© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/00 25. August 2000

 
"Den Andersdenkenden nicht ausgrenzen"
"Kampf gegen Rechts": Prominente äußern sich in der JF zur Gefahr der Einschränkung des Meinungsspektrums in der Demokratie
Arne Schrader / Steffen Königer

Frage der JF: Was halten Sie von der Formel "Kampf gegen Rechts"? Wird hiermit nicht die Hälfte des demokratischen Spektrums pauschal diskriminiert, obwohl es in Wirklichkeit um Kampf gegen Extremismus bzw. Gewalt geht?

 

Vera Lengsfeld
Schiefe Debatte

Diese Debatte ist irgendwie schief. Erstens ist nachgewiesenermaßen die Anzahl der rechtsradikalen Straftaten im ersten halben Jahr zurückgegangen und nicht gestiegen. Wenn man die Debatte verfolgt, hat man genau den gegenteiligen Eindruck. Das zweite ist, daß in dieser Debatte offensichtlich auch von einigen Leuten der Versuch gemacht wird, alles zu disqualifizieren, was sich als rechts bezeichnet. Daß alle Standpunkte, die sich als die demokratische Rechte definieren würden, auch gleich abqualifiziert werden. Es gibt mehrere völlig unqualifizierte Angriffe auf die CDU von den Jusos, zum Beispiel von Nickfeld und von anderen. Daß da etwas nicht stimmt, zeigt auch das Redeverbot für den Herrn Köckert in Eisenach, der auf einer "Demonstration gegen Rechts" sprechen wollte. Anhand solcher Vorkommnisse kann nicht mehr von einer Gemeinsamkeit aller Demokraten gesprochen werden. Es versuchen einige Ihre persönlichen Interessen mit der Instrumentalisierung der Debatte zu verfolgen. Erforderlich ist eine Grundhaltung gegen Gewalt an sich. Egal, gegen wen sie sich richtet.

 

Helmut Dutschke
Gespräch statt Haß

Von dieser globalen Formel "Kampf gegen Rechts" halte ich gar nichts. Mit dieser Formel werden nur Stimmungen erzeugt, die früher oder später nicht mehr durchschaubar sind und letztlich immer in Gewalt ausarten werden. Mit der Zuordnung "Rechts" wird hierbei meiner Meinung nach wieder ein Schreckgespenst aufgebaut, was bis 1990 bei vielen Linken das Wort "Wiedervereinigung" war. Wer erinnert sich nicht an den Kampf Ost gegen West? Meiner Meinung nach sollte aus dem "Kampf gegen Rechts" Aufklärung betrieben werden, ein ganz wichtiger Punkt dabei ist die politische Bildung. Gerade in den Gesprächen werden Spannungen abgebaut, die oft nur durch Unwissenheit entstanden sind. Ich bin nicht sicher, ob alle Menschen in Deutschland genau definieren können, was rechts beziehungsweise links einzuordnen ist.

Bin ich schon ein Rechter wenn ich in einer rechtslastigen Zeitschrift meine Meinung äußere?

Wir brauchen in unserer neuen Gesellschaft wieder den ehrlichen Streit und die geistige Auseinandersetzung mit Argumenten. Den Andersdenkenden dürfen wir nicht ausgrenzen, denn das verurteilende, böse Wort über den Anderen ist doch letztlich schon ein Anschlag auf sein Leben.

Wenn ich vor einigen Tagen in der taz gelesen habe: "taz outet Rechtsextreme", dann ist das schon ziemlich weit entwickelt. Aus der Erfahrung wissen wir, man kann kein neues Leben aufbauen, wenn Haß und Rache in uns ist.

Das Problem "links" und "rechts" muß meiner Meinung nach aufgelöst werden. Schon 1977 gab es einen Kongreß unter dem Thema: "Was ist heute ,links‘?"

Leute wie Heinrich Böll, Günter Grass aber auch mein Bruder Rudi Dutschke haben damals zu diesem Thema neue Positionen bezogen. Warum haben wir im Jahre 2000 noch keinen Kongreß mit dem Thema: "Was ist heute ,rechts‘ beziehungsweise ,links‘?"

Unsere Schriftsteller aber auch unsere Wissenschaftler sollten sich zu diesem Thema öffentlich bekennen. Ein Beitrag in der rechtslastigen Zeitschrift JUNGE FREIHEIT ist meiner Meinung nach auch ein Stück Zivilcourage, dazu wünsche ich uns allen mehr Mut.

Helmut Dutschke ist Elektroingeneur, arbeitete bis zu seinem vorzeitigen Ruhestand 1992 im "Reglergerätewerk Teltow" und ist Bruder des Studentenführers Rudi Dutschke

 

Peter-Michael Diestel
Ich bin für Toleranz

Ich bin natürlich für das Gute und gegen das Böse. Ich bin dagegen, daß pauschal irgendwelche Menschen, Interessengruppen oder politisches Denken en bloc ausgegrenzt bzw. diskreditiert werden. Ich bin auch dagegen, daß Menschen anderen gegenüber Gewalt ausüben, nur weil sie annehmen, diese seien Ausländer oder Menschen anderen Glaubens, anderer Überzeugungen.

Es ist mir immer ein Bedürfnis, mich mit den Meinungen und Argumenten Andersdenkender verbal auseinanderzusetzen. Ich bin für die Toleranz und gegen Ausgrenzung, solange unser Grundgesetz, die Rechtsordnung, in der wir leben, nicht verletzt werden. Es darf nicht sein, daß politische Meinungen und Verhaltensweisen pauschal der "rechten" oder "linken" Ecke zugeordnet werden und somit der Verfolgung anheimgestellt werden. Durch die Verwendung solcher Begriffe wie "Nation", "Heimat" und "Vaterland" allein diskreditiert sich niemand politisch. Es gehört heutzutage eher Zivilcourage dazu, derartige Worte zu verwenden, ich sage dies ganz bewußt. Radikales Gedankengut aber, welches sich gegen unsere Grundordnung richtet, kann nicht geduldet werden.

Hier ist in erster Linie der Staat in der Pflicht, "gut" und "böse" zu benennen und zu handeln, aber nicht nur dieser.

Dr. Peter-Michael Diestel ist Rechtsanwalt, war der letzte Innenminister der DDR und bis 1992 Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag Brandenburg

 

Gerhard Löwenthal
Zeitgeistknüppel

"Links" und "Rechts" sind die gebräuchlichen Termini im Parteienspektrum jeder Demokratie. Bei uns wird "rechts" als Zeitgeistknüppel der "political correctness" mißbraucht. Gegen Rechtsextremismus wie gegen Linksextremismus muß sich jeder Demokrat zur Wehr setzen.

Gerhard Löwenthal ist Journalist, moderierte von 1969 bis 1987 das "ZDF-Magazin"

 

Hans Hirzel
Verwerflich

An der laufenden Kampagne ist schon verwerflich, daß nicht genau gesagt wird, was man mit "rechts" und "rechtsextremistisch" meint. Das hat zur Folge, daß nicht genau bestimmt ist, wer oder was darunter fällt und weshalb es verwerflich sein soll. Das zeigt beispielsweise wieder einmal das jüngst erschienene Buch "Rechtsextremismus in der Bundesrepublik" des für den "Verfassungsschutz" tätigen Ideologen Pfahl-Traughber. Die begriffliche Unbestimmtheit der Terminologie ermöglicht, den stigmatisierten Begriff auf die unterschiedlichsten Tatbestände und Personenkreise anzuwenden.

Daß in Deutschland Rechtsstaat und Verfassungsstaat in Gefahr sind, ist sicher der Fall. Die Gefahr geht nicht von den "Rechtsparteien" aus, sondern von denen, die die Hexenjagd veranstalten. Beheimatet sind diese Kräfte in den etablierten Parteien. Diese haben im vergangenen Jahr Deutschland zum Mittäter in einem Angriffskrieg gemacht. Dies und die Kriegshetze, womit es einherging, zeigen: Deutschland ist wieder angriffskriegfähig geworden. Heute wird vordemonstriert, daß Deutschland auch wieder "progromfähig" ist. Selbstverständlich wird beides von mir schärfstens verurteilt. Es ist bemerkenswert, daß keine der deutschen Rechtsparteinen im letzten Jahr den Überfall auf Jugoslawien gebilligt hat.

Schon möglich, daß diejenigen, die durch die jetzige Kampagne zu politisch Verfolgten werden, zeitweilig ihre politische Arbeit im Untergrund tun müssen. Ich empfinde darüber Bedauern, aber keine Furcht. Schließlich bin ich ehemaliger Sträfling. Es wird den Neototalitären nicht leicht fallen, die Methoden der Gestapo vollumfänglich wiederaufleben zu lassen. Versuchen sie es, werden sie meines Erachtens ungeahnte Widerstände hervorrufen. Auch das Ausland würde dieser Prozedur nicht gleichgültig gegenüberstehen.

Hans Hirzel ist Stadtverordneter der Republikaner in Wiesbaden und letzter Überlebender der Widerstandsgruppe "Weiße Rose"

 

Elisabeth Noelle-Neumann
Rechts ist Tabu

Es hat keinen Sinn, über "rechts" zu diskutieren. "Rechts" ist zur Zeit tabuisiert. Das Tabu gibt es in allen Gesellschaften der Welt als Teil des Prozesses der öffentlichen Meinung. Öffentliche Meinung ist ein nur durch Zeit und Ort begrenzter gesellschaftlicher Konsensus, der die Funktion hat, die Gesellschaft in einem ausreichenden Grad zusammenzuhalten.

Prof. Dr. Dr. Elisabeth Noelle-Neumann ist Gründerin des Allensbach-Institutes

 

Alexander von Stahl
Massenhysterie

Ich halte diesen ganzen Aktionismus für eine relativ gefährliche Entfachung von Massenhysterie. Innenminister Schily hat selbst in einem seiner Interviews gesagt, daß glücklicherweise die Gewaltkriminalität gegen Ausländer, also Rechtsextremistische Gewaltkriminaltät, in den letzten Jahren nicht gestiegen sondern gesunken ist.

Das ganze scheint mir mehr eine Sache aus dem Sommerloch zu sein, die dazu dienen soll, die Lufthoheit über den Müslibechern zu behalten. Ganz besonders fatal empfinde ich es, wenn Herr Stolpe, dessen Stasi-Dienste offenkundig sind, nun nichts für den "Kampf gegen den Rechtsextremismus" tut, sondern sich für den "Kampf gegen Rechts" insgesamte einsetzt, oder wenn die taz, in fataler Ähnlichkeit zu England, Porträts von tatsächlichen oder angeblichen Rechtsextremisten frei zur Lynchjustiz abdruckt.

Alexander von Stahl ist Rechtsanwalt, 1990-1993 Generalbundesanwalt in Karlsruhe, FDP-Mitglied

 

Erwin Scheuch
Das ist Polemik

Es geht jetzt einfach um den Kampf gegen Gewalt und ob die nun auf der links- oder rechtsextremistischen Seite erfolgt, daß ist außerordentlich nachrangig. Die Statistiken weisen aus, daß wir seit Jahren ungefähr die gleiche Zahl von links- und von rechtsextremistischen Straftaten haben, aber "Rechts" mit rechtsextremistisch gleichzusetzen, daß ist Polemik, die kurzzeitigen politischen Erfolgen dienen soll.

Prof. Dr. Erwin Scheuch ist Professor für Soziologie in Köln, trat 1996 aus der CDU aus

 

Konrad Löw
Ein Auge blind

Wer fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht und bereit ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verteidigen, muß jede Form des Extremismus ablehnen und bei Bedarf bekämpfen. Die Frage, ob die Extremisten eher dem marxistischen Lager oder dem faschistischen Lager zuzurechnen sind, spielt dabei eine ganz untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist, wie weit sie von den Kernaussagen des Grundgesetzes, niedergelegt in den Artikeln 1 und 20, entfernt sind und welche konkreten Gefahren von ihnen ausgehen. Aufschlußreich für letzteres sind die Zahlen des Verfassungsschutzberichtes.

Der neueste Bericht des Bundes betreffend das Jahr 1999 zeigt, daß den beiden Spielarten des Extremismus in etwa gleich viele Gewalttaten (Mord, Totschlag, Brandstiftung, vorsätzliche Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch u.ä.) anzulasten sind, dem sogenannten Rechtsextremismus 750, dem sogenannten Linksextremismus 711.

Wer daher heute immer nur die Gefahr von rechts beschwört, ist offensichtlich auf einem Auge blind, gleicht der KPD des Jahres 1956, die das Verbot der SRP ("rechte" Sozialistische Reichspartei, die Redaktion) entschieden bejahte, ihr eigenes Verbot aber als Preisgabe der Demokratie denunzierte.

Prof. Dr. jur. Konrad Löw ist Professor für Politikwissenschaften in Bayreuth

 

Rolf Stolz
Teil des Spektrums

Es ist schwer zu sagen, wo die größere oder die kleinere Hälfte liegt, auf jeden Fall ist es so, daß die demokratische Rechte ein wesentlicher Teil des demokratischen Spektrums ist und daß ein Grundkonsens erforderlich ist zwischen der demokratischen Rechten und demokratischen Linken in der politischen Auseinandersetzung gegen gemeinsame Gegner. Und das sind diejenigen, die mit politischem Terror, mit Gewalt die Demokratie, wie sie jetzt existiert, beseitigen wollen und erst recht das Entstehen einer realeren und weiterreichenden als der heutigen Demokratie verhindern wollen.

Rolf Stolz ist Publizist, war Mitbegründer der Grünen

 

Jochen K. Fromme
Falsch gegriffen

Es ist in meinen Augen so, daß diese Formel einfach falsch gegriffen ist, es geht um Kampf gegen jeden Extremismus, nicht nur gegen Rechts, sondern auf allen Seiten und immer.

Der Begriff "Rechts" ist einfach viel zuwenig abgegrenzt, "rechts" wendet man ja zum Beispiel auch auf die CDU oder die CSU an, und da ist es ja wohl unstreitig, daß das keine Radikalen sind. Man sollte schon das Spektrum beschreiben,welches man wirklich meint, das sind die Links- und Rechtsextremisten und nicht die politische Mitte.

Ein großes Problem ist in meinen Augen, daß die Presse ständig über Extremismus berichtet und dadurch die Extremisten zu neuen "Leistungen" anspornt. Man muß diese mit aller Härte des Gesetzes behandeln, aber man darf sie nicht ständig in der Berichterstattung herausstellen. Dies stellt die Medien vor eine große Verantwortung: einerseits nichts totzuschweigen, andererseits keine "Helden" zu produzieren.

Jochen Konrad Fromme ist Jurist und für die CDU im Bundestag


 
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