© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/00 25. August 2000

 
Ein Gaullist demontiert De Gaulle
Frankreich: Der Streit um die fünfjährige Amtsperiode soll vom Volk entschieden werden
Charles BranT

Jacques Chirac entschließt sich zu einem Referendum, um die Frage des "Quinquennat" – der Verkürzung der Amtszeit des französischen Präsidenten von jetzt sieben auf künftig nur noch fünf Jahre – zu klären. Am 24. September werden die Franzosen ihre Entscheidung treffen. Im Moment allerdings beschäftigen sie völlig andere Sorgen.

Als der französische Präsident im vorvergangenen Monat ankündigte, daß am Sonntag, dem 24. September ein Volksentscheid über die Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten stattfinden werde, wandte er sich an jene, die "diesen demokratischen Eifer teilen", und forderte sie auf, "sich zu mobilisieren, Überzeugungsarbeit zu leisten und sich für ein eindeutiges ‘Ja‘ einzusetzen". Noch vor einem Monat schlug er bei weitem nicht so entschlossene Töne an. Damals hinterließ Jacques Chirac in Fernsehinterviews den Eindruck, als wüßte er selbst nicht so genau, warum er die fünfjährige Amtsperiode befürwortet. Innerhalb von wenigen Wochen ist es Chirac offensichtlich gelungen, sich überzeugendere Argumente zuzulegen. Böse Zungen behaupten, der Popularitätsverlust von fünf Prozentpunkten bei den Meinungsumfragen sei an diesem Gesinnungswandel nicht ganz unschuldig gewesen.

Der RPR fühlte sich sogleich berufen, eine zustimmende Position zu beziehen. Michèle Alliot-Marie, die Vorsitzende der neogaullistischen Partei, sprach sich für das Referendum aus und ergänzte: "Die Gaullisten können dieses Bemühen um mehr Demokratie nur begrüßen und unterstützen." Alain Juppé gab zu Protokoll, er habe keinerlei Zweifel über den Ausgang des Volksentscheids, der "letztlich dem persönlichen Engagement Jacques Chiracs ebenso geschuldet sein wird wie seiner Entschiedenheit". Musterschülerin, die sie ist, rief Alliot-Marie unumgehend die Vorsitzenden der anderen Oppositionsparteien "zu einer Koordination der Opposition für ein ‚Ja‘" auf. Weder Francois Bayrou (UDF) noch Alain Madelin von den Liberaldemokraten haben sich bislang die Mühe gemacht, auf diesen Appell zu antworten. Hervé de Charette, ehemaliger Minister und designierter Vorsitzender des UDF, hingegen gab sich angesichts der klaren Worte Chiracs "erstaunt, zurückhaltend, zwiegespalten". Er klang nicht sehr enthusiastisch, als er erläuterte, er sei "wenig geneigt, drei Jahre nach der gescheiterten Parlamentsauflösung von 1997 mit den Sozialisten gemeinsame Front zu machen".

Auf der Linken sieht es nicht viel anders aus. Die Begeisterung des Parti Socialiste (PS) ist nichts als eine Fassade. Francois Hollande, sein Erster Sekretär, ist zwar der Meinung, die Sozialisten hätten "überhaupt kein Problem damit, eine Reform zu unterstützen, die sie selber vorgeschlagen, verteidigt und im Parlament eingebracht haben". Mittlerweile hat er hinzugefügt, diese Reform werde "andere nach sich ziehen", darunter die "Angleichung der Amtsperioden vor allem auch der Senatoren" (neun Jahre mit Möglichkeit der Wiederwahl), den "Ausbau der Dezentralisierung" und die "Einschränkung der Ämterkumulierung". Die Ankündigung solcher Maßnahmen ist zweifelsohne geeignet, sich die Zustimmung der Parteigänger der "pluralistischen Mehrheit" zu sichern. Die Grünen wiederum äußern sich kritisch zu "einem Mini-Volksentscheid, wenn er dem Präsidenten gerade gelegen kommt". Und Robert Hue, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, nimmt kein Blatt vor dem Mund, wenn er seiner Hoffnung Ausdruck gibt auf "eine massenhafte Enthaltung, in der sich die Absage an diese Farce ausdrückt". Auch die Rechtesten unter den Rechten, das Lager des "nachdrücklichen Nein", hat sich zu Wort gemeldet. Charles Pasqua, der Vorsitzende des RPF, hat versprochen, "in der ersten Reihe zu kämpfen", um eine Ablehnung der Amtszeitverkürzung durchzusetzen. Bleibt nur die Frage, mit welcher Armee er in die Schlacht zu ziehen gedenkt. Der RPF ist derzeit zutiefst gespalten durch den Streit zwischen dem ehemaligen Innenminister Pasqua und seinem jungen Vize Philippe de Villiers. Was die radikale Rechte angeht, so haben Jean-Marie Le Pen, Vorsitzender des Front National (FN), und Bruno Mégret, Vorsitzender des Mouvement National Républicain (MNR), sich wie durch ein Wunder auf derselben Linie wiedergefunden. Beide denunzieren sie eine "Meinungsverfälschung". Aber jeder bestreitet seinen eigenen Feldzug.

Valéry Giscard d’Estaing, der maßgeblich daran beteiligt war, daß die Frage der Amtszeitverkürzung auf die politische Tagesordnung gesetzt wurde, scheint nun als einziger darüber erfreut. In einem Artikel, der am 4. Juli unter dem Titel "Auftrag erledigt" in Le Monde erschien, beglückwünschte er sich selbst. Er erging sich in den positiven Auswirkungen der fünfjährigen Amtszeit und verlautbarte, diese würde "die Dauer des Vertrags zwischen dem Präsidenten der Republik und den Wählern auf ein Niveau zurückführen, das dem beschleunigten Zeitempfinden unserer Epoche angemessener" sei, und "in vernünftiger Weise die Wahrscheinlichkeit von Perioden der ‚Kohabitation‘ verringern, die, wie wir aus eigener Erfahrung bestätigen können, die strukturellen Grundlagen der Fünften Republik destabilisieren". Derselbe Mensch, den man ja als intellektuellen Spekulanten kennt, fügt ungeniert hínzu: "Es ist durchaus möglich, daß der ‚Quinquennat‘ andere, indirekte Auswirkungen zeitigen wird! Dies kann nur die Erfahrung zeigen, und es ist an der Zeit, daß wir unsere institutionelle Praxis vorsichtig anpassen und berichtigen."

De Gaulle dürfte sich im Grab umdrehen. Der Geist der Institutionen der Fünften Republik sieht vor, daß das Amt des Präsidenten über allen anderen steht. Die Amtsperiode des Präsidenten wurde in einem Gesetz vom 19. November auf sieben Jahre verlängert, um die Machtbefugnis Marschall Mac-Mahons zu verlängern, der sein Amt am 24. Mai 1873 infolge des Rücktritts von Adolphe Thiers angetreten hatte. Dem Präsidenten, der seine Legitimation direkt vom Volk erhält, soll die volle Dauer seiner Amtszeit zur Verfügung stehen. Eine der "direkten Auswirkungen" der Verkürzung seiner Amtsperiode wird darin bestehen, daß die Würde des Präsidentenamtes, der schon die "Kohabitation" mit dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin arg zugesetzt hat, noch weiter untergraben wird. Es ist schon paradox, daß es gerade der Neogaullist Chirac war, der – angeblich, um für "mehr demokratische Atemluft" zu sorgen – den Ball ins Rollen brachte.

Und die Franzosen? Den Meinungsumfragen zufolge, die in der Pariser Presse gerade eine Blütezeit erleben, befürworten sie die Reform. Hat die Erfahrung der zwei Amtsperioden François Mitterrands bei ihnen das Gefühl einer langen Tunnelfahrt hinterlassen? Oder sind sie ihre Regierenden immer schneller leid? Derzeit bewegt sie allerdings neben der andauernden Korsika-Krise hauptsächlich der Sommerurlaub und das schöne Wetter an Frankreichs Küsten. Den aufmerksameren Bürgern fällt auf, daß die Affäre um den "Quinquennat" lediglich ein großangelegtes politisches Schattenspiel ist, eine Art Pokerpartie, bei der alle lügen. Soll Jacques Chirac ihnen doch versichern, er wünschte sich, sie in Zukunft öfter per Referendum an der Entscheidungsfindung zu beteiligen – sie wissen ganz genau, daß niemand sie jemals zu Rate ziehen wird, wenn es um die brenzligen Probleme geht, die ihren Lebensalltag ausmachen.

Die Kampagnen im Vorfeld des Volksentscheides werden sich auf ein Minimum beschränken. Die Befürworter der Amtszeitverkürzung werden sich auf das Argument der "Modernität" berufen und die notwendige Angleichung an die Handhabung in anderen EU-Staaten ins Feld führen. Der PS wird dies wahrscheinlich verbinden mit dem Versprechen weiterer Reformen, wie sie Francois Hollande schon angekündigt hat – ein Vorspiel auf die Präsidentschaftswahlen.

Am 24. September werden die Nichtwähler dann wohl wieder einmal in der Mehrheit sein. In Frankreich wird die politische Demokratie immer mehr zum bloßen Simulacrum.


 
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