© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/00 25. August 2000

 
Menschliche Ersatzteillager
Genforschung: Großbritannien will den Embryonenschutz lockern / Kritische Reaktionen in Deutschland
Alexander Schmidt

In Großbritannien soll das Klonen mit Stammzellen menschlicher Em bryos bald erlaubt werden. Das geht aus einem Bericht des britischen Gesundheitsministeriums hervor, der jetzt von dem Gesundheitspolitischen Berater der Regierung, Liam Donaldson, veröffentlicht wurde und daraufhin eine europaweite Debatte über Gentechnik, Embryonenforschung und Biotechnologie hervorrief, da zur Zeit für das Klonen menschlicher Embryonen keine EU-Regelung besteht. Für die im Herbst zu erwartende Entscheidung im britischen Unterhaus ist eine Aufhebung des Fraktionszwanges zu erwarten.

Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte, daß Mitgliedsländer entsprechende Gesetze selbst beschließen dürften. Lediglich die Patentierbarkeit des Menschen "und seiner Teile" sei per EU-Gesetzgebung verboten, allerdings besteht im Entwurf der europäischen Grundrechtscharta ein weiterführender Punkt zum Schutz des menschlichen Lebens.

Der CDU-Europaabgeordnete und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bioethik der Europäischen Volkspartei (EVP), Peter Liese, äußerte scharfe Kritik an den Plänen der britischen Regierung und an der Idee, Menschen zu klonen. Die Unterscheidung zwischen therapeutischem und reproduktivem Klonen sei Etikettenschwindel, so Liese. Weiter erklärte der Mediziner, daß in beiden Fällen ein menschlicher Embryo erzeugt werde, der die gleichen Erbinformationen wie ein anderes menschliches Lebewesen habe. Somit öffnet derjenige, der das sogenannte therapeutische Klonen erlaubt, auch Tür und Tor für das angeblich nicht gewollte reproduktive Klonen, erklärte Leise weiter. Daher habe sich das europäische Parlament in der Vergangenheit mehrfach heftig gegen jede Form des Klonens von Menschen gestellt.

Es scheint, als versuche Großbritannien seine Stellung in der biotechnischen Forschung mehr und mehr auszubauen. Vor vier Jahren gelang es schottischen Forschern, aus der Euterzelle eines Schafes das Klonschaf Dolly herzustellen, jetzt ist Großbritannien das erste Land auf der Welt, in dem das Kopieren menschlicher Embryozellen im Frühstadium – sogenannter Stammzellen – für medizinische Zwecke zugelassen werden soll. Unter Laborbedingungen ist es nämlich möglich, das Wachstum dieser Stammzellen so zu steuern, daß Gewebe für bestimmte Organe gezüchtet werden können. Letztlich soll erlaubt werden, Stammzellen menschlicher Embyos, die nicht älter als 14 Tage sind, zu entnehmen und zu kopieren. Daraus sollen dann gesunde Gewebe für Patienten oder interessante Objekte für die Forschung entstehen. Das Klonen solle, heißt es in dem Bericht weiter, nur für den Fall erlaubt werde, wenn es keine andere Lösung gebe. Allerdings gibt es in Großbritannien bisher kein Gesetz, in dem das Klonen von Menschen ausdrücklich verboten ist. Statt dessen muß eine Behörde, aus der inzwischen verlautete, daß sie keinerlei Klonen von menschlichen Zellen erlauben wolle, jede einzelne Forschung mit Embryos genehmigen.

Der gesundheitspolitische Sprecher der konservativen Oppositionspartei hat angekündigt, bei der Abstimmung im Parlament gegen die Entscheidung der Regierung zu stimmen. Auf ebenso scharfe Ablehnung stieß der Bericht bei Vertretern der katholischen Kirche in Großbritannien. Kardinal Thomas Winning, Erzbischof von Glasgow und Vorsitzender der Bioethik-Kommission der katholischen Bischöfe, nannte die Entnahme von Stammzellen aus einem menschlichen Embryo ein Unrecht, weil das nicht ohne die Vernichtung eines Menschenlebens möglich sei. Ihm pflichtete auch Martin Casey von der Lebensschutzorganisation Rights of Life bei. Aus Rom wurde von dem vatikanischen Bioethik-Experten Bischof Elio Sgreccia der Vorwurf der Nazi-Experimente erhoben. Gegenüber der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera sagte Sgreccia, er sehe keinen Unterschied zwischen den Experimenten mit geklonten Embryonen und den unerlaubten tödlichen Menschenversuchen der Hitler-Zeit. Als "Wahnsinn" bezeichnete der italienische Kardinal Ersilio Tonini die Idee der Briten, einen Menschen zu schaffen, damit er einem anderen Menschen diene.

Erstmals gibt es auch in Deutschland zwischen Verbänden, Kirchen und Parteien einen weitgehenden Konsens, der in der Ablehnung des therapeutischen Klonen besteht. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, sprach sich gegen eine Genehmigung in Deutschland aus, da der ethische Wert des menschlichen Lebens sonst verletzt werde. Das Klonen für medizinische Zwecke sei nur möglich, erklärte er, wenn man Stammzellen von ganz jungen Menschen bekomme, wobei diese getötet würden. Damit sei das Klonen keineswegs humaner, als auf den Spendertod bei Organtransplantationen zu setzen, da bei Klonierungen die Tötung eines Menschen mit einkalkuliert würde. Vielmehr geht Hoppe von einem übersteigerten Forschungsdrang Liams Donaldsons aus, da zur Zeit gar noch nicht zu beurteilen sei, ob das Verfahren überhaupt funktioniere.

Letztlich sei das Klonen eine so eingreifende Methode, die innerhalb der Gesellschaft erst erörtert werden müsse. Da es hierbei auch um die Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens geht, rief Hoppe in diesem Zusammenhang auch dazu auf, den Abtreibungsparagraphen 218 neu zu überprüfen.

Ebenso sprach sich Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) gegen eine Hauruck-Entscheidung aus, da noch nicht abgewogen sei, für welchen Preis der medizinische Fortschritt zu haben sei. Besser wäre nachzuforschen, ob man nicht mit den Stammzellen von Erwachsenen ähnliche therapeutische Erfolge erzielen könne, wie man sich von embryonalen Stammzellen erhoffe.

Hubert Hüppe, Bundesvorstandsmitglied der Christdemokraten für das Leben und stellvertretender Vorsitzender der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin", erklärte, daß sich Großbritannien mit dieser Entscheidung aus der europäischen Wertegemeinschaft verabschiedet habe, in der das Schaffen und anschließende Töten menschlichen Lebens zugunsten anderer bisher als Tabu galt. Durch das von Großbritannien angestrebte Verfahren würde massenhaft menschliches Leben produziert, nur mit dem Ziel, es anschließend wieder zu vernichten und menschliche Ersatzteillager zu schaffen. Dies sei nichts anderes als Kannibalismus, so Hüppe.

Mit dieser Position liegt die Union wohl erstmals mit Grünen und PDS auf einer gemeinsamen Linie, denn auch beide Linksparteien fordern das Verbot von Manipulationen am Menschen. Letztlich hadern nur die Sozialdemokraten, nicht zuletzt wohl aus verwandschaftlicher Befangenheit zum Antragsteller mit der neuen Technik und dem Vorstoß der Briten. Der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen wendet sich zwar nicht generell gegen Stammzellenmanipulationen, findet es aber moralisch erträglicher, Stammzellen aus abgegangenen Föten zu gewinnen, während der Ethik-Experte der SPD, Wolfgang Wodarg, die Nutzung embryonaler Stammzellen strikt ablehnt.

Nicht vernachlässigt werden darf in der Diskussion das Gewicht der Wirtschaft, das nicht ignoriert werden kann. So wird die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) vor den Nachteilen für den Standort gewarnt wird, falls sie sich dem Weg der Genmanipulation verschließe. Dem hat die DFG jedoch schon vorgebeugt. Zwar ist die Arbeit mit in Deutschland gewonnenen Stammzellen verboten, nichts spricht jedoch dagegen, daß die DFG Stammzellen aus den USA importiert, um dann damit zu forschen. Eine Sprecherin der Schwarz Pharma AG führt schließlich die gesamte Diskussion um eine mögliche Verbesserung des Embryonenschutzes in der Bundesrepublik ad absurdum.

Wenn deutsche Firmen das liberalere Recht in Großbritannien nutzen wollen, können sie Zweigstellen dorthin verlagern oder sich an britische Auftragslabors wenden.


 
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