Juni fanden in Japan Nationalwahlen statt. Mit leichten Einbußen wiedergewählt wurde die Koalition des Liberaldemokraten Yoshiro Mori. Mori hatte sich mit patriotischen Bemerkungen von Japan als einem "heiligen Land mit dem Kaiser als Mittelpunkt" bei den politisch korrekten Medien im Ausland unbeliebt gemacht. Dies erinnerte an den Staatsschinto der Kriegs- und Vorkriegszeit, den die Amerikaner mit ihrer für die Japaner erlassenen Nachkriegsverfassung ausgemerzt zu haben glaubten.

Die größten Oppositionsparteien, die Liberalen und die Demokraten, die sich von der LDP in ihrem politischen Krisenjahr 1993 abgespalten hatten, sind oft noch patriotischer und konservativer als die regierende LDP. Demokratenchef Hatoyama verlangte gar die Schließung der unpopulären, auf Okinawa, bei Tokyo und bei Hiroshima gelegenen US Militärstützpunkte und den Abzug der amerikanischen Soldaten.

Die Linksparteien, Sozialisten und Kommunisten, gewannen nach den Wahlen von 2000 zusammen nur 39 der 480 Parlamentssitze. Mehr als 80 Prozent der Sitze werden von konservativen Parteien unterschiedlicher Schattierungen eingenommen. Ähnliche Verhältnisse gibt es in Europa nur in Estland und Irland.

Ohne Zweifel sind die Japaner bei aller Faszination für Spitzentechnologien ein konservatives Volk mit einem starken Bewußtsein ihrer nationalen Eigenart. Die Intellektuellen bewegt als zeitgeistige Strömung, das "japanische Wesen" als Antithese zum homo americanus wiederzuentdecken. "Nihon kaiki", die Rückkehr zum Japanertum, einer Synthese aus originärer japanischer Tradition, schintoistisch-buddhistischen Riten und konfuzianischen Werten, ist in der Sinnkrise nach dem in der Krise der neunziger Jahre gescheiterten Griff nach der weltwirtschaftlichen Vormacht durch die vorgeblich internationalistischen Großkonzerngruppen, wie Mitsubishi, Mitsui, Sumitomo und Nissan als romantische Postmoderne angesagt. Schon unter Premier Obuchi, der im April nach einem Gehirnschlag starb, wurden im Vorjahr das Sonnenbanner Nihonmaru und die Kaiserhymne Kimigayo als Nationalsymbole gesetzlich verankert. Alljährlich pilgern etliche Kabinettsmitglieder, seit Nakasones Zeiten auch häufig der Premierminister, zum Yasukuni-Schrein in Tokyo, um dort der Kriegstoten zu gedenken. An diesem Ort ruhen Aschenreste und nach schintoistischer Überlieferung die Seelen sämtlicher im Kampf für Japan gefallene Soldaten der Neuzeit. Dies schließt die 900 von den Alliierten als Kriegsverbrecher Hingerichteten mit ein, von denen etliche, wie der Vorkriegspremier Hirota oder ein erklärter Kriegsgegner wie der Armeegeneral Muto, nach allgemeiner Überzeugung unschuldig waren.

Die Amerikaner hatten 1972 das im Juli 1945 nach infernalischen Bodenkämpfen, bei denen ein Drittel der Inselbevölkerung, 100.000 Menschen, starben, eroberte und annektierte Okinawa an Japan zurückgegeben. Seither verlangt Japan weiterhin unverdrossen von Rußland die Rückgabe der von der Sowjetunion in den letzten Kriegsstunden widerrechtlich besetzten und seither annektierten südkurilischen Inseln Etorofu, Kunashiri, Shikotan und Habomai, die nach dem Niedergang der russischen Fernostflotte für Rußland keinen strategischen Wert mehr haben. Gegenüber chinesischen Ansprüchen besteht Japan auf dem Besitz der zwischen Okinawa und Taiwan in der Ostchinesischen See gelegenen Sentaku- Inseln.

Die ständigen Demuts- und Unterwerfungsgesten des einstigen Bundesgenossen Deutschland stoßen daher auf kein Verständnis. Der renommierte Germanist Kanji Nishio schreibt dazu: "Die Deutschen begreifen ihre Vergangenheit als Verbrechen und verwerfen Stolz und Selbstachtung für ihr Volk. Die gesamte Literatur, Philosophie, Geschichtsschreibung und alle geistigen Aktivitäten kehren ohne Unterlaß wie gebannt – und zum Erbrechen eintönig – auf dasThema "Vergangenheitsbewältigung" zurück. Durch die Strategie der Selbstverneinung und ethnischen Selbstauflösung des deutschen Volkes ist von diesem Volk auf geistigem Gebiet mit dem beklagenswerten Niedergang der deutschen Geisteskultur in Literatur, Kunst und Philosophie überhaupt nichts mehr zu erwarten. In einem halben Jahrhundert wird in der Region "Zentral -europa" das deutsche Volk in vermischtem Zustand anzutreffen sein, das für die Wissenschaft nichts mehr hergibt. Dann wird man das gute Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts, das nur noch in schriftlichen Zeugnissen existiert, wie das antike Griechenland zum Gegenstand der Forschung machen".

Zweifellos sind auch in Japans dynastischem politischen System die personellen und familiären Kontinuitäten stärker. Dies trotz der von der US-Besatzung verordneten Säuberung von 200.000 "belasteten" Persönlichkeiten, der Zerschlagung der Großkonzerne und einer Landreform, die jeden Besitz über ein Hektar als kriegstreiberischen Großbesitz enteignete.

Kaiser Hirohito blieb, nunmehr von den Amerikanern vom Sohn des Himmels zum Erdenbürger reduziert. Nach dem Friedensvertrag von 1952 wurden alle Kriegsverbrecherprozesse eingestellt und alle einschlägig Inhaftierten freigelassen. Hatoyama, Erziehungsminister im Krieg, konnte 1956/7 Premierminister werden. Sein Sohn wurde später Außenminister. Sein Enkel Yukio ist heute Chef der Demokraten. Tojos Handels- und Rüstungsminister Kishi, den die Allierten ohne Prozeß drei Jahre lang hinter Gittern hielten, wurde 1957 bis 1960 Premier. Als wäre Albert Speer Bundeskanzler geworden.

Koreaner und Chinesen sind schlecht integriert

Japan legt großen Wert auf seine ethnische Homogenität. Es gibt in den Hafenstädten des Ostens eine etwa zwei Millionen starke Minderheit von Koreanern und Chinesen, die 1945 dort als Fremdarbeiter gestrandet waren und nicht in ihre kriegsverwüstete, meist kommunistisch gewordene Heimat zurückkehren wollten. Sie sind selbst in der dritten Generation eher schlecht als recht integriert. Dann gibt es etwa eine Million an Wirtschaftsmigranten aus Thailand, dem Iran, Malaysien, Korea, China und den Philippinen. Die Hälfte davon ist illegal. Der Rest hat nur streng befristete Aufenthaltsgenehmigungen. Während die Frauen meist in dem von Gangstern kontrollierten Nachtleben zu unerfreulichen Bedingungen tätig sind, erledigen die Männer die schmutzige und gefährliche Drecksarbeit im Baugewerbe und in den Kleinbetrieben der metallverarbeitenden und chemischen Industrie. Politische Flüchtlinge, wie seinerzeit die "boat people"aus Vietnam und erwischte Illegale werden ohne viel Federlesens abgeschoben. Mit 1,2 Milliarden Chinesen als verarmte Nachbarn will Japan unter keinen Umständen ein Einwanderungsland werden. Statt dessen verlagern seit Jahrzehnten japanische Großbetriebe systematisch arbeitsintensive Fertigungen ins asiatische Ausland und nutzen so in einer kontinentalen Arbeitsteilung die Kostenvorteile niedrigerer Lohn- und Sozialstandards der Nachbarländer und helfen deren Wirtschaftsentwicklung zu schnell wachsenden Schwellenländern. Einzig willkommen sind als Immigranten die Abkömmlinge japanischer Auswanderer (nissei) aus Brasilien und Peru, deren prominentester, Alberto Fujimori, der autokratische Präsident Perus ist. Mit dieser restriktiven Politik bleiben Japan höchst vermeidbare Konflikte mit nicht-assimilierbaren Immigrantenkulturen erspart.

Seit der Nachkriegszeit waren die Liberaldemokraten (LDP) fast ununterbrochen an der Macht. Unter ihrer Herrschaft erlebten die Japaner, daß sich von 1950 bis 1990 ihr Einkommen in jedem Jahrzehnt verdoppelte. Japan war in einer Generation aus eigener Kraft von einem kriegszerstörten Halbentwicklungsland zur führenden Technologienation der Welt aufgestiegen. Japans Investoren und fleißige Sparer wurden mit 800 Milliarden US-Dollar Anlagevermögen im Ausland, 200 Milliarden US-Dollar Devisenreserven und dem Kauf von 300 Milliarden US-Dollar Schuldverschreibungen zu den groessten Gläubigern der Welt. Japanische Firmen kauften das New Yorker Rockefeller Center ebenso wie die Hamburger "Vier Jahreszeiten", das Schloß Gymnich, die Boss AG, sämtliche Impressionisten, die auf dem Markt waren, einschließlich Van Goghs "Sonnenblumen" für 72 Millionen Mark, sowie große Teile Hollywoods, Hongkongs und halb Hawai. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, wann Japan nach der Eroberung der Schiffbau-, Stahl-, Kugellager-, Uhren- und Motorradindustrien auch die gesamte Automobil-, Werkzeugmaschinen- und Elektronikbranchen und die Weltfinanzmärkte kontrollieren wuerde.

Zahllose Pilgerfahrten westlicher Politiker und Wirtschaftsführer wurden zur Japan AG unternommen, um die Geheimnisse fernöstlicher Managementkünste zu erkunden, die sich jedoch jedoch bald als recht altmodische Tugenden wie harte Arbeit, Fleiß, Pünktlichkeit, Detailgenauigkeit, Hingabe an das Unternehmen und Respekt für Seniorität und Hierarchien entpuppten, sowie weniger altmodisch: ein verschwenderischer Umgang mit Kapital durch viele nach und nach größenwahnsinnig gewordene Unternehmensführungen, die ohne Rücksicht auf Verluste durch einen radikalen Expansionskurs Weltführer in ihrer Branche werden wollten.

Doch 1991/92 platzte die spekulative Seifenblase. Überhöhte Immobilien- und Aktienpreise waren jenseits aller vernünftigen Renditeerwartungen gestiegen. Für die schnell wachsenden japanischen Unternehmen war Kapital zum freien Gut geworden – ähnlich wie Energie im Staatssozialismus und Menschen im Stalinismus –, das beliebig verschwendet wurde. Kapazitäten wurden ausgeweitet, firmeneigene Golfplätze und Marmorpaläste überzogen das Land. Ingenieure und Designer durften ohne Rücksicht auf Gewinnaussichten ihre Lieblingsspielzeuge und -ideen verwirklichen.

Als erstes brachen die Aktienkurse ein (minus fünfzig Prozent), gefolgt von den großstädtischen Immobilien (minus achtzig Prozent). Dann gab es die ersten Großkonkurse, gefolgt von einer anhaltenden Bankenkrise. Regierung und Bankenwelt versuchten verzweifelt, das ganze Ausmaß fauler Kredite, die nun eigentlich hätten fällig werden müssen, zu vertuschen. Firmenbilanzen wurden mit fiktiven Werten geschönt. Uneinbringliche Kreditlinien verlängert. Öffentliche Gelder wurden massiv in die Bankenrehabilitierung und in Auftragsvergaben in die notleidende Bauindustrie gesteckt.

Auf die Dauer half dies wenig. Japan hatte keine Konjunkturkrise getroffen, sondern eine Strukturkrise von Überkapazitäten, Überschuldungen und ungedeckten Rentenverpflichtungen für eine rapide alternde Bevölkerung. Die Arbeitnehmer und Verbraucher reagierten auf die schrumpfenden Realeinkommen (denn Überstunden und Erfolgsboni wurden gestrichen) und die beginnende Bedrohung der Arbeitsplätze mit der einzig vernünftigen Strategie: Sie sparten noch mehr als je zuvor. Die Großfirmen blieben auf ihren Halden an Neuwagen, Elektronik und Statuskonsumgütern sitzen. Investitionen wurden zurückgefahren. Niemand kaufte mehr überteuerte Immobilien oder interessierte sich für postmoderne Freizeitparks und Golfhotels.

Flaggschiffe der Wirtschaft wurden übernommen

Die Firmen begannen die Arbeitskräfte, die sie in den Jahren der Vollbeschäftigung für künftiges Wachstum geordert hatten, zu entlassen. Auch das Prinzip der arbeitslebenslangen Beschäftigung in den Großbetrieben galt nicht länger. Zwangspensionierungen ab 45 wurden häufig. Sony, Toshiba, Hitachi, Mitsubishi Chemical, Japan Airlines usw., alle stimmten in die traurige Litanei von Einstellungsstopps und Belegschaftsabbaus in Höhe von mehreren tausend Mitarbeitern ein. Vorallem die überbesetzte mittlere Leitungsebene wird ausgedünnt. Männer, die ihre besten Jahrzehnte ihrer Firma geopfert hatten, mit der sie sich mehr als noch mit ihrer Familie identifizierten, sahen sich massenhaft ihres bisherigen Lebensinhaltes beraubt. Nicht wenige wählten den Freitod.

Angeschlagene Flaggschiffe der japanischen Wirtschaft, wie Nissan, Mazda, Mitsubishi Motors, und etliche lecke Finanzhäuser wie Yamaichi und Nikko wurden von ausländischen Wettbewerbern uebernommen. Ein Vorgang, der vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war.

Offiziell stieg die Arbeitslosenzahl auf 3,5 Millionen, was fünf Prozent der arbeitenden Bevölkerung entsprach. Tatsächlich lag die Quote der Arbeitslosen, die sich angesichts minimaler Sozialleistungen nur mit marginalen Teilzeitjobs über Wasser halten, jedoch eher bei 15 Prozent. Die Regierung reagierte mit den größten Schulden- und Ausgabenprogrammen der Weltwirtschaftsgeschichte.

2.000 Milliarden Mark wurden während der letzten zehn Jahre alszuätzliche kreditfinanzierte öffentliche Ausgaben in die Wirtschaft gepumpt. Allein 400 Milliarden Mark mußten davon fuer die Sanierung maroder Banken aufgewandt werden. Das meiste jedoch wurde als Bauvorhaben in Gestalt von Straßen, Tunneln, Flug- und Fischereihäfen in der ländlichen Provinz oft in der Mitte von Nirgendwo verpulvert, wo ses die örtliche Bauindustrie und die Waehler der regierenden LDP vorübergehend glücklich machte, jedoch zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung und Umstrukturierung nahezu nichts beitrug.

Diese teuren Vergnügen ließen den Gesamtschuldenberg der öffentlichen Hand einschließlich aller defizitärer Nebenhaushalte und ungedeckter Rentenverpflichtungen auf astronomische 22.000 Milliarden Mark, die 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprechen, anwachsen.

Dazu traf Japan 1995 in der Hafenstadt Kobe ein Erdbeben, das 5.000 Tote (auch infolge verzögerter Rettungsmaßnahmen) und gewaltige Sachschäden in Gestalt verbrannter Stadtviertel, eingestuerzter Hafenanlagen, Stahlhütten und Stadtautobahnen verursachte. Das Jahr 1997 brachte Korea und Südostasien eine Finanzkrise, bei der Japan 160 Milliarden Mark an Zahlungshilfen an die unter flüchtigem Spekulationskapital leidenden Zentralbanken leisten mußte. Der Abschreibungsbedarf der Indonesienkrise allein kostete japanische Firmen 23 Milliarden Mark. Auch die russische Pleite von 1998 traf japanische Exporteure. Im September 1999 kam es dann zum Atomunglück von Tokaimura, bei dem die kriminelle Achtlosigkeit der Betreiber, anfängliches Vertuschen und die Inkompetenz der Aufsichts- und Rettungsbehörden sich fatal kombinierten.

Seit 1980 bewegt sich Japan auf die Einkindfamilie zu. Das Ergebnis werden 2050 nur noch 90 Millionen überaltert-pflegebedürftiger Bewohner statt derzeit 125 Millionen mittelalterlich-tatendurstiger Volksgenossen und Werktätiger sein. Die Gesellschaft altert damit noch stärker als die deutsche, italienische oder ungarische. Die verzogenen Einzelkinder reagieren in den konformistischen, häufig von links-autoritären Lehrern bemannten Schulen mit Verweigerung, Aufsässigkeit oder Gewalt.

Die Japan AG ist also gründlich entzaubert. Staatliche Wirtschaftlenkung, Schuldenprogramme und das kartellähnliche Beziehungsgeflecht von Grossfirmen, Politik und Verwaltung scheinen ausgedient zu haben. Denn die Japaner sind nicht die Preußen Asiens. Es menschelt allenthalben sehr.

Die Wahlkreispflege eines konservativen Abgeordneten kostet alljährlich Millionenbeträge, gegenüber denen der "Bimbes" eines Helmut Kohl höchstens die Portokasse darstellte. Denn Wähler und verbündete Lokalpolitiker im ländlichen Japan erwarten nicht nur schöne Worte und lukrative Staatsaufträge in ihrem Wahlkreis, sondern auch handfeste Geschenke ihres möglichst spendablen örtlichen Helden aus dem fernen reichen Tokyo, wo er es noch möglichst weit bringen möge.

In der Residenz des LDP Fraktionschefs Sin Kanemaru fand die Steuerpolizei kurz vor seinem Tod 1995 einen illegalen Gold- und Bargeldschatz von 60 Millionen Mark, der hauptsächlich aus Zuwendungen der Bauindustrie stammte. Damit finanzierte der persönlich anspruchslose Kanemaru als "Schattenshogun" seine Gefolgsleute unter den Parlamentsabgeordneten und bestimmte, wer nächster Premier in Japan werden würde.

Der Finanzbedarf der Ministerialbeamten ist deutlich geringer als der der Politiker. Hier beschränkt sich die Beziehungspflege der Industrie im wesentlichen auf Bewirtungsspesen, Einladungen zum Nachtleben und für Kurzurlaube und auf rarer werdende Offerten lukrativer Anstellungen nach der Pensionierung.

Bis 1993 gingen die Proteststimmen der empörten Wähler und Steuerzahler stets zugunsten der linken Opposition. In ihren drei Koalitionsjahren mit der LDP (1993/6) zeigten sich die Sozialisten jedoch ebenso korrupt und und noch weniger prinzipientreu, so daß jetzt statt der zur Kleinpartei geschrumpften SPJ eher die oppositionellen rechten Liberalen und Demokraten, die sich im Gefolge einer langen Korruptionskrise 1993 von der LDP abspalteten, gewählt werden.

Interessant ist Shintaro Ishihara, ein populärer Schriftsteller und Bestsellerautor, der nachdem er 25 Jahre lang für die LDP im Parlament saß, kurz auch Umwelt- und Verkehrsminister wurde, dann als unabhängiger Renegat mit einem USA-, banken- und bürokratiekritischen Wahlkampf 1999 zum Gouverneur der Hauptstadtpräfektur Tokyo gewählt wurde. Er verlangt die Rückgabe der nahe Tokyo gelegenen US-Luftwaffenbasis Yokota, und erließ als erstes eine dreiprozentige Bankensteuer auf die zuvor mit Steuergeldern sanierten Banken in Tokyo, um die maroden Finanzen der mit 100 Millionen Mark überschuldeten Hauptstadt zu entlasten.

Nur Nordkorea und China können gefährlich werden

Unpopulär sind die ausgedehnten US-Stützpunkte auch auf der landarmen Südinsel Okinawa, von wo seinerzeit auch ein Großteil der US-Bombereinsätze nach Vietnam geflogen wurden.

Jahrelang hatte Japan eine sowjetische Invasion im Nordwesten, auf Hokkaido, erwartet und dafür dort eine mittlerweile nutzlos gewordene mittelgroße Panzerarmee unterhalten. Seit der Wende liegt die russische Fernostflotte in Wladiwostok fest und ist zu keinen amphibischen Operationen mehr fähig. Seither gelten japanische Bedrohungsszenarien eher Verzweiflungsangriffen des moribunden nordkoreanischen Regimes, das 1998 seine Raketen für eine alle japanische Städte treffende Reichweite getestet hatte.

Langfristig noch bedrohlicher ist die wachsende geopolitische Macht Chinas, das schon jetzt einen zunehmend aggressiv-chauvinistischen Kurs gegen Taiwan und die kleineren Länder Südostasiens richtet und damit mittelbar Japans asiatische Märkte und die Seewege seiner Oelzufuhr bedroht. In der Abwehr dieser Gefahren sind die Interessen Japans und der USA einmal mehr identisch. So setzt sich diese ungeliebte Allianz weiter fort. Japan hat, nach einer großzügigen Uminterpretation seiner pazifistischen Verfassung, den USA bei künftigen Militäreinsätzen in der Region über die Seegrenzen des Landes hinaus, die logistische Unterstützung seines Militärs zugesagt.

Damit bleibt Japan als wirtschaftliche und technologische Vormacht Asiens, trotz aller Vorbehalte gegen den American way of life, seinen rücksichtslosen Legalismus und aggressiven Wirtschaftsliberalismus, die politische Korrektheit und den ethnischen Schmelztiegelcharakter der USA, absehbar sicher im amerikanischen Lager.


 
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